Kapitel 5

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[Gegen seelische Schmerzen sind körperliche doch manchmal lächerlich.]

Mich überraschte das überhaupt nicht.

Noch nie, wirklich nie, hatte ich Freunde.
Früher hatte ich mich wirklich angestregt irgendwelche Freundschaften zu schließen, doch ich wurde immer nur abgewiesen und so war mir das schließlich egal geworden.

Sollte ich doch keine Freunde haben! Meine bisherigen 16 Jahre hatte ich auch ohne Hilfe ganz gut überstanden!

Vielleicht lag es einfach daran, dass ich etwas andere Hobbies als die anderen hatte und das abstoßend auf andere wirkte.
Vielleicht lag es daran, vielleicht aber auch an etwas ganz anderem.

Ich beobachtete gerne andere Leute, deren Verhalten, deren Reaktionen. Es war kein Stalken, eher nur stilles Beobachten.

Das andere, was ich auch gerne tat, war besondere Momente festzuhalten, auf Fotos und Bildern. Vielleicht war es ja ein Wunschdenken, dass das, was ich malte, fotografierte und zeichnete für immer blieb und nicht einfach so verloren ging.

Ich wusste, dass es nie so sein würde und das Leben immer weiter an mir vorbei ziehen würde, doch ich konnte einfach nicht damit aushören.
Einfach nicht meine Träume vernichten und weiter leben, als hätte man sie nie gehabt.

Das konnte ich nicht.

Es war immer noch mein Traum etwas zu verewigen. Etwas was für immer blieb, unzerstörbar und unvergessbar war.

Ja, ich wollte etwas haben, was in meiner traurigen kleinen Welt blieb.

Ich wollte, dass man mich nicht vergessen würde.

Auch in dem Punkt hatte Timo recht, ich hatte eine kaputte Familie.

Mein Vater war als ich 12 war ausgezogen, nach Berlin, während Mama und ich hier in der Nähe von Bayern blieben. Damals hatte ich nicht wirklich regestriert, wie schlimm es ohne meinen Vater sein würde.
Ich hatte gedacht, dass mein Vater nach ein paar Wochen wiederkommen würde und alles normal weiterging.

Damals war ich naiv gewesen, so etwas zu glauben.

Jetzt wusste ich es besser.
Er war nie zurückgekommen oder hatte sich in irgendeiner Form gemeldet.

Wie viele Stunden hatte ich hinter der großen Haustür darauf gewartet, dass plötzlich die Tür aufging und mein Vater mit glücklichem Gesicht mich in den Arm nahm und mich nie wieder loslassen würde?

Zu oft, denn er war niemals aufgetaucht und hatte mir damit meinen Optimismus, meine Hoffnungen, meine tiefsten Herzenswünsche geraubt.

Ganz langsam.

Qualvoll.

Eiskalt, wie mit einem in Nebel getauchtem Stilett. Und das vollkommen unbemerkt.

Mit jedem Tag, den ich hinter dieser Tür verbracht hatte, verschwand ein Teil von meinen schönen, hoffnungsvollen Gefühlen.

Doch ich blieb stark, versuchte es gleichgültig zu sehen und zu zeigen, doch tief in mir blutete das Herz, ohne dass jemand behutsam ein Pflaster darauf klebte.

Es verblutete im Stillen, ohne das jemand es retten konnte. Nicht einmal mir vermochte es, mein eigenes Herz zu heilen. Nun hatte ich ein verwundetes Herz, aus dem immer noch stetig ein Rinnsal Blut herausrann.
Ich wusste nicht, zu was mein Herz noch imstande war, ich hatte keine Ahnung was seine nächste Handlung war.
Dieses Wissen war dem Schicksal vorenthalten.

In dieser Zeit hatte Mama ihren Job verloren, sie war tagelang nicht ganz bei sich und daher mussten wir mittlerweile viel mit dem Geld haushalten.
Was ich nicht schlimm fand, da es auf der ganzen Welt verteilt viel mehr Menschen gab, die jeden Tag mit dem Tod ringen mussten.

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