Kapitel 2

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06.02.

Der kleine Junge nimmt seine Schwester in den Arm. Sie zittert am ganzen Körper.
Draußen regnet es und ein eiskalter Wind pfeift durch die Ritzen der Holzhütte. Seine Finger sind bläulich verfärbt.
Vorsichtig wickelt er sie in die Decke und hebt sie hoch.
Sie wiegt nicht viel.
"Wo gehen wir hin?", haucht sie.
Ihre Stimme ist nur noch ein kleiner Hauch. Sie ist enorm geschwächt.
Der kleine Junge schüttelt nur leicht den Kopf und geht los. Immer wieder hält er an, um zu verschnaufen. Ihr geht es immer schlechter.
"Alles wird gut!", flüstert  er und versucht sie dazu zu ermutigen weiter zu kämpfen.
"Halt durch, mein Engelchen!"
Für ihn war sie schon immer Engelchen.
Eigentlich heißt sie anderes, doch er weiß es nicht mehr.
Sie glüht. Ihr Fieber steigt und jede Minute verschlechtert sich ihr Zustand.
Der Kleine beginnt zu rennen. Schließlich steht er vor dem Pfarrhaus. Er legt sie vorsichtig ab und drückt schließlich die Klingel. Schüchtern schaut er zu Boden.
Schritte nähern sich.
Dann wird die Tür aufgerissen und da steht er, ein stämmiger Mann, Anfang vierzig.
Ängstlich schaut der Kleine weg.
"Bitte helfen sie meiner Schwester!", fleht er leise und rennt weg.
Tränen bahnen sich ihren Weg über seine Wangen.
Er rennt, stolpert, fällt hin. Doch er steht auf, rennt weiter und fällt erneut...

Alex Lehmann steht da und schaut dem Kleinem hinterher.
"Ist er dein Bruder?", fragt er das Mädchen.
Sie nickt.
Ihre Wangen sind ganz rot.
Er bückt sich zu ihr nach unten und legt vorsichtig eine Hand auf ihre Stirn.
"Du hast ja Fieber", sagt er erschrocken und sein Gehirn schaltet aus.
Er nimmt das Kind, hebt es hoch und wundert sich über das fehlende Gewicht. Schnell trägt er es in seine warme Wohnung und legt es auf sein Sofa.
Danach holt er sein Handy raus und ruft einen Arzt an.
Das Mädchen hat angefangen zu weinen.
Hilflos sieht er es an. Was soll er tun? Er hatte doch nie Kinder. Auch wenn das Zölibat (verbietet Priestern zu heiraten) schon längst nicht mehr existiert seit dem großem Aufstand 2050, hat er keine Familie gegründet. Er will nicht, dass seine Nachkommen in so einer Welt leben müssen. Schließlich nimmt er das kleine Kind in den Arm und drückt es sanft gegen seine Brust.
"Alles wird gut!", murmelt er in ihre weichen dicken Locken.
Wenig später klingelt es erneut.
Sein Freund Simon Frent steht vor der Tür. Er ist 27 und hat gerade sein Medizinstudium beendet.
"Hey, was gibt's?", fragt er sofort, als er das besorgte Gesicht von Alex sieht.
Dieser führt ihn einfach nur ins Wohnzimmer. Auf der Couch liegt das kleine Mädchen und sieht die beiden verängstigt an. Sie zittert am ganzen Leib.
Schnell geht Simon zu ihr und holt ein Thermometer aus seinem Arztkoffer. 40°C.
"Das sieht gar nicht gut aus!", brummt Simon und holt eine kleine Schachtel aus seinem Koffer.
"Hast du mal nen Glas Wasser?"
Auffordernd sieht er zu Alex. Dieser nickt und eilt sofort in die Küche. Wenige Augenblicke später ist er auch schon wieder da.
Vorsichtig richtet Simon das Kind auf und fordert es auf, den Mund zu öffnen...

Der Kleine rennt zur Holzhütte und schließt sofort die Tür. Außer Atem bricht er zusammen.
"Warum?", haucht er, "Warum auch noch sie?"
Er bricht erneut in Tränen aus. Lange bleibt er liegen und bewegt sich nicht. Man könnte denken, er wäre tot. Doch dann rappelt er sich wieder auf und wischt seine Tränen weg. Entschlossen nimmt er die Plastikflasche, die er einmal im kleinem Waldbach gefunden hat.
Nun macht er sich auf den Weg dorthin...

Leo sitzt allein Zuhause. Seine Eltern sind arbeiten und er hat jetzt Schule.
Seufzend fährt er seinen Laptop hoch und öffnet die Schulwebsite. Schnell lockt er sich ein.
In einer Minute beginnt der Unterricht. Gerade noch rechtzeitig klickt er seinen Stuhl an und meldet sich damit als anwesend.
"Guten Morgen!", tönt es durch seinen Headset.
Seine Lehrerin erscheint auf dem Bildschirm.
Mathe.
Leon stöhnt.
Er hasst Mathe. Es ist immer so sterbenslangweilig. Er holt sein Tablet aus einer der Schubladen des Schreibtisches und öffnet die MatheApp. Kästchen erscheinen auf dem Bildschirm und seine zuletzt gelösten Aufgaben. Die Lehrerin schreibt eine Aufgabe an die Tafel.
Er schreibt sie mit Hilfe von dem Tablet ab und löst sie in weniger als einer halben Minute.
Das Tablet hat er zur Einschulung, die ebenfalls virtuell statt fand, bekommen. Es ist mit der Website gekoppelt, sodass man nicht betrügen kann.
Der Lehrer kann ohne weiteres auf jedes einzelne Tablet zugreifen...

Luis sitzt im Wald und genießt die Ruhe. Auch wenn er sonst der übelste Badboy ist und mit seiner Gang die Straßen unsicher macht, braucht er auch Zeit für sich.
Der Waldbach plätschert leise vor sich hin.
Er liebt diesen Platz, auch wenn das Wasser längst nicht mehr so sauber ist, wie vor ein paar Jahren.
Immer mehr Müll schwimmt hier rum und Fische gibt es schon lange keine mehr.
Luis lehnt sich gegen einen Baum. Er wünscht, dass er die Zeit zurückdrehen könnte. Dann würde er so viel anders machen. Er lebt nur noch, weil er Angst vor dem Tod hat und auch irgendwie Respekt.
Hinter sich hört er ein Rascheln. Ein kleiner schmächtiger Junge tritt aus dem Gebüsch und geht zu dem Bach. In der Hand trägt er eine kleine Wasserflasche, die er nun in den Bach hält.
Normalerweise hätte Luis ihn nun reingeschupst, doch etwas hält ihn zurück.
Still beobachtet er ihn.
Seine Knie sind aufgeschürft und er läuft bei diesen Temperaturen mit kurzen Sachen rum. Der holt sich doch noch den Tod.
Seine Rippen sieht man auch deutlich durch sein T-Shirt, doch Luis ekelt sich nicht im Gegenteil.
Luis ist zu tiefst schockiert.
Das ist doch unmöglich zu dieser Zeit. Es ist doch genug für alle da!
Der Kleine dreht sich um und für einen kurzen Moment schauen sich die Beiden an.
Seine grünen Augen sind getrübt und Tränen blitzten in ihnen. Dann rennt der Junge weg.
"Warte!", ruft Luis ihm hinterher, doch der kleine ist schon weg. Seufzend lässt sich Luis fallen. Er war aufgesprungen. Wieso ließ man so etwas zu?

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Heyo,

Eine neue Geschichte. Das ist nun das zweite Kapitel. Es ist tut mir leid, dass es immer noch so verwirrend ist, aber das legt sich mit der Zeit hoffentlich. Ich versuche nur erstmal alle Charaktere Schritt für Schritt vorzustellen. Wenn ihr der Geschichte trotz der ganzen Verwirrungen eine Chance geben wollt, würde ich mich sehr freuen. 

Eure

sur_pris_e

SchattenkindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt