Kapitel 27

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L I A M

Mr Horan war fuchsteufelswild.

Ich meine, er war in letzter Zeit immer mehr zu einem Hitzkopf geworden, der seine Entscheidungen nicht mehr sorgfältig bedachte, aber das hier war anders. Das erste Mal seit Langem sah ich wieder echte, absolut von Herzen kommende Emotion in seinen Augen erstrahlen – zwar handelte es sich um Verzweiflung, Furcht, Sorge und eine beachtliche Sammlung weiterer ähnlich negativ besetzter Empfindungen, aber zumindest hatten sie diese merkwürdige Gleichgültigkeit verjagt, mit der er allem und jedem entgegenzutreten gepflegt hatte.

Wir waren während unserer Krisensitzung zu dem Schluss gekommen, dass es am sinnvollsten war, wenn einer von uns direkt am Geschehen der Übergabe teilnahm und gegebenenfalls ein paar Fäden ziehen konnte – und da Bobby Horan mir nach meinem Anruf, mit dem ich Niall zu retten geglaubt hatte, mehr vertraute als jedem anderen in seinem Team, war sich darauf geeinigt worden, dass ich die auserwählte Person sollte. Wenn der Chef auf jemanden hörte, dann war das wohl ich.

Schwer schluckte ich den bitteren Nachgeschmack dieser Gedanken hinunter. Diesen Status hatte ich mir immerhin damit verdient, meinen besten Freund, der wie ein Bruder für mich war, zu verraten. Und ihn damit direkt in die Klauen des Teufels zu zwingen.

Gott, wie war ich dumm gewesen.

Wir waren mit zwei unserer zivilen Einsatzfahrzeuge unterwegs, wobei Mr Horan und ich in dem einen saßen, während Ed und Eleanor mit zwei weiteren unserer Leute (deren Lebensgeschichten nun gründlich auf Unstimmigkeiten und kriminelle Hinweise gefilzt worden waren) von einer anderen Richtung zeitversetzt im Industriegebiet eintreffen würden. Paul sollte der Planung nach mit den beiden geforderten Häftlingen als Letzter eintreffen und uns somit je nach Möglichkeit Verhandlungszeit schaffen.

Bobby Horan war irgendwann auf halbem Wege zum Einsatzwagen wie aus dem Nichts in Schluchzen ausgebrochen, und ich war wie der größte Trottel danebengestanden und hatte vor lauter Bestürzung nicht gewusst, was ich tun oder sagen sollte. Ein weinender Mr Horan?

Ich kannte ihn als herzhaft lachenden, wütend schreienden, zäh kämpfenden Mann, aber diese Tränen? Das war eine komplett neue Dimension, die mich zur fürchterlichen Marionette meiner eigenen Unbeholfenheit machte.

Nun saßen wir schweigend nebeneinander im Wagen, mein Chef am Steuer, das Gesicht im Schein der Straßenlampen noch immer verdächtig feucht glänzend.

Ich schluckte ein weiteres Mal und versuchte, mich nicht allzu sehr in dessen Lage hineinzuversetzen. Der erste seiner Söhne war von hektischen Sanitätern nach einer schrecklich zäh verlaufenden Wiederbelebung mit Sirenen und Blaulicht ins nächste Krankenhaus eingeliefert worden. Und der zweite befand sich in der Gewalt unberechenbarer Mörder und war womöglich nicht einmal mehr am Leben.

Niall sollte wirklich damit aufhören, sich ständig als Druckmittel von irgendwelchen Leuten von der Straße pflücken zu lassen.

„Wir zwei werden die Einzigen sein, die sich offen an der Übergabe blicken lassen", informierte Bobby Horan mich mit belegter Stimme zum vierten Mal. Er hatte uns seine Herangehensweise schon so detailliert eingebläut, dass es sich wirklich niemand mehr anhören wollte, aber ich blieb geduldig. Was dieser Mann gerade durchmachte, das wünschte ich meinem schlimmsten Feind nicht.

Wobei. Wenn ich an Adam Levine dachte, spürte ich Gift und Galle hochkochen.

Zum Glück sprach Mr Horan weiter und erstickte meinen moralischen Zwiespalt im Keim.

„Wir beide treten diesem Mistkerl entgegen, legen unsere Waffen hin und versuchen irgendwie, eine Verhandlungsbasis zu schaffen." Er zog eine Grimasse. „Auch wenn ich beim besten Willen nicht weiß, worüber man noch verhandeln sollte. Wichtig ist, dass wir ihn und seine Leute beschäftigt halten, während sich Ed und die anderen positionieren." Kurze Pause. „Ich habe veranlasst, dass Adam tödlich ins Fadenkreuz genommen werden darf, sollte sich die Gelegenheit dazu bieten."

Revenge (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt