Kapitel 28

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NIALL

Noch nie in meinem ganzen miesepetrigen Leben war ich so schnell gewesen.

Dank des Trainings im Rahmen des Sondereinsatzteams, das von Kindheit an allgegenwärtig gewesen war, hatte ich im Sportunterricht durchaus mit Glanzleistungen punkten können – womit ich sämtliche Sportlehrer überrascht hatte, da ich ansonsten in meiner Jugend ein nicht gerade beeindruckender Knirps gewesen war – aber dass mein Körper eine solche Reaktionsschnelligkeit an den Tag legen konnte, Halleluja.

Wes, dieser Scheißtyp, hatte tatsächlich einfach abgedrückt.

Besonders bei ihm hatte ich eigentlich mit langwierigen Bedauernsreden gerechnet, vor allem, nachdem er mir in den vergangenen drei Minuten sein ach so tragisches Interesse an mir unmissverständlich klargemacht hatte.

Worüber ich, so ganz nebenbei, immer noch durch und durch entsetzt war.

Wie auch immer, jedenfalls hatte ich im Bruchteil einer Sekunde noch seinen Zeigefinger am Abzug der Waffe zucken sehen und mich instinktiv geduckt nach vorne geworfen, woraufhin der wohlgezielte Schuss mit einem merkwürdigen Geräusch an die Wand krachte. Der graue Beton verschluckte die Kugel natürlich nicht, sondern schleuderte sie in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war.

Grundsätzlich hätte Wes sich als Resultat damit wohl auf die ungünstigste Art und Weise selbst erschossen, aber da ich mich in meinem Tauchmanöver zielgerecht auf ihn gestürzt, im Fall seinen Unterkörper wie ein Klammeraffe umschlungen und uns beide knapp neben seinem Auto zu Boden gerissen hatte, verfehlte die Kugel uns beide. Stattdessen schlug sie in die Beifahrerscheibe ein und verwandelte diese in das Abbild eines ziemlich skurrilen Spinnennetzes.

Grimmige Genugtuung erfüllte mich. Diese Idioten sollten endlich damit aufhören, mich ständig zu unterschätzen.

Wes' Arm kollidierte in einem absolut ungesund wirkenden Winkel mit dem hinteren Reifen seines eigenen Autos, doch wie durch ein Wunder (und zu meiner verärgerten Ernüchterung) schaffte er es irgendwie, die Waffe nicht loszulassen. Ich verlor keine Sekunde, sondern attackierte seine Schusshand, bevor er diese erneut anlegen konnte. Ein zweites Mal würde er sich wohl nicht von Blondie überrumpeln lassen.

„Du kleines Biest", knurrte er und holte mit der anderen zur Faust geballten Hand aus, doch ich duckte mich rechtzeitig und rammte ihm mehr durch Zufall als durch Kampfskills den Ellbogen ins Gesicht.

Wes brüllte vor Überraschung und Schmerz auf, als sein Nasenbein unter dem Schlag mit einem beachtlich lauten Knacken nachgab. Unter anderen Umständen hätten sich bei diesem grausigen Geräusch jetzt sämtliche Haare auf meinen Armen in einer Gänsehaut aufgestellt, aber mal ehrlich: Ich hatte eben eine wie dämlich blutende Schusswunde aus nächste Nähe gesehen, ohne direkt darauf zu kotzen und war gerade schon wieder beinahe selbst erschossen worden. Was sollte mir da eine gebrochene Nase ausmachen?

Jene gebrochene Nase war tatsächlich so schief, dass sie eher Lach- als Brechreiz in mir ausgelöst hätte, hätte ihr Besitzer nicht so verbissen versucht, mich zu ermorden.

Irgendwie schaffte ich es, ihm die Waffe aus den verkrampften Fingern zu winden, doch bevor ich den Spieß umdrehen und sie auf einen fluchenden Wes konnte, traf mich ein Tritt in die Seite und ließ mich mit einem Keuchen zusammenklappen.

Oh nein. Auf keinen Fall würde ich die Pistole wieder in Wes' Klauen wandern lassen. Und bevor das geschah, verzichtete ich lieber auch selbst komplett darauf.

Diesen Gedankengang verfolgend tat ich das Einzige, was mir sinnvoll erschien: Ich schleuderte die Waffe in hohem Bogen quer über sämtliche geparkte Fahrzeugte hinweg in Richtung des Ausgangs zum Treppenhaus, woraufhin mir mehrfach klappernde Geräusche verrieten, dass sie soeben die Stufen hinabpurzelte.

Revenge (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt