11 "Eine letzte Chance?"

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Der weiße Leuchtturm wurde hinter meinem Rücken immer kleiner. Ich lief den kleinen Steinpfad lag, der zwischen Peña del Mar und dem nächsten Ort die Küste säumte. Genau auf der Hälfte dieses Wanderweges müsste ich laut dem Internet auch zum Haus von Julio Sola finden. Er war die dritte Person auf meiner Liste.
Ich hatte das Gelingen meines Artikels an ihn gehängt, weil er der letzte J.S. war der 1968 in Peña del Mar gelebt und heute mit einer G zusammen wohnte. Seine G hieß Gil. Wenn er nicht der Verfasser meiner Briefe war, dann waren die Briefe nicht mehr als die vergilbten Überreste einer vergangenen Liebe und boten nicht genug Stoff für einen Artikel.

Neben mir verfärbte sich der Himmel langsam rosa. Da ich mich an der Ostküste Spaniens befand, ging die Sonne hinter den Hügeln und Feldern unter. Man konnte keinen malerischen Sonnenuntergang auf dem Wasser beobachten, aber dafür machte die Sonne etwas viel Schöneres. Sie tauchte die Welt um sich in glänzendes Licht. Sie war nicht der strahlende Star des Abends, sondern vergoldete das Meer, machte selbstlos alles schöner.

Ich hoffte, dass es nicht zu spät für meinen Besuch war, aber in Spanien leuchtete der Tag eigentlich noch länger in den Abend hinein.
„Pass auf, dass du nicht runterfällst", sagte auf einmal jemand hinter mir und ich zuckte zusammen. Marc hatte ein Grinsen auf seinem Gesicht, als ich mich umdrehte.
„Was willst du hier?", fragte ich schnippisch und lief weiter den Weg entlang. Ich musste mal wieder sehr in meine Gedanken gehangen haben, wenn ich ihn erst jetzt bemerkt hatte.
„Ich will mit dir reden. Du hast mich ja die letzten Tage immer ignoriert." Da hatte er recht. Seit der Party am Samstag, seit der Tränen, die ich für ihn geweint habe, war ich jedem Gespräch mit Marc ausgewichen.
„Und woher weißt du, dass ich hier bin?"
„Lily hat mir gesagt, wo du hin willst. Du kannst doch die letzte Person nicht ohne mich aufsuchen. Ich bin doch jetzt neugierig auf das Ergebnis unserer Recherche." Marc hatte mich eingeholt und lief neben mir, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Auf seinem Gesicht lag immer noch sein verschmitztes Lächeln.

„Du hattest doch letztes Mal auch kein Problem damit, mich alleine zu lassen. Und außerdem ist es meine Recherche", sagte ich mit Nachdruck und versuchte schneller zu laufen, um ihn hinter mir zu lassen, aber seine Schritte waren zu groß und ich schaffte es nicht. Ich schaffte es nicht Marc hinter mir zu lassen. „Was gibt es hier überhaupt die ganze Zeit zu grinsen?", fragte ich ihn als er nicht antwortete und versuchte so gleichgültig wie möglich zu wirken.
„Na ja, nachdem du auf meine Entschuldigungen und Erklärungen nicht reagiert hast, versuche ich es jetzt einfach mit guter Laune. Ich werde dir einfach so lange hinterherlaufen, bis du mit mir redest. Wie sagt man doch gleich? Kill them with kindness?"

Er konnte mir tatsächlich ein Lächeln abringen, aber nur weil sein Englisch so miserabel war.
„Erstaunlich, dass du im deutschen kaum einen Akzent hast", platzte ich bissig heraus, aber Marcs Lächeln blieb genauso warm und fröhlich.
„Ich sehe schon, es klappt."
Ich schwieg daraufhin wieder und konzentrierte mich auf den Weg vor mir. Ich musste noch mindestens eine viertel Stunde laufen und hatte weder links noch rechts eine Chance ihm zu entkommen.
„Lily hat dir also gesagt, wo ich bin. Aha", sagte ich nach einer Weile und zog vielsagend meine Augenbrauen nach oben.

Plötzlich blieb Marc stehen und auch sein Lächeln war verweht.
„Ich habe dir wirklich nichts vorgemacht Cara. Das erste Mal habe ich dich zwar mitgenommen, um Lily einen Gefallen zu tun, aber sobald ich dich kennengelernt habe, da... Ich sehe Lily nur als Freundin." Es war das erste Mal, dass ich ihm wirklich zuhörte und ich konnte nicht verhindern, dass ich seine Worte in mich reinließ. Ich konnte auch nicht verhindern, dass sich ein bisschen Wärme und Versöhnung in mir ausbreitete.
„Entweder du verzeihst mir und wir machen da weiter, wo wir aufgehört haben oder du bist für immer eine beleidigte Wurst. Das sagt man doch so auf Deutsch, oder?", sagte Marc und brachte mich damit zum Grinsen.
„Ich nehme die beleidigte Wurst, glaube ich. Komm, wenn du wirklich mitkommen willst, sollten wir hier nicht rumstehen."

Sommer 68Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt