Kapitel 2

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„Livia, da bist du ja endlich!" Als ich völlig außer Atem in der Schule ankomme, kommt mir Alice schon aufgeregt entgegen gerannt. „Wieso bist du denn schon wieder so spät dran?" „Hab meinen Bus verpasst" Das entspricht zwar nicht ganz der Wahrheit, aber es klingt immer noch besser als „Ich habe schon wieder verschlafen". Eigentlich lüge ich meine Freundinnen nie an, aber das kann man ja nicht wirklich als Lüge betrachten, oder? Wenn dann eine Notlüge...

„Zoe ist schon mal vor in den Matheunterricht gegangen und hat gesagt, dass es dir nicht gut geht und wir deswegen an der frischen Luft sind. " Sofort bereue ich wieder, dass ich Alice eben noch angelogen hatte. Ich habe doch einfach die besten Freundinnen der Welt. Womit habe ich das nur verdient... Ich umarme Alice schnell und murmle noch ein leises „Dankeschön!". „Ach kein Problem. Sowas macht man doch für seine beste Freundin.", antwortet sie lächelnd, „Außerdem wenn Frau Lanz gedacht hätte ,dass du schon wieder zu spät bist, dann hätte sie dich bestimmt zum Direktor geschickt. Ich glaube so viele Klassenbucheinträge wie du hat keiner.", sagt Alice lachend. „ Komm jetzt gegen wir aber besser schnell rein!" Gott sei Dank schöpft Frau Lanz keinen Verdacht. Nach Mathe haben wir zwei Freistunden, die wir im Aufenthaltsraum verbringen. Zoe versuchte mir die Vektorrechnung noch einmal ganz genau zu erklären, doch was Mathe angeht bin ich echt ein hoffnungsloser Fall. Doch Zoe hat die Hoffnung mit mir noch nicht aufgeben. Sie meint immer was noch nicht ist, kann ja noch werden. Ich habe doch echt die besten Freundinnen auf der ganzen Welt....

Nach zwei weiteren Stunden Englisch, ein Fach indem ich ausnahmsweise wirklich gut bin, fahre ich schleunigst nach Hause. Als ich die Tür aufschließe und laut "bin wieder zu Hause rufe", erwarte ich eigentlich keine Antwort. Doch als mir der Geruch von frisch gekochtem Essen in die Nase steigt und jemand "ich bin in der Küche, Schätzchen" antwortet, wundere ich mich. Mum ist anscheinend heute früher von der Arbeit gekommen und hat uns sogar schon was zu Essen gemacht. Verdächtig! Immer wenn sie etwas warmes zum Mittagsessen zubereitet, will sie irgendetwas von mir. Es riecht nach Nudeln mit Bolognese und nach... Pudding...Schokopudding... Meinem Lieblingsessen. Ich setze mich an den Tisch und gieße mir ein Glas Wasser mit Minze ein. Diese Stimmung ist viel zu harmonisch für unsere Familie. Irgendwas ist hier los. Mum stellt die dampfende Schale mit Nudeln auf den Tisch und setzt sich gegenüber von mir... Stille... „Livilein" Und schon fängt es an, habe ich es doch gewusst. Natürlich ist es nicht möglich, dass unsere Familie einfach mal gemütlich zusammen zu Mittag isst, wie jede andere Familie auch. Alles nur dafür damit ich ihr gleich wieder irgendwelche Arbeit abnehme. ...„also könntest du vielleicht heute Nachmittag auf Finja aufpassen. Ich muss echt zu einem wichtigen Meeting und da kann ich sie nicht mitnehmen" Oh nein, nun geht sie zu weit „Mama ich hab heute Nachmittag Gesangsunterricht!" Sie weiß ganz genau, wie wichtig mir der Gesangsunterricht ist! Dies sind die einzigen paar Stunden in der Woche, in denen ich mir keine Sorgen über irgendwelche Probleme in unsere Familie machen muss oder auf Finja aufpassen muss. In diesen paar Stunden bin ich einfach nur für mich selbst und kann Dinge tuen, die mir wirklich Spaß machen. Singen! „ und außerdem muss ich lernen. Ich schreibe in einem Monat mein Abitur."  Vielleicht klappt es ja so. Sobald das Wort „lernen" fehlt, wird sie eigentlich immer hellhörig. „Hmmh wie wäre es denn, wenn du dann heute mal den Gesangsunterricht absagst? Dann kannst du dich aufs lernen konzentrieren und Finja kann neben dran ruhig spielen". Ich fange an zu heulen. „ Immer musst du alles kaputt machen. Denn Gesangsunterricht ausfallen lasse kommt gar nicht in Frage", schreie ich sie an und renne hoch in mein Zimmer. „ Dann musst du Finja eben mitnehmen", ruft sie mir hinterher. Ich schmeiße mich auf mein Bett und schluchze in mein Kissen. Was fiel ihr ein! Immer muss zu alles zerstören. Nur weil sie immer unterwegs ist und tausend verschiede Meetings in der ganzen Welt hat. Ich habe Finja eh schon großgezogen. Seit Dad uns verlassen hat, hat sie gar keine Zeit mehr für uns. Aber das sie jetzt versucht meine Zukunft zu ruinieren, ist einfach unfair.

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