42. Kapitel

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Der nächste Tag begann früh um 7 Uhr. Alle Schüler waren verpflichtet Uniform zu tragen, und zwar nicht die, die aus Schlabberpulli und Jogginghose bestand, sondern aus Kniestrümpfen, weinrotem Rock, weißer Bluse und dunkelblauem engen Pullover mit blauroter Krawatte. Ich mochte die Uniform, auch wenn ich froh war, sie nicht jeden Tag tragen zu müssen. Zusammen mit Lynn ging ich zum Frühstück. Sie hatte anstatt eines Pullovers ein blaues Jackett an. Alle so einheitlich zu sehen, war echt ungewohnt. Diese Art der Uniform mussten wir nur bei Schulausflügen oder Veranstaltungen tragen. Trotzdem trug ich unter der Woche, so wie viele andere auch, meinen Schulpullover oder das passende Shirt. „Na Süße? In Uniform siehst du noch viel heißer aus", begrüßte mich Cole und ich rollte mit den Augen. Er trug sein Hemd falsch geknöpft und seine Krawatte sah auch etwas merkwürdig aus. Auch da Cole eher schlaksig war, sah dass alles etwas irrwitzig aus. „Meine Bluse passt mir nicht mehr", beschwerte sich Megan am Tisch. Da ihre Brüste relativ groß waren, spannte die Bluse und hinterließ einen Spalt bei der Knopfleiste. „Wenn du einen Pullover drüberziehst, sieht das kein Mensch mehr. Und demnächst kaufst du dir einfach eine neue und ziehst nicht mehr die an, die du seit der 7. Klasse besitzt", riet ihr Freya schnippisch. Durch ihre roten Haare standen ihr die Klamotten außerordentlich. Da konnte man echt neidisch werden. Freya war auch im Planungskomitee der Schule und hatte diesen Tag mit geplant. Mit ein paar anderen Schülern aus dem Komitee würde sie heute auch auf die Bühne gehen und eine Rede halten. Ich dagegen würde die Zeit in der Turnhalle verbringen, und darüber war ich auch sehr glücklich. Nachdem ich meinen Joghurt aufgegessen hatte, brachte ich mein Geschirr weg und machte mich auf dem Weg zurück zum Internatsgebäude. Überall herrschte hektisches Treiben und Schüler liefen hin und her. Um 9 Uhr machte ich mich auf den Weg zur Turnhalle um bei den Vorbereitungen zu helfen. Maxe stand schon in der Mitte der Halle und gab Anweisungen. „Schön, dass du da bist, Elsa. Hier ist deine Station", begrüßte er mich und gab mir einen Zettel. „Wer ist denn mein Partner?", fragte ich ihn, ganz interessiert auf die Antwort. „Jayden. Er hat auch schon angefangen, die Station aufzubauen", antwortete er und wandte sich schon dem Nächsten zu. Doch das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen. „Maxe? Ich möchte nicht mit Jayden zusammenarbeiten. Kannst du mich nicht zu wem anders einteilen?", bettelte ich. Maxe schüttelte aber den Kopf: „Du bist alt genug um über sowas drüber zu stehen. Im Leben muss man manchmal mit Menschen zusammenarbeiten, die man nicht mag. Und jetzt möchte ich keine weiteren Beschwerden hören". Damit war für ihn die Sache gegessen. Frustriert ging ich in Richtung Jayden. Er trug eine knielange Shorts und ein Hemd mit einem Pullunder drüber. Dazu kamen die langen Strümpfe und die Krawatte. Seine Haare hatte er mit Gel in Form gebracht. Ich musste schon zugeben, dass er in diesem Outfit nicht schlecht aussah, sogar irgendwie heiß. Schnell verbannte ich diesen Gedanken aus meinem Kopf. Als ich näher kam blickte Jayden nur kurz auf und konzentrierte sich dann wieder auf seine Arbeit. Er hatte schon die Kegel aufgestellt, die als Markierung dienen sollten. In unserer Station mussten die Kinder einen Ball so oft es ging hoch baggern. Dabei mussten sie in einer bestimmten Fläche bleiben. In der Station davor, wurde ihnen die richtige Technik gezeigt. „Könntest du noch 2 Kugelschreiber holen?", fragte mich Jayden plötzlich und sah mich fragend an. Ich nickte und ging los. Zurück kam ich mit 2 Kugelschreibern, die ich auf die Bank legte, die dort an der Wand stand. Dann setzte ich mich zu Jayden. Zuerst schwiegen wir, doch dann unterbrach er das Schweigen: „Könnten wir den Streit für heute ruhen lassen und wenigstens so tun, als ob wir uns leiden können? Nur für diese paar Stunden?". „Wir können es versuchen, aber wenn du denkst, dass ich dir verzeihe, dann irrst du dich gewaltig", stellte ich klar und damit war die Sache geregelt. Als die ersten Kinder kamen, bekam ich etwas Angst. Viel Erfahrung hatte ich nicht mit ihnen. Die Eltern sahen gespannt zu wie ihre Kleinen die Stationen durchliefen. Jayden war die Ruhe in Person und erklärte alles fachmännisch. Ich assistierte und zählte mit die Anzahl der Baggerversuche. Dann schrieb ich sie auf ihren Laufzettel. Auch führten wir den Kindern am Anfang vor, wie sie die Aufgabe ausführen sollten. Eine interessierte Mutter fragte mich nach meinen Erfahrungen und ob ihr Kind es hier schaffen könnte. „Ich bin erst seit einem Jahr hier und finde es großartig. Es ist wie eine große Familie. Ich kann es nur empfehlen, jedoch sollte man auch bedenken, dass es harte Arbeit ist und man viel Zeit und Mühe hier rein investieren muss. Doch wenn ihr Kind das wirklich will, dann kann er es schaffen. Er muss nur an sich glauben", antwortete ich und die Mutter schien beruhigt. Ihr Sohn war tatsächlich sehr gut für sein Alter und auch schon relativ groß. Ich rechnete ihm gute Chancen für die Schule aus. „Ich fand das was du zu der Mutter gesagt hast, echt schön. Vor allem auch, dass du es hier großartig findest, auch wenn es manchmal nicht einfach ist. Und ich bin einer der Faktoren, der es dir nicht einfach macht und das tut mir leid. Aber auch, als du meintest, dass man nur an sich glauben muss, hat es mich sehr berührt. Ich will nicht, dass du je aufhörst an dich zu glauben, egal was andere sagen...oder ich", sagte er in einer kleinen Atempause. Ich sah ihn überrascht an. „Du machst es mir nicht grade leicht, das stimmt. Und der Grund ist mir immer noch nicht ersichtlich. Ich würde es sehr begrüßen, wenn du mich demnächst in Ruhe lässt, damit ich die Zeit hier mehr genießen kann", erwiderte ich schärfer als beabsichtigt. Jayden zuckte zurück. Er sah verletzt aus. „Ich möchte dir nichts Böses, Elsa. Und es tut mir leid, dass ich dir immer weh tue, dass ist nie meine Absicht. Ich möchte, dass wir Freunde und keine Feinde sind", sagte er leise und wandte sich dann ab. Da die nächsten Kinder kamen, konnte ich darauf nichts erwidern. Um 12 Uhr wurden wir von zwei 9. Klässlern abgelöst. Jayden fragte mich, ob wir gemeinsam essen gehen wollten. Eigentlich wollte ich ablehnen, doch mein Magen knurrte. Auf dem Weg zur Mensa kamen wir an vielen Menschen vorbei, die sich das Gelände anschauten. Ein älteres Mädchen ebenfalls in Uniform mit einer Kamera in der Hand blieb vor uns stehen. Sie hielt die Kamera auf uns und rief: „Bitte einmal lächeln!". Nachdem sie abgedrückt hatte, schaute sie sich das Bild an. „Ihr seht so süß zusammen aus! Das Foto kommt ganz sicher in den nächsten Schulflyer!". Na toll, jetzt war ich für immer mit Jayden abgebildet. Ihn schien das eher weniger zu stören. In der Mensa gab es Lasagne und Gemüsepfanne. Ich stellte eine Schale mit Lasagne auf mein Tablet, holte mir dann einen Salat und einen Orangensaft. Jayden folgte mir zu einem Tisch und wir setzten uns. Ein paar Familien schlichen in der Mensa rum und begafften uns beim Essen. Das war echt störend. „Ich bin froh, wenn ich wieder ungestört essen kann", jammerte ich. „Wann kann man hier denn ungestört essen? Alex und Freya sind immer am rumfummeln, Cole spielt mit Essen und Chloe redet so laut, dass man Ohrenschmerzen davon bekommt!", entgegnete Jayden und ich musste ihm zustimmen. Still war es hier tatsächlich nie. Außer wenn man am Wochenende extra früh aufstand. Und das mied ich, wenn es möglich war. „Was hast du heute noch so vor?", fragte mich Jayden beiläufig. „Ich wüsste nicht was dich das angeht", antwortete ich, denn ich hatte keine Lust darauf mich groß mit ihm zu unterhalten. „Nett wie immer. Darf ich noch nicht mal Small Talk mit dir führen?", er schien amüsiert. Und das nervte mich nur noch mehr. „Das ist doch alles ein Witz für dich, oder? Ich bin doch nur jemand an dem du deinen Spaß haben kannst und nichts weiter! Leider habe ich darauf keine Lust. Und auf dich auch nicht!" Ich war außer mir vor Wut und wurde merklich lauter. So laut, dass sich andere schon gespannt nach uns umsahen. Ich stand auf, nahm mein Tablett und zog beleidigt ab. Jayden rief mir etwas hinter, doch ich ignorierte es. Ich ging in Richtung Internat, wo ich hoffte Charlie anzutreffen. Und tatsächlich führte sie grade eine kleine Gruppe durch das Gebäude. Ich schloss mich ihnen an um Charlie zu lauschen. Und vielleicht um sie etwas aus dem Konzept zu bringen. Als sie mich bemerkte, lächelte sie und zwinkerte mir zu. Sie führte die Gruppe durch die Gemeinschaftsräume und dann zu den Schlafräumen der Klassen 5 bis 7. Diese unterschieden sich wesentlich zu den Räumen der oberen Klassen. Denn hier schliefen die Schüler zu dritt oder viert in einem Raum, geteilte Wohnzimmer gab es nicht. Außerdem gab es Gemeinschaftsbäder. Charlie musste einige Fragen von Eltern beantworten, wie z.B. wann Schlafruhe war und wie die Betreuung der Kinder aussah. Bei den unteren Klassen schlief immer noch ein Betreuer mit auf der Etage bzw. dem Wohnsektor. So hatte jede Klassenstufe einen eigenen Ansprechpartner. Dies zog sich bis zur Klasse 8, die in 2er Zimmern untergebracht waren, alle mit einem eigenen Bad. Ab der 9. Klasse wohnte man dann in Wohngemeinschaften mit kleinem Wohnzimmer und Bad. Die 13. Klassen, die eh nur bis zum Anfang des 2. Semesters zur Schule gingen, wohnten im Dachgeschoss. Dort gab es noch eine private Gemeinschaftsküche. Zwischendurch zeigte Charlie noch Beispiele an Zimmern, damit die Eltern einen Eindruck davon bekamen, wie es aussehen könnte, wenn ihr Kind hier wohnen würde. Da Charlie danach gleich wieder eine Führung hatte, verabschiedete ich mich kurz von ihr und ging dann nach draußen. Auf einem Fußballfeld veranstalteten die Fußballer ein Torwandschießen bei dem anschließend etwas gewonnen werden konnte. Ich erblickte Grayson und winkte ihm zu. Er winkte mir zurück und lächelte. Ich ging zu ihm. „Na, darf ich auch mal?", fragte ich ihn und versuchte große Hundeaugen zu machen. Ob es gelang, wusste ich nicht. „Na klaro. Schieß los", antwortete Grayson und legte mir den Fußball in Position. Ich konzentrierte mich, schoss und...traf nicht. Der Ball prallte von der Wand ab und rollte wieder auf mich zu. „Leider daneben. Aber du bekommst einen Trostpreis", meinte Grayson und ein anderer Fußballer gab mir einen Sticker. Außerdem umarmte mich Grayson. „Bekommen das die anderen auch als Trostpreis?", fragte ich ihn leise. „Nein, das bekommen nur ganz besondere Personen", antwortete er und drückte mich sogar noch ein bisschen fester. Als ich mich wieder umdrehte um zu gehen, entdeckte ich Jayden, der mich von Weitem musterte. Ich versuchte ihn zu ignorieren und ging in Richtung des Schulgebäudes. „Hey, Elsa. Warte mal", rief er mir zu und ich blieb stehen. Als er ankam, hielt er eine kleine pinke Zuckerwatte in der Hand und streckte sie mir entgegen. „Die habe ich für dich gekauft. Vielleicht als kleines Wiedergutmachungsgeschenk. Du musst mich nicht leiden können, aber ich würde gerne wollen, dass wir wieder normal miteinander reden können. Nimmst du meine Entschuldigungsgeste an?", fragte er mit riesigen Hundeaugen. Da konnte ich nicht nein sagen. „Ich nehme das nur an, weil ich Zuckerwatte mag. Nichts anderes", erklärte ich, nahm die Süßigkeit und machte ein Stück ab um es in den Mund zu stecken. Jayden schien erleichtert und folgte mir in Richtung Schulgebäude. Dort wollte ich mal sehen, wie es innen nun aussah. Danach wollte ich zum Testspiel. Jayden fragte gar nicht wo hin ich wollte, und trottete mir einfach hinter her. Das Schulgebäude wimmelte nur von Menschen, die kreuz und kehr durch die Gänge liefen. In den Räumen gab es Rätsel, Experimente und Präsentationen. „Oh schau mal, es gibt eine Schulrally!", sagte ich begeistert zu Jayden und nahm mir ein Blatt mit Stift. Darauf standen Fragen, die man über die Schule beantworten musste. Wie z.B. wo das Chemielabor anzufinden war, oder ab welcher Klassenstufe man Tablets zur Verfügung gestellt bekam. „Die Fragen kann ich alle im Schlaf beantworten", meinte Jayden gelangweilt, nahm mein Blatt und kritzelte dort die Antworten drauf. „Du Spielverderber!", meckerte ich ihn an und entriss ihm das Blatt. Ich zerknüllte es und warf es in den nächsten Mülleimer. „Wollen wir dann zum Spiel schauen?", fragte ich ihn und er stimmte zu. Auf dem Weg zur Turnhalle kamen wir wieder an den Fußballfeldern vorbei, wo ich Ausschau nach Grayson hielt. „Ihr seid ziemlich eng miteinander, stimmt's?", fragte mich Jayden plötzlich und ich wusste zuerst gar nicht was er meinte. „Mit Grayson? Mmhh. Ja, kann schon sein. Wir verstehen uns auf jeden Fall gut und ich mag ihn...sehr sogar. Wieso?", fragte ich zurück und richtete meinen Blick wieder auf den Weg vor mir. „Nur so", sagte er leise. Bei so einer Antwort hätte er nicht fragen brauchen. Aber typisch Jayden, einen auf geheimtuerisch machen. Ich war froh als wir bei der Turnhalle ankamen. Wir setzten uns auf die Tribüne, die schon gut gefüllt war. Das Spiel hatte grade erst begonnen. Zuerst spielten die Jungs und dann die Mädchen. Auf einer Bank sah ich Holly sitzen. Schon ihr Anblick machte mich wütend. Dabei war nicht sie die Schuldige, sondern Jayden. Als er Holly ebenfalls erblickte, winkte er ihr zu und lächelte. Sie lächelte ebenfalls. Schnell wandte ich den Blick ab und konzentrierte mich auf das Spiel. Am Ende des Spiels stand ich auf und machte mich bereit zu gehen. „Hey warte! Willst du nicht auch die Mädels spielen sehen?", fragte er verwundert. „Nein, danke. Darauf habe ich keine Lust", erwiderte ich und strebte Richtung Ausgang. Jayden folgte mir jedoch. „Ist es wegen Holly?". Ich antwortete nichts darauf und ging einfach wortlos weiter. Jayden ergriff mein Handgelenk und drehte mich zu sich. „Was?!", blaffte ich ihn an, blieb aber stehen. „Es ist wegen Holly, oder? Du kannst sie nicht leiden", stellte er fest. „Du denkst aber auch, dass sich alles nur um dich dreht? Was ist, wenn ich einfach keine Lust mehr hatte, in der stickigen Turnhalle zu sitzen?", entgegnete ich und sah ihn herausfordernd an. Doch Jayden lachte nur. „Ja klar. Du kannst mir nichts vormachen, Elsa!". Ich musste dringend lernen besser zu lügen. Oder einfach nicht auf seine Fragen zu antworten. „Und wenn schon. Das geht dich gar nichts an. Und das Holly nicht grade mein Lieblingsmensch ist, liegt doch auf der Hand", gab ich zu. Trotzig sah ich ihn an, was ihn nur noch mehr zu amüsieren schien. „Du siehst so süß aus, wenn du bockig bist. Aber das interessiert dich wahrscheinlich eher weniger. Wie dem auch sei. Holly hat nichts damit zu tun. Ehrlich gesagt, versucht sie Mathilda sogar zu überreden mit einem Mädchen aus ihrem Jahrgang zu beachen, damit ich wieder mit dir spielen kann. Denn ich kann mir mittlerweile keine andere Partnerin mehr vorstellen außer dir". Das überraschte mich eiskalt. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. „Jetzt ist es eh zu spät", sagte ich nur noch und wandte mich wieder ab. Ich wollte zurück auf mein Zimmer und mich etwas ausruhen. Jayden folgte mir auch glücklicherweise nicht mehr. Wahrscheinlich sah er Holly beim Spiel zu. So ging er mir wenigstens nicht mehr auf die Nerven. Im Internatsgebäude musste ich mich durch die Mengen quetschen und war froh, als ich endlich vor meiner Zimmertür stand. Lynn saß auf der Couch und sah ihre Fernsehserie. Ich setzte mich neben sie und zog meinen Pullover aus. Außerdem lockerte ich meine Krawatte. Lynn hatte schon längst ihre Schuluniform gegen eine Jogginghose und ein lockeres Shirt ausgetauscht. Schweigend saßen wir nebeneinander und ich war froh über die Ruhe. Irgendwann ging ich in mein Zimmer und tauschte ebenfalls meine Klamotten gegen gemütlichere. Dann legte ich mich ins Bett und las.

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