Iss doch mal ne Paprika - Viva la Speckröllchen

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Hallo :)
Ich bin Laura und ich bin dick.
Und das ist ... nun, eigentlich nicht wirklich gut.
Auch wenn jetzt sicherlich viele erwartet haben, dass ich mit "und das ist auch gut so" antworte, muss ich an dieser Stelle sagen: ein so extremes Übergewicht wie ich zu haben, ist alles andere als gut. Aber ich mag mich als Mensch. So vom Charakter her - zumeist.
Was ich damit sagen möchte: Ich weiß das ich dick bin. Ich weiß das wirklich.
Erstaunlicherweise gibt es da draußen aber sehr viele Menschen, die denken, dass ich das nicht weiß.
Und ich frage mich - ganz ernsthaft - ob die mich für dumm halten oder glauben, dass ich keinen Spiegel zuhause habe. Aber selbst ohne Spiegel würde eine Frau meines Aussehens sicherlich verstehen, dass sie nicht schlank ist.
Um so faszinierender ist es daher, dass ich sehr oft darauf hingewiesen werde.
In Form von:
- Beleidigungen
- Unterschwelligen Beleidigungen
- Nahrungsentzug
- Moralgespräche und Vorträge
- Blicke
und vieles mehr.

Ich weiß, dass die meisten Menschen das gar nicht wirklich böse meinen.
Wenn ich durch die Stadt laufe (Okay, aktuell dank Corona natürlich nicht, aber ich schreibe hier ja meine Erfahrungen auf, die bereits passiert sind), dann ziehe ich alle Blicke auf mich.
Leider nicht deswegen, weil ich so einen umwerfenden Charme versprühe - angeblich soll es Menschen geben, die man auf den ersten Blick sympatisch findet wenn sie einen Raum betreten, da sie wie die Sonne strahlen sollen.
Und leider auch nicht, weil mein Kleidungsstiel so atemberaubend ist, dass ich für Kataloge modeln könnte. Zumeist lautet meine Divise: Hauptsache Bequem. Wir sind hier nicht auf dem Laufsteg, ich will nur schnell zum Bäcker und dem ist es sicherlich egal, ob ich mich vorher 40 Minuten geschminkt habe oder mir nur schnell einen Dutt gebunden habe um in Jeans, Shirt und Ballerinas das Haus zu verlassen.

Nein, ich bin eine Frau die Auffällt.
Mit meinen 1.75 überrage ich viele Menschen und da ich einen sehr breiten Oberkörper habe (Brust und Bauch) sind sich sogar viele Menschen uneins, ob ich mir das selbst angegessen habe oder gar schwanger bin ...

Kleiner Lacher am Rande: Wenn ich gefragt werde, ob ich schwanger sei, kommt mein schauspielerisches Talent zur Geltung. Ich lächele stolz, streichele die dicke Wampe und flöte lieblich: "Ja. Zwillinge. Ich bin aktuell im 22sten Monat. Bald ist es soweit."
Das hat erstaunlicherweise noch nie jemand hinterfragt oder mich gar korrigiert ...
Leute. Ich bin ein Mensch. Kein Elefant.
Eine Elefantenkuh (Das ist kein Schimpfwort, die heißen wirklich so) ist nämlich tatsächlich 22 Monate trächtig.
Eine menschliche Frau in der Regel 9 bis 10 Monate. (Da dürfen die Mütter nun gerne drüber diskutieren, da ich keine Mutter bin - und vermutlich auch nie werde - halte ich mich da ganz elegant aus der Sache raus und positioniere mich ganz klar in der Mitte: 9-10 Monate.)

Ich ziehe mich auch ganz gewöhnlich an, würde ich behaupten.
Gerne Tunikas, die schön über den Hintern reichen und nicht zu viel Ausschnitt zeigen.
Zwar heißt es von vielen Modeexperten immer, dass wir dicken Frauen gerne viel Busen präsentieren sollen - um von unserem dicksein abzulenken - aber finde mal einen BH der zwei Wassermelonen konstant unter mein Kinn schnallt. Und besprich das bitte vorher auch mit meinem Rücken und den Schultern, die dank dieses Gewichts ein "einschneidendes Erlebnis" haben werden. Nein danke.
Wie darf ich mir das vorstellen, wenn ich meine zwei Melonen beinahe unverschleiert durch die Stadt trage? Starrt dann jeder in den Käseweißen Schlitz und sieht den Rest nicht mehr?
(Hier im Norden haben wir es nicht so mit Sonnenlicht. Dafür haben wir viel Regen. Und Regen. Aber das allerschönste: Regen.)
Also, wenn dem so ist, dann könnte man doch in eine Bank gehen, wenn man dringend Geld braucht, das Dekollete ein wenig nach unten ziehen und ... schon sieht niemand mehr mein Gesicht? (Dies bitte nicht als Anleitung verstehen :)!) Das würde das "Masken tragen" ja eigentlich vollkommen nutzlos machen. Also, diese schwarzen Sturmhauben, die das Gesicht verdecken. Ihr wisst schon.
Nein, selbst wenn die gesamte Menschheit mir nur noch auf Ding und Dong starren würde, halte ich mich lieber bedeckt. Und ja, die zwei heißen wirklich so. Aus Gründen.
Natürlich könnte ich nebst hochgeschnallten Brüsten auch noch einen Speckwegformer oder Bodyformer anziehen um Speckröllchen und Co schön in Form zu schmiegen. Ich habe einmal so ein Ding angezogen und fühlte mich wie Schneewittchen, als sie das Korsett angezogen bekam und anschließend Ohnmächtig wurde. Versteht mich nicht falsch, ich finde eine Taillie auch echt hübsch, aber ... ich atme auch wahnsinnig gern.

Ich selbst bin ja so der Jeans- und Leggings-Typ.
Oh ja, dicke Frau + Leggings = spannendes Thema.
Also ich mag die Teile. Nein, natürlich nicht die Glitzerdinger aus den 90iger Jahren, von denen wir damals dachten, dass es eine gute Idee sei so etwas als Alltagskleidung zu tragen.
Schlicht und Schwarz.
Das Bündchen sitzt locker an der Hüfte, ich kann darin im Schneidersitz sitzen und das allerbeste: keine blutigen Stellen. Wer sich jetzt fragt: warum Blut? Dem möchte ich gerne sagen: Dann hast du als dicke Frau vermutlich noch nie eine ZU enge Jeanshose getragen. Sei froh.
Was habe ich mich als Teenagerin nicht gequält, weil ich unbedingt in eien 32 passen wollte und stattdessen eine 36 trug. Drama. Tränen. Blut.
Ich quetschte mich dennoch in eine 32 und hatte danach Blutergüsse in Form eines Hula-Hoop-Reifens um Bauch und Rücken. Ich konnte kaum atmen, mich kaum bewegen, kaum atmen und das allerbeste: meine inneren Organe wurden richtig schön gequetscht wie bei einem übermotivierten Menschen der versucht das Letzte bisschen aus seiner Zahnpastatube herauszudrücken, obwohl diese schon seit drei Tagen leer ist.
Das war Folter. Selbstgewählt. Und wofür? Weil ich dann stolz sagen konnte, das ich in eine 32 passe. Als Teenager war ich echt verrückt und das 24 Stunden am Tag.

Nein, ich mag Leggings. Und Jogginghosen - nein, nicht die, mit denen man wirklich Joggen geht. Sondern die, die aussehen wie Stoffhosen. Mit einem schönen Schnitt und dennoch bequem.
Darüber eine Tunika. Ballerinas. Dutt. Passt.

Ich tue niemandem weh, wenn ich so das Haus verlasse und doch starren mich viele entsetzt dabei an, als würde ich nackt spazieren gehen oder eine tote Kuh hinter mir herschleifen.
Das bin nur ich.
Ich bin ein bisschen mehr als die Durchschnittsfrau.
Es gibt viele von uns. Wir sind da. Manchmal werden wir weniger, manchmal mehr.
Viele wagen sich aufgrund dieser Blicke kaum noch aus dem Haus.
Nicht in Restaurants, nicht in Clubs, Bars oder Kneipen.
Ein Zoobesuch ist noch in Ordnung. Da sind oft nur Familien mit kleinen Kindern. Und Kindern ist es in der Regel egal wie ein Erwachsener aussieht. Wenn sie neugierig Fragen, so lasst sie fragen. Kinder sind nur wissbegierig und verurteilen nicht und das mag ich so an den Kleinen :)
Anders sieht es da bei Erwachsenen aus.
Viele verurteilen, ehe sie auch nur ein Wort mit einem dicken Menschen gesprochen haben.
Dicke sind faul. Verfressen. Disziplinlos. Und sie sind dumm.
Natürlich gibt es faule, verfressene, disziplinlose und dumme dicke Menschen. Sogar richtig viele. Aber es gibt auch unglaublich viele fleissige, hungernde, disziplinierte und intelligente dicke Menschen.
Manche von ihnen sind scheu. Andere haben ein wahnsinnig großes Selbstbewusstsein.
Einige machen Witze über sich selbst, weil sie es wirklich lustig finden oder sich hinter dem Konzept "Dicke Menschen sind lustig" verstecken.
Und manche würden sich einfach nur gerne für immer und ewig in ihrem Schneckenhaus verkriechen. Hinter dieser unglaublich großen Mauer, gebaut aus Angst, Sorgen, Zweifeln, Beleidigungen, Erfahrungen und Hoffnungslosigkeit.

Ich glaube, ich bin von allem etwas.
Aber wie man so schön sagt: Mit dem Alter ist einem vieles egal. Und ja, dem muss ich zustimmen. Je älter ich werde, desto weniger Interessiert mich was andere über mich denken. Und soll ich euch mal etwas verraten? Seitdem ich so denke und fühle, geht es mir viel besser als vorher :)
Das Leben ist zu kurz um es jedem recht machen zu wollen.
Wichtig ist nur, dass man selbst glücklich ist und andere nicht ins Unglück stürzt.
Zudem ist es auch ganz schön andere glücklich zu machen, sich aber zeitgleich nicht selbst ins unglück zu stürzen.
Niemand ist perfekt und das streben danach ein Zeitfresser.

Ob ich abnehmen will?
Ja. Nicht, weil ich mich dann im Bikini auf Instagram räkeln kann, sondern der Gesundheit wegen.  Da geht es ums Herz, um meine Organe, um meine Haut und auch die Knochen.
Weniger wäre wirklich gut.
Denn das Leben ist eigentlich echt ganz schön, mit all seinen Höhen und Tiefen :)

In den letzten 36 Jahren habe ich viele Erfahrungen machen dürfen. Ob nun gewollt oder nicht.
Es waren lustige Sachen dabei, skurile und auch sehr bösartige, die mich selbst Jahre später mit Angst zurückdenken lassen.
Beleidigungen die ich noch immer in meinem Kopf höre.
Situationen, die ich nicht vergessen oder verdrängen kann.
Solche Wunden sitzen tief und sie werden mich vermutlich auch weiterhin begleiten.

Vielleicht lesen ja auch ein paar schlanke Menschen mit :)
Dies soll kein Angriff sein, ganz im Gegenteil - denn es gibt auch viel Hass gegen schlanke oder "zu" schlanke Menschen und auch das ist nicht in Ordnung.
Ich habe die Hoffnung, dass vielleicht ein paar Menschen diese Geschichten lesen und darüber nachdenken. Diskutieren. Und wenn sie selbst in so eine Situation kommen, vielleicht anders und souveräner handeln.

***
Dieser Text ist nicht Lektoriert.
Das kommt aber sicher noch :)
Bleibt gesund und habt eine schöne Zeit.
Wir lesen uns bei Kapitel 1.
Eure Laura


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