,,Du stehst auf dem Grab meines Vaters"
Ein Junge meines Alters sieht mich wütend an. ,,Und vielleicht bist du mit deinen Schuhen in Hundescheiße getreten und die schmierst du jetzt am Grabstein ab." Immer noch wütend funkelt er mich an, dann lacht er plötzlich und schüttelt ungläubig seinen Kopf.
,,Ich habe echt noch nie jemanden auf Grabsteinen tanzen sehen."
,,Ich tanze nicht.", sage ich schlicht und springe von dem rauen Grabstein auf den dahinter liegenden. Ich gehe in die Hocke und setze mich schließlich auf den kalten Stein, sodass meine abgewetzten Chucks fasst den Boden berühren.
Der Junge geht auf das Grab seines Vaters zu und während er mit seinen Fingern den eingravierten Namen nachfährt, brummt er matt: ,,Könntest du mich bitte mit meinem Vater alleine lassen?",,Dann sag den anderen Toten mal, sie sollen ihre Asche und zerfressenen Leichen wegbewegen.", antworte ich spöttisch.
,,Ich kenne dich seit drei Minuten und das reicht mir jetzt schon.", knurrt der Junge. Ich korrigiere ihn mit einem Blick auf meine Armbanduhr: ,,zwei Minuten, dreiundfünfzig Sekunden...vierundfünfzig."
Sichtlich erregt nimmt der Junge die Hand von der Gravur. Er sitzt in der Hocke auf der dunklen Erde und stützt sich mit seinen Händen auf der Grabkante ab. Ob er die Augen geschlossen hat, weiß ich nicht, da er mit dem Rücken zu mir sitzt. Ungeduldig frage ich:,, Betest du ihn jetzt an, wie Christen Maria, Gott und Jesus anbeten oder fragst du seine Seele, beziehungsweise seine körperlichen Überreste, danach, wie du bloß deinen schrecklichen Liebeskummer überwinden sollst?"
Er fährt nicht aus der Haut, stattdessen murmelt er etwas wie: ,,nein ich frage ihn, wie ich dich am besten loswerden soll. Er meint, neben ihm ist noch ein Platz frei." Aber ganz genau habe ich es nicht verstanden.
Für den Rest seiner stillen Leichen-Seelsorge bin ich leise. Nach gut zehn Minuten seit seiner Ankunft, steht er auf. Er wendet sich zum Gehen, doch bleibt noch einmal kurz stehen. Während er spricht, guckt er mit abwesendem Blick hinter mich. ,,Ich erzähle ihm von meinem Alltag. Ich... weiß, dass er es nicht hört, aber es hilft dabei, mich zu sammeln und... es wirkt nicht so verrückt wie Selbstgespräche. Viele reden mit verstorbenen Verwandten. Ich hole einfach nach, was ich früher nie getan habe." Er zuckt mit den Schultern und geht davon.