Kapitel 11

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»Hast mich aus deinem Leben geschossen
Und wo's am meisten wehtut getroffen.«

Es wurde immer wärmer und die letzte Kälte des Winters verließ das Wetter. Und trotzdem war alles kälter als sonst. Socail distancing nannten sie es. Das Soziale und die Begegnung aus der Gesellschaft rausnehmen. Und so kam es das, obwohl es jeden Tag wärmer wurde es zwischen den Menschen kalt war. 

Die Straßen Berlins waren so leer wie nie und in der Nacht war es ruhiger als ich es jemals erahnen konnte. Alle Auftritte wurden auch für die nächsten Monate abgesagt und ich vermisste die Energie, die ich immer auf der Bühne hatte. 

Mein Album war fast fertig, doch auch das Studio war zum größten Teil ein Tabu gewesen. Ich hatte viel Equipment mit nach Hause genommen und hatte auch im "Home-Office" gearbeitet. Mein Klavier war wieder zu einem warmen Platz geworden und war immer eine Willkommene Ablenkung. Denn ohne Treffen mit Freunden, meiner Familie oder anderen Menschen und keinem stressigen Terminkalender hatten meine Gedanken viel Zeit zum Nachdenken. Und viel öfter als ich es wollte blieben meine Gedanken an ihm hängen. An ihm und ihr. Mittlerweile schaute ich nichts mehr an was er teilte. Zu groß war die Sorge, dass ich wieder Zusammenbrechen würde. 

Es wird immer gesagt: "Zeit heilt alle Wunden" doch der Schmerz wurde nicht kleiner. Ich hatte das Gefühl das ich über die Wochen und Monate nur lernte damit umzugehen und den Schmerz in mir zu begraben. Ich versuchte so viel es möglich war ihm aus dem Weg zu gehen. Doch immer wieder schrieb er mir. Und immer, wenn ich ihn mit meinem Schweigen bestrafen wollte rief einer unserer Freunde an und erkundigte sich nach mir. Somit gab ich es irgendwann auf und antwortete ihm so knapp wie ich konnte. 

Mein Album erschien und für wenige Wochen bescherte es mir Ablenkung. Kurz nachdem es veröffentlicht wurde, postete Nico was. Und zum ersten Mal seit Monaten schaute ich mir seine Story an. "Eine unglaubliche Künstlerin hat ein neues Album und ich liebe es!" schrieb er über einen Screenshot von Spotify. Ich musste schmunzeln auch, wenn es weh tat. Das Lied "Deine Nummer" für ihn hatte ich auch rechtzeitig beendet und es war nun auf veröffentlicht. Der Gedanke, dass er es gehört hatte ließ mich lächeln. Ich hatte mit der Promotion für das Album so viel es in dieser Zeit ging zu tun, dass ich es fast gar nicht bemerkte wie die Wochen vorbei flogen. 

Jeden Dienstag schaute ich Sing mein Song und in unserem Gruppenchat diskutierten wir immer über die Folgen während wir in den Erinnerungen schwelgten. Als es mittlerweile Ende Juni war und sich der Alltag langsam normalisierte, kam die Einladung, dass wir uns treffen könnten, um wenigstens die letzte Folge gemeinsam zu schauen. Und, obwohl wir alle in einer Zwangspause waren, schafften wir es nicht uns die Folge am Dienstag anzuschauen. 

Jedoch hatten glücklicherweise am Samstag alle Zeit und somit stand der Plan. Schon Tage vorher bereitete ich mich mental darauf vor Nico wiederzusehen. Ich hatte schon überlegt kurzzeitig krank zu sein, doch zu sehr freute ich mich die anderen zu sehen.Wir hatten uns für um 8 verabredet in einem großen Raum mit Beamer den irgendwer gemietet hatte. Ein paar der Produzenten und Freunde aus der Crew hatten wir auch eingeladen, jedoch nicht zu viele um die Begrenzung nicht zu überschreiten. Mit Ilse hatte ich ausgemacht, dass sie bei mir übernachten konnte. 

Ich riskierte einen letzten Blick in den Spiegel bevor ich aus der Tür ging und hinter mir zu schloss. Ein paar Haltestellen später war die U-Bahn an meiner Station angekommen und ich war froh, dass ich wieder nicht erkannt wurde. Ich lief die letzten Meter durch die Straßen Berlins bis ich vor einem großen Gebäude stand. Unschlüssig ob ich richtig war, ging ich ins Gebäude. Verwirrt kramte ich mein Handy aus der Tasche, um die Adresse nochmal zu vergleichen. In unserem Chat hatte Mo gefragt in welche Etage wir müssten. 

Ich ging zum Fahrstuhl und fuhr zur genannten Etage. Als sich die Türen öffneten, konnte ich schon Ilses Akzent ausmachen. Ich ging um die Ecke und sah schon fast alle Künstler auf Sofas sitzen, die im Raum standen. Ich ging weiter auf sie zu bis Max mich als Erstes sah: "Lea! Na hast du auch zu uns gefunden" er kam mit offenen Armen auf mich zu und umarmte mich. Auch Mo umarmte mich kurz mit einem klopfen auf meinen Rücken. Unser Gastgeber, so erfuhr ich später, war natürlich als erster da gewesen und gab mir auch eine herzliche Umarmung. Als Letzte war Ilse dran. Wir quietschen beide kurz bevor wir uns endlich wieder in die Arme schlossen. 

Ich setze mich zu ihnen neben sie, die bis gerade noch neben Max gesessen hatte. Ilse zog nur die Augenbrauen hoch und ich wusste was sie meinte. Wir hatten lange über heute Abend geredet und immer wieder hatte sie gefragt wie ich mich fühlte ihm wieder so nah sein zu werden. Ich nickte nur und Max begann mich auszufragen was bei mir alles passiert war. Kurz nach mir kam schon Jan den wir auch alle herzlich begrüßten genauso wie die anderen es mit mir schon gemacht hatten. Dieser begutachtete, nachdem er sich gesetzt hatte den Raum und zeigte uns Details, die keinem von uns bis dahin aufgefallen waren. Irgendwann sagte Patty: "Jetzt fehlt nur noch Nico. Aber das wäre auch neu gewesen, wenn er pünktlich gewesen wäre." Ich spürte wie mein Herz anfing schneller zu schlagen und ich hatte die Hoffnung, dass er es doch vielleicht nicht schaffen würde. 

Zwanzig nach acht erst hörte ich seine Stimme als er sich noch beim Gehen entschuldigte. Ich drehte meinen Kopf in Richtung Fahrstuhl und mein Atem setzte bei seinem Anblick aus. Er sah nicht anders als vorher aus, doch nachdem wir uns Monate lang nicht gesehen hatten überraschte mich sein Anblick und sein typisches schräges Lächeln, dass er wie immer auf den Lippen trug. Er umarmte alle wie wir es davor auch schon gemacht hatten. Als er vor mir stand, nahm ich all meine mentale Stärke zusammen und stellte mich aufrecht hin und zwang mir auch ein Lächeln auf die Lippen. Er umarmte mich länger und inniger als ich es eigentlich gewollt hätte. Als er mich irgendwann losließ, kribbelte mein gesamter Körper und ich hasste mich selbst dafür.

»Und ich Idiot will doch immer wieder hoffen.«

Endlich wieder GänsehautWo Geschichten leben. Entdecke jetzt