The beginning of a journey...

65 2 0
                                    

"DU HAST ES GESCHAFFT!!!", jubelte meine Mum schon von weitem. Mit einem fetten Grinsen auf den Lippen verließ ich das Schulgebäude und rannte auf sie zu, was in den hohen Schuhen eigentlich eine mittelgroße Herausforderung war. Ich hatte es tatsächlich geschafft. - Zwölf Jahre Schule hatten sich ausgezahlt, denn nun hatte ich endlich die Abitur erledigt und das auch noch mit ausgezeichnetem Erfolg...

Ich fiel meiner Mutter in die Arme und wir beide lachten. - Wir hatten so lange nicht ehrlich und aufrichtig gelacht... "Ich bin so stolz auf dich, meine Kleine!", sagte meine Mutter.

"Ich bin größer als du, Mum!", gab ich zurück.

"Trotzdem wirst du immer meine Kleine bleiben... auch wenn es mir in diesem schicken Gewand schwer fällt, das authentisch zu bemerken...", sie deutete auf meine Business-Kleidung. - Dunkelblauer, knielanger Rock; weiße Bluse und Krawatte, dazu ein dunkelblaues Gilet und schwarze Pumps, meine blonden Haare waren zu einem Dutt hochgesteckt.

"Jetzt gehen wir erstmal feiern!", lächelte meine Mum. Ich tat es ihr gleich.

Alle meine Schulkollegen, die auch die Abitur gemacht hatten, gingen zusammen feiern... Doch ich hatte eigentlich nichts mit ihnen zu tun.

"Ich habe noch eine kleine Überraschung für dich, Lina.", meinte meine Mum, als wir nebeneinander hergehend den Weg zu unserer kleinen Wohnung einschlugen.

"Mu-um, das wäre doch nicht nötig gewesen...", protestierte ich lächelnd.

"Sh..!", lachte sie und blieb mitten am Gehweg stehen, "Es ist deine Abitur und ich weiß, dass es dein größter Wunsch ist, also..."

Meine Mutter gab mir ein Kuvert... Mein größter Wunsch? - Den konnte leider niemand erfüllen... aber ich war gespannt, was sich in dem Briefumschlag befand und riss ihn deswegen hastig auf.

Darin befand sich ein Ticket... ein Flugticket nach... OH MEIN GOTT... nach Sydney!

Tränen stiegen mir in die Augen und ich konnte es kaum fassen... Ich wollte schon immer nach Australien! - Aber trotzdem ging das nicht.

"Mama... Das ist... das geht nicht!", erklärte ich und schluchzte. Seit mein Vater vor einem Jahr gestorben war, war unsere finanzielle Situation... schlecht. - So eine Reise von Deutschland nach Australien konnten wir uns nicht einfach so leisten! Außerdem wollte ich meine Mutter nicht alleine lassen... Oder würde sie mitkommen? - Nein! - Eine Reise nach Sydney muss unser Budget schon sprengen; zwei gingen sich unmöglich aus.

Seit mein Vater tot war und wir von Österreich nach Deutschland gezogen waren hatte sich alles verändert. - Hier hatte ich keine Freunde, nur meine Mum. Zusätzlich ist unser Geld wirklich sehr knapp; nicht, dass wir früher in Geld geschwommen sind, aber nun müssen wir jeden Cent zweimal umdrehen und können uns nie etwas gönnen.

"Wir haben dieses Geld schon lange gespart... Dein Vater wollte, dass du dir deinen großen Traum erfüllen kannst...", schluchzte meine Mutter.

Wir standen hier und heulten beide. Es schmerzte noch immer höllisch, daran zu denken, dass Dad wirklich nicht mehr hier ist. Die Zeit heilt keine Wunden... - Die Zeit lässt einem nur vergessen und dagegen versuchte ich anzukämpfen. Vergessen war das Letzte, das ich wollte. Lieber fühlte ich jede Sekunde diese Leere, dieses Gefühl, dass etwas fehlte. Wenn ich glücklich war, vergaß auch ich... Oder wenn ich schlief. Immer wachte ich in der Früh auf und alles schien heil und in Ordnung, bis mich dieser Gedanke durchfuhr: 'Dad ist tot.' Dann schossen mir die Tränen in die Augen und ich musste heulen.

Mum möchte vergessen... Nicht bewusst, denke ich, aber das war einer der Gründe, warum wir umgezogen sind. - Sie wollte nicht, dass sie jeden Tag, an jeder Ecke etwas an ihren Mann erinnerte, dass sie jeden Tag am Friedhof, wo er in seinem Grab ruhte, vorbei gehen musste...

"Wir brauchen das Geld dringend für andere Sachen... Wir leben in einer 1-Zimmer-Wohnung... Und ich will dich nicht alleine lassen!", sagte ich verzweifelt.

"Lina... ich möchte, dass du lebst! Seit Vater gestorben ist, ist alles, was du tust zuhause bei deiner alten Mutter sitzen, um mit ihr zusammen zu trauern... Das geht so nicht weiter! - Du musst Freunde haben und Party machen, das Jung-Sein genießen... Vielleicht findest du ja in Australien Freunde... Ich will, dass du dorthin fährst. - Dich hält nichts hier! - Fünf Wochen werde ich auch alleine überleben!"

Ich schluckte und setzte mich langsam wieder in Bewegung. Meine Mutter ging neben mir, weiter den Weg zu unserer Wohnung... Ich dachte nach. Ich sollte selbstlos sein, meiner Mum sagen, dass ich nicht nach Australien wollte... doch ich wollte es. - Ich wollte es so sehr! Wir würden das Geld für andere Dinge benötigen... Aber es stimmte... seit Dad tot war, hatte ich kein Leben mehr. - Der Kontakt mit meinen alten Freunden war innerhalb kürzester Zeit abgebrochen... Wer wollte schon mit einem immerzu heulenden, jammernden Mädchen, dass noch dazu Kilometer entfernt lebt, befreundet sein? Oder wer wollte sich mit 'der Neuen', die eigentlich aus Österreich kam, nur mit den Lehrern sprach und immer schrecklich verheult aussah befreunden? Genau! -Niemand! - Verständlich also, dass meine Mum meine einzige und beste Freundin war!?

Wie es mit Jungs aussah? Genauso wie mit den Freunden. - Gar nicht. Wenn man keine normalen Freunde hatte, hatte man auch keine Liebesbeziehungen... Früher. Früher hatte ich Freunde... sowohl einfach nur so, als auch Liebesbeziehungen... aber das ist lange her...

Aufjedenfall wollte ich nach Australien. Ich wollte es wirklich. Schon immer. Und ich wollte leben, wie eine normale 18jährige, die gerade ihre Abitur geschafft hatte. - Das alles konnte ich vor meiner Mum unmöglich zugeben... aber ich hatte auch nicht die Kraft und den Willen, sie dazu zu bringen, das Geld anderwärtig zu verwenden...

Bis wir zuhause angekommen waren, schwiegen wir. Ich nahm das Ticket nochmal aus dem Umschlag und sah auf das Datum... Ich würde schon morgen um 11 Uhr wegfliegen. Meine Mama holte eine Box aus ihrem Schrank während ich am Tisch saß und verträumt auf mein Ticket sah.

"Hier...", meine Mum gab mir die Box, "...das sind noch einige Sachen, die du benötigen wirst."

Ich nahm die Box und öffnete sie. Ein weiteres Flugticket, für den Rückflug, mein Pass, einige Medikamente und eine Bankomatkarte kamen zum Vorschein.

"Darauf sind 15.000 Euro.", informierte mich meine Mum in beiläufigem Ton und deutete auf die Karte.

"Fünfzehntausend Euro?", meine Augen weiteten sich, "Das ist verrückt! Das kann ich unmöglich auch noch annehmen!"

"Wir haben das schon lange gespart, keine Sorge! - Und auch andere Verwandte haben etwas beigetragen..."

"Aber ich brauche nicht so viel Geld, du könntest damit eine größere Wohnung finanzieren und..."

"Lina!", unterbrach mich meine Mutter, "Du wirst das Geld benötigen! - Du musst dir in Australien Hotels finanzieren und, wenn du nicht die ganze Zeit in Sydney bleiben willst, auch Busreisen oder Inlandflüge... Also nimm jetzt diese Karte. - Der Pin ist dein Geburtsdatum... Und jetzt solltest du dich beeilen und anfangen, deinen Koffer zu packen."

Ich hatte wieder Tränen in den Augen. Ja, weinen war meine Hauptbeschäftigung, dicht gefolgt von lernen... Aber das sollte jetzt in Australien ein Ende nehmen.

"Danke, Mama!", brachte ich mit zitternder Stimme hervor. Ich sah, wie auch sie am liebsten losgeheult hätte, sich aber zu einem Lächeln zwang. Sie war eine so tolle Mutter! Immerwieder versuchte sie stark zu sein, nicht zu weinen, ihre depressionen vor mir zu verbergen, doch ich nahm es ihr nicht übel, dass sie dies nicht schaffte. Ich sollte mich schlecht fühlen. Ich war egoistisch... Wie konnte ich das alles nur annehmen und meine Mum, die sowieso schon versuchte, alles für mich zu geben und nie auf sich selbst schaute, alleine lassen?

Australia's SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt