„Hey!“ Durch einen unsanften Stoß in meine Seite schreckte ich hoch. Es war hell und für ein paar Sekunden sah ich nichts. Mein Rücken schmerzte höllisch, meine Gliedmaßen waren steif und ich spürte meine Finger kaum noch. Es war so eisig, dass es mich wunderte, noch nicht erfroren zu sein.
„Was machst du da?“ Erst jetzt bemerkte ich die Person, die neben mir stand und mich ganz offensichtlich aufgeweckt hatte.
„Schlafen“, meinte ich. Ich war zwar müde, aber ich wusste noch genau, was ich gestern gemacht hatte und hatte auch genau meinen Plan im Kopf.
„Wohl eher erfrieren“, meinte der Typ. Ich rappelte mich auf und sah ihn an. Er war um die Zwanzig, hatte einen Drei-Tage-Bart und Ringe unter den Augen. Auf dem Rücken trug er einen alten Rucksack und in der Hand hielt er eine Decke oder einen Schlafsack oder irgendetwas anderes, das ich nicht erkennen konnte. Ich wusste nicht, was er von mir wollte.
„Wo willst du hin?“, fragte der Typ, als würde es ihn was angehen, was ich wollte.
„Was interessiert dich das?“ Ich hauchte in meine Fäuste, um meine Finger wieder aufzutauen.
„Mich interessierts eben“, gab er lässig zurück. In solch einer Situation hatte ich mich noch nie befunden, dass so ein Wildfremder mich anquatschte, aber mir waren schon so viele Dinge passiert, ich fand nichts mehr komisch.
„Willst du's wirklich wissen?“, fragte ich. Ich saß immer noch auf der Bank. Ich hatte keinen Bock darauf, mich zu erheben.
„Absolut.“
„Erstmal nach Bayern, von da aus nach Österreich“, gab ich Auskunft.
„Was willst du da?“, hakte er nach. Ich seufzte. „Kann dir doch egal sein“, entgegnete ich.
„Kann mir nicht egal sein, weil ich da zufällig auch hinwill.“
„Und?“, fragte ich, weil ich nicht wusste, worauf er hinauswollte. Ein paar Passanten, die unterwegs waren, starrten uns komisch an.
„Naja, ich wills mal so sagen. Ich hab das Gefühl, dass du noch nicht so lange auf der Straße bist und ein kleines Mädchen wie du vielleicht ein bisschen Hilfe bräuchte.“
Ich zog die Augenbrauen zusammen.
„Wie kommst du darauf, dass ich Hilfe bräuchte?“, fragte ich.
„Ich schätze mal, dass dein Zeitplan im Arsch ist und so ohne Geld.“
Plötzlich war ich hellwach. Panisch sah ich mich um. Mein Zeitplan. Mist, mein Zeitplan!!
„Wie viel Uhr ist es?“
„Vorhin wars halb acht.“
Mist. Halb acht. Um halb acht sollte mein Zug weiter in den Süden gehen. Direkt in den Süden. Zu meinem Ziel, es würde nur ein paar Stunden dauern. Bis zu einem Bahnhof waren es bestimmt 10 Minuten. So lange hatte ich gewartet, gespart, um mir die Karetn für diese Strecke kaufen zu können. Um endlich nach Österreich zu kommen.
„Tja“, meinte der Typ völlig gelassen.
„Warte!“, unterbrach ich ihn, „woher willst du was von irgendeinem Zeitplan wissen?“
Schnell schnappte ich meinen Rucksack, der neben mir stand, und wühlte wild darin herum. Der Umschlag. Ich sah hinein. Das Geld, mein mühsam zusammengespartes und verstecktes Geld war weg. Wütend funkelte ich den Typen an. Ich glühte vor Wut.
„Du hast mein Geld gestohlen“, schrie ich ihn an. Eine alte Frau drehte sich zu uns um, ging aber weiter. „Du Penner hast mein Geld geklaut!“
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weg
Short StoryEin gewalttätiger Vater. Eine unbekannte Mutter. Ein merkwürdiger Obdachloser. Ein 10-seitiger Roadtrip der Selbstrettung.