| t w o h o u r s |

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„Hallo?", vernahm die ich Dame aus dem Lautsprecher.

Ich reagierte mit einem „Ja?". Hoffentlich sagte sie, dass der Mechaniker ins Hotel eingetroffen war.

„Tut uns leid, aber es gab ein paar Schwierigkeiten mit dem Aufzug-Dienst. Er befindet sich jetzt auf dem Weg. Sie müssen sich leider noch etwas gedulden", teilte sie uns mit.

„Okay", erwiderte Finneas.

Einerseits war ich über diese Nachricht alles andere als erfreut, ABER andererseits wollte ich weiter mit Finneas reden. Ich musste unbedingt mehr über ihn erfahren.

„Nicht Mal Getränke oder Snacks werden uns angeboten! Wie dreist!", versuchte ich unser Gespräch am Laufen zu halten. Es war zwar nicht die beste Idee sarkastisch auf der Qualität des Hotels rumzuhacken, aber mein Gehirn war gerade sowieso nicht mehr funktionstüchtig.

Im Gegensatz zu meinem Gehirn funktionierte meine Aussage sehr gut. So fing Finneas an rau auf zu lachen. Er griff in die Tasche seines Mantels und zog eine kleine blaue Packung raus. „Ich kann dir zwar keine Chips anbieten, aber wenn du willst teile ich meine Kaugummis mit dir."

Wenn es etwas gab, was ich neben Jungs liebte, dann war es Kaugummi. „Immer her damit!"

Er zog ein Kaugummi aus der Verpackung und legte es in meine Hand. Von dort dauerte es nur wenige Sekunden, bis ich einen frischen Pfefferminzgeschmack in meinem Mund war nahm.

„Danke"

Irgendwie musste ich das Gesprächsthema auf ihn lenken.

„Was hindert dich an deiner Freiheit?", fragte ich ihn interessiert.

Er sah mich mit gerunzelter Stirn an. Ich hatte es doch direkt durch die Blume gesagt.
Dann wurde sein Gesicht ernst und er sagte: „Nichts, ich... bin frei...."

Ich fing lauthals an zu lachen. „Genau, so frei wie ein Regenwurm in einem Einmachglas sein kann!"

Ich hatte doch eindeutig in seinem Blick gesehen! Ihn beschäftigte etwas. Vertraute er mir nicht? Wer würde einem Fremden schon vertrauen? Oder ihm fehlt der Mut dazu. Ich wusste es nicht. Trotzdem versuchte ich ihn zu ermutigen: „Du kannst es ruhig erzählen. Glaub mir, wenn es erstmal raus ist, tut es unglaublich gut."

Er lächelte mich traurig an. „Nein, so einfach ist das nicht." Dann schüttelte er seinen Kopf.

„Warum nicht? Wer sagt, dass du an deiner Freiheit gehindert werden darfst?", ich wurde lauter. Ich hasste es. Warum ließen sich mache Leute so stark von anderen Menschen beeinflussen? Wenn dich jemand nicht so akzeptierte wie du warst, nett Lächeln, umdrehen, weggehen und nie mehr wiederkommen. Keiner sollte sich verstellen um in bestimmte Formen und Normen zu passen.

„Mir schreibt niemand etwas vor." Finneas verkreuzte seine Arme vor seiner Brust.

„Okay, dann erzähl es mir doch!" Ich weiß nicht warum, aber das er mir nicht sagen wollte verletzte mich irgendwie.

Er sah mir in die Augen und sagte mit ruhiger Stimme: „Nein. Weißt du, es gibt manche Sachen, bei denen es besser ist, wenn sie nicht laut ausgesprochen werden."

Da kann ich gar nicht zustimmen! Es geht um sein Wohlbefinden! Ich wollte ihm doch nur helfen! Ich brach unseren Blickkontakt nicht ab. „Deine Meinung. Aber zum Glück ist heute dein Glückstag. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns je wieder sehen werden ist sehr gering. Wenn du es mir erzählst, kannst du dir klarer darüber werden. Wenn wir hier wieder raus sind und du deine Meinung nicht geändert hast bleibt es so. Wenn wir aus dieser Tür gehen, werden wir wir wieder verschiedene Wege gehen. Es war nur ein unbedeutendes Gespräch. Wenn du jedoch deine Meinung änderst, werden wir immer noch verschiedene Wege gehen. Du wirst deine eigene Zukunft bestimmen können."

Finneas schien nachzudenken, bevor er ansetzte zu reden. „War-" Ich ließ ihn nicht ausreden „Du hast nichts zu verlieren."

„Na gut... Es ist schwierig... Ich war mein Leben lang glücklich mit einer Freundin, aber mir kommen immer mehr die Zweifel, ob es das richtige ist... Ich weiß nicht, ob es nur eine Phase ist oder nicht", versuchte er mir sein Problem zu erklären.

„Das ist doch wichtig! Das kannst du es nicht beeinflussen, indem du es verdrängst. Wenn du dir noch nicht sicher bist, dann ist es umso wichtiger aktiv daran zu arbeiten", riet ich ihm.

Doch Finneas schien das nicht ganz nachvollziehen zu können. „Selbst wenn ich in Zukunft nichts verdrängen werde, würde ich damit nie so offen umgehen wie du."

„Warum denn nicht?"

„Die werden...", doch er schien nicht die richtigen Worte zu finden.

„Es gibt kein die. Wen meinst du mit die?" Warum ließ er sich so stark beeinflussen?

Finneas sagte mit tonloser Stimme: „Na, die anderen"

„Deine Familie, Freunde, Kollegen,..." spezifizierte ich seine Antwort.

Er nickte kaum erkennbar.

„Warum sollten sie dir etwas vorschreiben dürfen? Du hast doch das Recht, so zu leben wie du willst! Du bist nicht mehr drei Jahre alt." Wir wussten beide, dass jetzt ein längerer Monolog meinerseits folgen würde.

Ich sah ihm in seine Augen. „Wenn du mich fragst, dann solltest du die Meinung anderer nicht über dein Wohlergehen stellen.
Du hast mich eben so bedrück angesehen, als ich dir von meine Sexualität erzählt habe. Ich bitte dich, du kannst mir nicht sagen, dass es dir gut damit geht, wenn du neidisch auf einen Fremden bist.
Du kennst mich nicht und dennoch bewunderst du mich, weil ich dir von etwas erzählt habe, was schon lange dein Herz runterzieht. Würdest du mich auch bewundern, wenn wir über das Wetter oder meine Schulausbildung gesprochen hätten? Ich denke diese Frage kannst du dir ganz leicht selber beantworten. Und ich kann sie auch beantworten.
Weißt du, was ich am dämlichsten an dir finde? Du machst dir das Leben schwer. Du bist ja offensichtlich nicht mit deiner momentanen Situation zufrieden. Und als Grund dafür dafür nennst du mir keine hässlich Krankheit oder Behinderung. Nein, du sagst mir, dass andere daran Schuld haben. Die Gesellschaft. Dabei hast du es ihnen doch noch nie erwähnt. Und trotzdem geistern sie in deinen Gedanken herum.
Ich kenne das Gefühl nur zu gut. Wenn du es öffentlich machen solltest wirst du auch Verluste erleiden und Tage haben an den du dich dir wünscht nie ein Wort darüber verloren zu haben. Aber das alles ist besser, als stilles Schweigen. Das habe ich mir nicht ausgedacht, ich rede aus eigener Erfahrung." Ich lächelte ihn an.

Finneas schenkte mir ein Lächeln. „Danke"

„Es ist vollkommen okay, wenn du es keinem sagst, aber mach dir klar wer du bist und wohin du willst. Die Leute können ruhig über deine Sexualität lästern, fluchen oder was auch immer, aber lass dich nicht mitziehen. Irgendwann wird sie das Karma schon noch einholen."

Ich wollte ihm etwas Zeit geben um meine gesagten Worte zu verstehen. Das Thema ist komplex und natürlich war mir sein Umfeld auch fremd.

Nach einiger Zeit hörte ich wieder ein Knacken, der Aufzug setzte sich in Bewegung und wir fuhren den letzten Meter hoch.

Als der Boden des Aufzugs auf der gleichen Höhe wie der des fünften Stocks war, zogen sich auch die Flügel der Tür stockend auseinander.

Automatisch standen Finneas und ich auf und gingen aus der Kabine. Ich wusste nicht, ob sein Zimmer auf der gleichen Etage wie meins lag, aber nach diesem Erlebnis werde ich Treppen auch vor Fahrstühlen ziehen.

Bevor Finneas und ich uns trennten hielt ich ihm am Arm fest.

Ich hatte ihm noch etwas wichtiges zu sagen. „Egal, für was du dich entscheidest..., du wirst das richtige nehmen. Das weiß ich." Dabei drückte ich ihm mein Regenbogenarmband in die Hand. „Ein kleiner Wegweiser für deiner Reise."

Finneas zog mich in eine innige Umarmung. Als wir uns wieder lösten flüsterte er mir: „Vielen Dank... für alles", zu.

Ich drehte mich lächelnd um und unsere Wege trennten sich wieder.

two hoursWo Geschichten leben. Entdecke jetzt