Der Gärtner

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Ich hasse diesen Job. Ehrlich, hätte ich mir nur bloß früher im Leben Gedanken gemacht, was ich später tun würde... Ich wäre einen anderen Weg gegangen. Irgendwas, nur nicht das. Vor allem nicht nach all dem, was passiert ist.

Mein Name ist Laurens, und ich bin als Gärtner in Short Creek und Windsor Heights tätig. Angestellt bin ich in einer lokalen Gärtnerei, und wir haben viele unterschiedliche Aufgaben in diesen Orten zu erfüllen. So sind wir unter anderem für das Besprühen und Pflegen der zahlreichen Pflanzen an der Flusspromenade am Ohio River zuständig. Ehrlich wahr, fast dreihundert Meter weit reichen die von uns angesetzten Blumen, die den Spazierweg neben dem Fluss schmücken. Außerdem werden wir auch oftmals von Privaten oder Unternehmen arrangiert, um uns um deren botanische Kunstwerke zu kümmern.

Das klingt vermutlich zunächst relativ lustig und amüsant, doch es ist eine Tortur, diese Arbeit. Wenn man tagtäglich die etlichen, endlos erscheinenden Pflanzen mit tausenden Chemikalien besprühen muss, ohne dabei irgendeine Schutzmaske oder Ähnliches zu tragen, ist man diese Folter bald leid. Zu den ursprünglichen Aufgaben des Gärtners komme ich nicht mal. Die macht nur unser "Chefbotaniker", wie wir ihn nennen. Ich bin allein für die Drecksarbeit zuständig. Aber so sehr ich die Tätigkeit, die ich verrichten muss, verachte, so sehr bin ich zeitgleich dankbar für sie und die beinahe magische Wirkung, die sie auf mich hat. Dazu komme ich gleich.

Mein Leben war nicht immer einfach. Im Gegenteil, es war eine Katastrophe sondergleichen. Aufgewachsen bin ich in einer winzigen Ortschaft nahe Louisville, zusammen mit meinem Vater und meinem älteren Bruder. Ich kam als Frühgeburt zur Welt und verbrachte lange Zeit im Brutkasten. Bereits da wäre ich beinahe draufgegangen. Meine Mutter starb bei meiner Geburt. Den Hass, den mein Vater auf mich seit dem hatte, musste ich für die nächsten vierzehn Jahre ertragen. Als Muttermörder tituliert zu werden ist kein Leichtes...

Mit zirka Sieben wurden mir zahlreiche Psychosen diagnostiziert, die mich dazu zwangen, unterschiedlichste Psychopharmaka zu nehmen. In der Schule war ich schlecht, sozial brachte ich nichts auf die Reihe, zuhause wurde ich vom eigenen Vater geschlagen und von meinem viel erfolgreicheren Bruder missachtet. Er sah förmlich zu, wie die Gürtelschnalle mir ins Gesicht geschleudert wurde – und er tat nichts. Aber hätte ich jemanden gehabt, dem ich all das hätte sagen können? Nein. Niemand war jemals für mich da. Selbst die Therapeuten hielten mich nicht lange aus, da sogar hohe Dosierungen mich keineswegs zur Ruhe brachten. Sie hielten meine Darstellungen über meinen Vater für einen „Ausfluss einer latenten, immerwährenden, nicht näher umschreibbaren schizoiden Psychose". Ständig hatte ich Anfälle, psychotische Schübe und dergleichen. Meine Mitmenschen hänselten mich dafür. Der Höhepunkt war gekommen, als ich im Wahn den Lehrer mit einer bösartigen Kreatur meiner kranken Fantasie verwechselte und ihn vor den Augen der Mitschüler tätlich attackierte. Das war mit vierzehn Jahren. Ab da brachten sahen sie rot und so brachten sie mich in ein Heim.

Ich sehe Dinge, die nicht da sind. Ich höre fremde Stimmen, rieche eigenartige Gerüche, schmecke absurde Gerichte... Bekomme Befehle, werde verflucht, heruntergemacht... Teilweise tausend Sprüche gleichzeitig. Und das einfach so, ohne rationaler Erklärung, zu fast jeder Sekunde. Es spielt sich in meinem Schädel ab. Alles. Über meine Zeit im Heim wurden die Ärzte und Therapeuten nicht schlau aus mir. Zwar pumpten sie mich mit Medikamenten zu, aber keiner kam dahinter, was denn wirklich mit mir los war. Letztlich wurde – wohl aus Ratlosigkeit und Ignoranz mir gegenüber heraus - die Diagnose „Schizophrenie" gestellt.

Mit etwa zwanzig Jahren dann erklärte das Heim, für mich offiziell „nicht mehr zuständig sein zu können". Die tragische Wahrheit dahinter war, dass sie mich loswerden wollten, genau wie jeder andere Mensch, den ich bis dato in meinem Leben angetroffen hatte. Meine Medikamente muss ich noch immer nehmen, und die psychischen Krankheiten sind keineswegs verschwunden. Zu der Zeit meiner Entlassung war mein Bruder bereits als Associate in einer mittelgroßen Kanzlei in Michigan tätig und scherte sich einen Dreck um mich und mein Wohlergehen. Er hob nicht mal ab, als ich ihn anrief, sondern wechselte die Nummer. Mein Vater war zwischenzeitig verstorben. Gewiss weinte ich ihm keine Träne nach. Dennoch war ich auf mich allein gestellt. Kein Abschluss, keine richtige Ausbildung, keine Berufserfahrung... Nichts. Ein leeres Papier. Keine Perspektiven in diesem Leben. Also musste ich von Dorf zu Dorf ziehen, bei sämtlichen Betrieben nachfragen, mich von meiner „besten Seite" präsentieren... Und nur zu viele Niederlagen hinnehmen.

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