𝙺𝚊𝚙𝚒𝚝𝚎𝚕 𝟶𝟷 |

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Ihr Blick schwenkte zu dem kleinen Reisewecker auf dem Regal über ihrem Bett, bevor sie sich von ihrer dünnen Matratze erhob und durch die offenen Gitter in den Gang des Zellentraktes trat. Sie hatte nur noch wenige Stunden hier im Frauengefängnis von Mexico Stadt zu verbringen. Es war Zeit mit allem abzuschließen. Draußen im Gefängnishof tummelten sich um diese Zeit fast alle, die keiner Arbeit im Gefängnis nachgingen. Doch Solice war keinesfalls hier um einen Plausch abzuhalten. Sie hatte ein festes Ziel. Eine Ecke, die die Kameras nicht komplett erfassten.

Mit festen Schritten hielt sie auf die Hausecke zu und bog dahinter ab. Ein Lächeln bildete sich in ihrem Gesicht, als sie Karla wie verabredet mit Luana dort stehen sah.

Sofort, als Karla sie erblickte, trat sie näher an Luana heran und drängte sie gegen die Hauswand.

»Karla! Du miese Schlange! Ich wusste es!«, rief die junge Frau, die ahnte, was ihr jetzt blühte.

»Halt den Mund und halt still«, maulte Karla, presste ihre Hand von hinten an Luanas Stirn und zog ihren Kopf in den Nacken, damit sie sich nicht rühren konnte. Mit der anderen Hand hielt sie Luanas Arme auf dem Rücken. Solice trat näher und ließ dabei unbemerkt ihre Hand in die Hosentasche gleiten. Ihre Finger umschlossen die Scherbe eines Porzellantellers. Seit Tagen hatte sie diese geschliffen und geschärft. Mit einem Grinsen im Gesicht, weil sie sich auf genau diesen Moment gefreut hatte.

Nase an Nase stand sie vor Luana und funkelte ihr boshaft in die Augen.

»Du bist selbst schuld, Luana. Du hättest den Mund halten sollen. Und jetzt wirst du am eigenen Leib erfahren, was mit Leuten passiert, die den Mund zu weit aufreißen«, raunte Solice dicht vor Luanas Gesicht, holte die Scherbe aus ihrer Hosentasche und drückte mit ihrer anderen Hand Luanas Kinn herunter. Das Geräusch von Luanas reißendem Fleisch wurde nur durch ihr Schreien überdeckt. Solice hatte ihr mit raschen Bewegungen die Mundwinkel aufgeschnitten. Die Frau, welche dafür verantwortlich war, dass die Tochter des einstigen Drogenbosses drei Monate länger als angedacht inhaftiert war, sank wimmernd und blutend auf den Boden. Sie würde nie wieder ihren Mund zu weit aufmachen. Dem war Solice sich sicher.

Kichernd und als wäre nichts gewesen schlenderten Karla und ihre Freundin zurück in den Hof und hielten kurz einen Smalltalk, bevor sie in ihrer Zelle verschwanden. Seit zwei Jahren teilten Karla und Solice sich diese Zelle und auch fast genauso lange das Bett. Sie verband eine tiefe Freundschaft und sie fühlten sich zueinander hingezogen.

»Ich vermisse dich jetzt schon, mi conejito«, säuselte Karla traurig. Sie war zwei Jahre älter als ihre Zellennachbarin und saß wegen Drogenschmuggels.

»Sei nicht traurig. Es sind nur noch wenige Monate. Dann hole ich dich«, wisperte Solice und setzte kleine Küsse auf Karlas Mundwinkel, die sie beruhigen sollten. Es gab nur eine Sache, an die Solice mehr dachte als an die Frau, in dessen Nähe sie sich geborgen fühlte. Rache. Vergeltung für den kaltblütigen Mord an ihrem Vater. Deshalb konnte sie es auch kaum erwarten das Gefängnis zu verlassen.

Als es unruhig im Gefängnishof wurde, weil man Luana mit ihren schweren Verletzungen fand, war Solice bereits dabei, den Ausgang des Gefängnisses anzusteuern. Lächelnd verabschiedete sie sich von einigen Wärtern mit einem Nicken, schulterte ihre Reisetasche mit den wenigen Habseligkeiten und trat schließlich raus in die Freiheit.

Die Nachmittagssonne brannte und die Zweiundzwanzigjährige hob ihre Hand schützend vor die Augen, um die Umgebung zu sondieren. Nach zwei weiteren Schritten hörte sie einen Motor starten und eine schwarze Limousine hielt langsam auf sie zu. Lässig blieb sie stehen und fixierte den Wagen, bis dieser vor ihr hielt und sich das Fenster auf der Beifahrerseite surrend senkte.

My Last EnemyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt