Prolog

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Nervös spielte ich mit meinen Fingern, während ich versuchte, ihrem Blick so gut wie möglich auszuweichen. Was gar nicht so einfach war – Doktor Medljedev war nicht die Art Mensch, die man leicht ignorieren konnte. Irgendetwas an ihrer großen Erscheinung mit den Segelohren, die durch ihren strengen Dutt nur betont wurden, verlangte, beachtet zu werden. Ich konnte den Wecker auf dem Schreibtisch ticken hören, so leise war es. Natürlich konnte ich nicht sehen, wie viel Zeit verging, dass war anscheinend der Therapeutin vorbehalten, aber das Ticken gab mir eine grobe Vorstellung davon. Es war schon zu viel Zeit vergangen, beschloss ich.

„Also“, begann die imposante Blondine in überraschend sanftem Ton, „Willst du mir nicht erzählen, warum du heute hier bist, Bea?“

Weil du eine Studienfreundin meiner Tante bist, die genauso viel Spaß daran findet, ihr Leben damit zu verbringen, Geisteskranken beim labern zuzuhören.

„Wegen meiner... Angst. Ich glaube aber nicht, dass es so schlimm ist, dass ich wirklich Tabletten schlucken muss oder so“, fügte ich schnell hinzu. Vielleicht war es nicht gerade schlau gewesen, das zu sagen – behaupteten nicht immer die, die richtig übel dran waren, dass sie nicht verrückt wären? Ich rappelte mich dazu auf, sie anzusehen, vielleicht gab mir ihr Gesichtsausdruck ja einen Hinweis darauf, ob sie mich verurteilte. Sie nickte allerdings nur verständnisvoll. Es wirkte ein wenig aufgesetzt, zu beiläufig. Oder doch nicht? Meine Hände schwitzten, also legte ich sie mit den Handflächen nach oben zeigend auf meinen Oberschenkeln ab. Statt Däumchen zu drehen, begann ich, möglichst unauffällig mit dem Fuß zu wippen. Ich verhielt mich seltsam, dass wusste ich – irgendwie musste ich mich doch erklären. „Tut mir leid, ich hab' so etwas noch nie gemacht“, gab ich zu, „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll oder was sie hören wollen. Muss ich – muss ich unbedingt über die Panik reden?“ Ein Kloß formte sich in meinem Hals – den letzten Teil hatte ich überhaupt nicht sagen wollen. Unwillkürlich nahm ich die Unterlippe zwischen die Zähne und biss auf ihr herum. Es war etwas, was ich mir angewöhnt hatte, weil es mich irgendwie beruhigte.

Die Psychologin auf dem Stuhl mir gegenüber lächelte jedoch nur und schüttelte den Kopf. „Wenn du das noch nicht willst, musst du nicht. Du könntest mir erzählen, wie du überhaupt dazu gekommen bist, mich zu besuchen“, schlug sie vor. Besuchen, süße Umschreibung. Aber hey, ich erzählte lieber Geschichten, als mit einer Fremden über meine tiefsten Geheimnisse und Gefühle zu diskutieren. Also legte ich mir einen schönen Satzanfang zusammen, mit dem ich beginnen konnte. „Ich schätze, meine Geschichte fing an, als ich Emre kennengelernt habe. Und verstehen Sie mich nicht falsch, er ist nicht Schuld an dem hier, keiner von ihnen ist es. Aber sie haben mein Leben um einiges interessanter gemacht, ohne sie hätte ich nie diese Momente der Freiheit erlebt.“

Champagner aus TeetassenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt