Kapitel 8: Erste Zeichen

36 1 2
                                    

ARYA

Als Nuramon und seine Freunde den Raum verlassen hatten, blieb ich wie gebannt an Ort und Stelle stehen. Was ist gerade passiert?

Verwirrt und geschockt betrachtete ich meine Hand, die mit einem Menschen in Berührung gekommen war. Arya! Was hast du getan?! Du hast einen Menschen berührt! Ich wusste, dass dies uns strengstens verboten war. Und dennoch... Es hat sich richtig angefühlt... hätte er vorgehabt, mir was Böses anzutun, hätte er dies schon am Anfang getan... Außerdem war da dieses Gefühl gewesen...

Ohne ihn, fühlte ich mich auf einmal so verwundbar und hilflos. Als er bei mir gewesen war, waren meine Gedanken klar und geordnet, doch jetzt war ich vollkommen verwirrt und ließ mich auf den Boden sinken. Nein Arya! Vergiss' ihn! Er ist ein Mensch, du bist eine Göttin. Du gehörst nicht in diese Welt, schrie meine innere Stimme und redete mir die Andere Welt weiter aus, aber ich ignorierte sie.

Jedoch... sie hatte recht. Wenn ich länger hierbliebe, würde ich zum Menschen werden und sterblich sein. Ich bleibe einen Tag und dann werde ich zurückkehren.

Bei diesen Gedanken, versetzte es mir einen Stich ins Herz. Ich begann zu schluchzen und kauerte mich in einer Ecke zusammen. Als ich noch jünger gewesen war, hatte ich mir immer vorgestellt, einmal die Andere Welt zu besuchen und kennenzulernen, bis mir die anderen es ausgeredet hatten und ich diese Welt anfing zu verachten.

Doch jetzt...viele Jahre später, wurde mein Wunsch erfüllt und ich war nicht bereit, mir diese Chance entgehen zu lassen.
Ich wischte mir die Tränen weg und erhob mich. Dieses kribbelnde Gefühl stieg wieder in mir auf und ich verließ das Zimmer.

NURAMON

Ich musste mich zusammenreißen nicht zu gähnen. Ich wusste, dass ich als zukünftiger König Pflichten und Verantwortungen gegenüber meinem Volk hatte, aber ich hasste Audienzen. Wie gerne wäre ich jetzt bei Arya. Ihre wunderschönen Augen, ihr zauberhaftes Lächeln, ihre zarten Lippen, ihre geröteten Wangen, ihr...

Ich wurde durch ein Räuspern aus meinen Gedanken gerissen. Vor mir kniete ein ärmlich gekleideter Mann, der unsicher seinen Hut in seinen Händen zerknitterte und mich mit einem nervösen Blick ansah. Was hatte er gesagt? ,,Euer Majestät?", fragte er zögerlich.

Als hätte Soreis mich gehört, beugte er sich von rechts an mein Ohr heran und flüsterte: ,,Bauer Gewons letzte Ernte wurde gestohlen. Er bittet dich, ihm etwas aus unseren Kornspeichern zu leihen und das du dich der Verfolgung der Diebe annimmst. Konzentrier' dich gefälligst." Soreis stellte sich wieder steif neben mich, während ich mich in eine geradere Sitzposition auf dem Thron begab.

,,Um diesen Vorfall werde ich mich sofort kümmern. Wachen! Begleitet diesen Mann in den Kornspeicher und gebt ihm zwei Säcke Korn!", versprach ich dem Bauern, der erleichert aufatmete und mit den zwei Wachen mitging, nachdem er sich verbeugt und sich mit ,,Vielen Dank, Euer Majestät." verabschiedet hatte.

Ich stöhnte leise und beugte mich auf die andere Seite zu Elodrin. ,,Dauert das noch lange? Ich will nicht mehr...", nörgelte ich und erhielt als Antwort: ,,Keine Sorge. Du hast es gleich hinter dir. Es ist nur noch eine Dame da." Zum Glück... ,,Bitte sie rein." Und zwar schnell, wenn's geht...

Auf Elodrins Wink, rief eine Wache die Dame herein. Sie trat mit einem kleinen Mädchen an der Hand in den Thronsaal ein. Normalerweise kamen keine Kinder herein, aber ich lächelte die beiden trotz meiner Langeweile an. Die beiden knicksten brav und ich fragte freundlich: ,,Nun. Wer seid Ihr und was führt Euch zu mir?" ,,Vielen Dank, dass Ihr uns empfangt, Euer Majestät."

Ich schätzte die Frau auf 85 Jahre. Sie trug ein schlichtes Kleid mit einer Schürze darüber und über ihre Schultern hatte sie ein Tuch gelegt. Ihre grauen Haare hatte sie hochgesteckt und stützte sich auf einen knorrigen Stock.

Das kleine Mädchen schätzte ich auf sechs Jahre. Es trug ein einfaches grünes Rüschenkleid und trug ihre Haare als Pferdeschwanz. Sie drückte eine Stoffpuppe an sich und schaute mich strahlend an. Ärmere Leute, vielleicht sogar aus dem Mittelstand...

,,Mein Name ist Marianne und das ist meine Enkelin Nadja. Wir ersuchen Euch, um Euch zu warnen. Seht her, Eure Majestät.", stellte sich die alte Frau vor und holte aus ihrem Korb allerlei Lebensmittel hervor. Sie schnitt sie auf und ein Diener brachte mir eine Apfelhälfte.
Sie war innen vollkommen schwarz. Alle aufgeschnittenen Lebensmittel zeigten diese Auffälligkeit.

,,Woher hast du das?", fragte ich beunruhigt und betrachtete den Apfel eingehender. ,,Die habe ich heute Morgen von einem Händler aus dem Norden gekauft. Und so wird es auch bald unseren Lebensmitteln ergehen. Die Fische werden verenden, das Obst und Gemüse wird verfaulen und das Wasser wird versiegen." ,,Woher weißt du das?", wollte ich wissen und schaute sie mit einem eindringlichen Blick an. ,,Kennt Ihr die Geschichten von den Göttinnen?" ,,Natürlich.", erwiderte ich und nickte.
Natürlich. Jeder kennt die Sagen und Legenden.

,,Sie sind wahr. Allen wird es gutgehen, solange alle Göttinnen existieren und die Menschen ihre Geschenke wertschätzen. Das, mit den Lebensmitteln, ist erst der Anfang. Wir sind alle dazu verdammt zu sterben, sollte das Gleichgewicht nicht wieder hergestellt werden."

Lange war es still im Saal. ,,Ich danke dir für deine Warnung. Ich nehme sie ernst.", sagte ich und die beiden Frauen verabschiedeten sich. Als sie den Thronsaal verlassen hatten, fragte Soreis: ,,Glaubst du das wirklich? Ich meine mit den Göttinnen, Gleichgewicht und das wir alle sterben werden?" ,,Ich weiß nicht. Sowas denkt man sich nicht aus. Wir sollten dem nachgehen. Wir reiten morgen an die Küste und holen uns weitere Informationen ein. Einverstanden?", erwiderte ich ernst und erhob mich.

Soreis und Elodrin nickten zustimmend und wir verließen den Thronsaal. Was ist, wenn es wahr ist, was die Frau gesagt hat? Wir alle glaubten an die Kraft der Göttinnen und ihre Gaben.

Wir wussten: Eine falsche Tat und wir würden bestraft werden.

Die Anziehung des UnbekanntenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt