Kapitel 2: Verrat

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Die Elben hatten einen Kreis um unser Zelt gebildet. Es waren sieben, mit dem der mich festhielt acht, große schlanke Krieger. Sechs von ihnen hielten gespannte Bögen auf den groben Stoff, aus dem die Zeltplane bestand. Wenn sie los ließen, dann würden die Pfeile glatt hindurch gehen. Meine Gefährten wären tot.

Legolas stand vor dem Zelteingang. In seinen Händen hielt er zwei lange Dolche und sein Gesicht zeigte keine Regung. Er wirkte ganz anders als der Elb, mit dem ich mich vor kaum einer Stunde noch über die Zwerge lustig gemacht hatte. Ernster und entschlossener. Ihm gegenüber, an der Rückseite des Zelts stand Silvren und sah unverwandt zu seinem Kommandanten. Er wartet doch nur darauf zu schießen, schoss es mir durch den Kopf.

Aber Legolas wartete ab. Worauf er wartete konnte ich nicht sagen. Natürlich, ich könnte rufen und die beiden Anderen warnen. Aber sie würden keine zwei Meter weit kommen, bevor die Pfeile sie durchbohren würden und wahrscheinlich würden wir dann alle Drei umgebracht werden. Außerdem hielt mich der Elb hinter mir fest umklammert und das Messer, das er an meinen Hals hielt, machte das Ganze auch nicht besser.

Plötzlich drehte Legolas sich zu mir um. Mit zusammen gekniffenen Augen betrachtete er mich und ich erschauderte unwillkürlich, als ich seinen kalten Blick auf mir ruhen spürte. Mit wenigen Schritten war er bei  uns. „In dem Zelt sind die zwei Jungen, oder?“

Ich sah ihn überrascht an. „Natürlich. Wir sind zu dritt. Das wisst ihr doch! Ihr habt uns beobachtet.“ Legolas nickte kurz und sah zum Meer hinunter. Er schien etwas zu überlegen. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. „Du wirst sie heraus locken.“

Wie bitte?! Ich schüttelte vehement den Kopf „Nein.“

Legolas machte einen Schritt auf mich zu. Der Abstand zwischen unseren Gesichtern betrug vielleicht noch zwanzig Zentimeter. Er machte mir Angst. „Du wirst tun, was ich dir sage!“

Mit soviel Würde wie ich noch aufbringen konnte, und mit einem Messer am Hals war es nicht besonders viel, sah ich ihm in die Augen. „Ich weiß nicht, was euch Elben beigebracht wird... Aber meine Eltern haben mir gesagt, dass man Freunde nicht verrät. Und das habe ich auch nicht vor!“

Seine Antwort bestand aus einer hochgezogenen Augenbraue.

„Sieh mal, Fíriel“, fing er dann nach einem Moment an „Wir wollen euch nichts tun. Wenn du deine Freunde aus dem Zelt heraus holst, dann bringen wir euch nach Gnadau und dort könnt ihr euch als Reisende in Gondor anmelden. Diese Elben...“, er wies auf die sechs Krieger, die immer noch ihre Bögen auf das Zelt gerichtet hatten „Sie stehen unter meinem Kommando. Und ich trage auch die Verantwortung für sie. Ich will kein unnötiges Blutvergießen, aber wenn ich mich vor dieses Zelt stelle und deine Gefährten wecke, dann werden sie sich erschrecken, nicht wahr? Wenn man aufwacht und ist umzingelt, wer bekommt da schon keine Panik? Sie würden sich wehren, obwohl es keinen Grund gibt. Und wo wir schon dabei sind, wenn du einen Grund für deine eigen 'Gefangenschaft' suchst, genau das ist er. Ich möchte uns allen nur Ärger ersparen.“

Immer noch misstrauisch musterte ich ihn. Eigentlich klang das, was er sagte einleuchtend. Trotzdem... Es fühlte sich nicht richtig an. „In Ordnung“, murmelte ich schließlich. Ich hatte nicht wirklich eine Wahl. Sofort lies mich der Elb los und ich stolperte nach vorne. Bevor ich hinfallen konnte, spürte ich wie zwei starke Arme mich um die Hüfte herum packten und wieder auf die Füße zogen. Dankbar sah ich Legolas kurz an, dann lief ich mit unsicheren Schritten auf das Zelt zu.

Es war noch immer dunkel. Meine Beine waren von Stunden des Sitzens in der unbequemen Haltung ganz taub geworden und ich taumelte fast über den Strand. Erst langsam kehrte Gefühl in meine Zehen zurück. Vor dem Eingang blieb ich stehen. Neben meinen staubigen Stiefelspitzen war die Asche unseres Lagerfeuers mit dem hellen Sand vermischt worden. Vor kaum fünf Stunden hatten wir hier gesessen und das Brot von dem Bauern in Ithilien gegessen. Es war zwar nicht mehr ganz frisch gewesen, aber er hatte es uns vor vier Tagen gegeben. Nachdem wir auf seinem Hof übernachtet hatten. Das alles kam mir so unendlich weit weg vor.

MírielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt