Kapitel 1

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Kapitel 1

Ein ungewöhnlicher Tatort. Nirgendwo Blut oder Einbruchsstellen zu sehen. Man könnte meinen, dass es gar keiner wäre, aber auf dem zweiten Blick war es ein kaltblütiger, jedoch durchdachter Mord! Ein Spurensicherer im weißen Overall kommt den Flur herunter gelaufen. „Detective Chief Superintendent Scarlett Murphy?" „Jap, das bin ich.", sage ich, als würde ich diese Frage jeden Tag hören. „Kommen Sie bitte mit. Die Leiche befindet sich im Schlafzimmer." Ich folge dem Mann ganz in weiß durch das Haus. Die Wohnung des Opfers ist sehr klein und heruntergekommen. Im Schlafzimmer angekommen, kommt mir ein großer, gut gebauter Mann entgegen. Er hat so ein beruhigendes Lächeln, welches ich nur allzu gut kenne. Detective Sloan Lynch. „Ich habe ein kleines Geschenk für dich!", sagt er, während er mir die Sicht ins Zimmer versperrt. Das Lachen in meinem Gesicht kann ich nicht mehr verstecken. Ich möchte unbedingt wieder einen Mord aufdecken. Als er mir dann schließlich den Weg frei macht, schwindet mein Lachen. Das ist kein Mord... das ist Selbstmord! „Wieso hast du mich den weiten Weg aus Clontarf nach Bray bestellt, nur damit ich mir die tragische Geschichte eines Selbstmordes angucke?", sage ich enttäuscht, aber auch leicht genervt. Da hätte ich lieber den Papierkram zu Hause mit einem Glas Wein erledigen können, anstatt eine Stunde mit dem Auto hierher zu fahren. „Denkst du wirklich, ich hätte dich deswegen geholt? Wie gut kennst du mich eigentlich? Es sieht zwar aus wie Selbstmord, aber du findest immer wieder irgendwelche Hinweise, die es zu einem Mord machen... deswegen bist du hier. Ich kann aber natürlich auch alleine arbeiten." Leicht verspielt ärgere ich Sloan: „Jetzt komm mal wieder runter, Drama Queen. Du weißt ganz genau, dass du nicht so gut bist wie ich." Jetzt gucke ich mir das erste Mal den Tatort richtig an. Eine dünne, zierliche Frau ungefähr Mitte 30 liegt in einem Brautkleid auf dem Bett. Das Bett sieht sehr ordentlich gemacht aus und die Frau liegt kerzengerade darauf. Mir fällt direkt auf, dass das Kleid sehr teuer aussieht und somit nicht ins Budget des Opfers passt. Außerdem passt das ganze Schlafzimmer nicht zum Gesamtbild. In der restlichen Wohnung stehen überall Schnapsflaschen und Aschenbecher herum. Die Wände sind schon ganz gelb von dem Zigarettenrauch und an der Decke ist ein großer Wasserschaden zu sehen. In jeder Ecke liegen irgendwelche Dessous herum und das Fenster im Flur wurde mit einem Müllbeutel zugeklebt. Nur das Schlafzimmer sieht anders aus. Es steht nur ein großes Ehebett und sonst nichts in dem Zimmer. Die Wände sind kahl und sehen so aus, als wären sie erst vor kurzer Zeit weiß gestrichen worden. Ich nähere mich dem Bett, um die Details, welche immer die wichtigsten Hinweise sind, genauer zu betrachten. Was mir sofort ins Auge springt, sind die Blutergüsse auf dem ganzen Körper verteilt. Manche sehen älter, manche neuer aus. „Wer hat sie gefunden?", frage ich Sloan, mit der Hoffnung, dass er mir etwas über die Verletzungen sagen kann. „Ihr Freund." „Also hat er sie geschlagen?" Sloan schüttelt nur den Kopf und antwortet dann: „Nein, hat er nicht. Er wohnt eigentlich auch in Clontarf und kommt nur alle zwei Monate vorbei. Er kam allerdings schon nach einem wieder zurück, da er sich Sorgen machte. Das Opfer hat wohl auf keine seiner Nachrichten oder Anrufe reagiert." „Wer ist der Kerl?", frage ich. Als Sloan gerade antworten wollte kommt aus einer Ecke nur: „Brian O'Sullivan. Angesehener Makler in Irland. Besitzt ein Vermögen und eine Ehefrau. Die Dame auf dem Bett war nur seine Affäre.". Schließlich taucht ein schlaksiger Mann in einem schicken Anzug auf. Seine hellblonden Haare sind wie immer nach hinten gegelt und sein überteuertes Parfüm riecht man einen Kilometer gegen den Wind. Man könnte meinen, dass dieser man nicht an einen Tatort gehört und das stimmt auch irgendwie. „Associate Commissioner Liam Doyle. Haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht?", sage ich leicht verspielt, obwohl ich ganz genau weiß, dass ich mir das eigentlich nicht erlauben kann. Liam Doyle ist mein Boss und er lässt mich, aufgrund der letzten Ereignisse, keinen Fall mehr ohne Sloan machen. „Das sind keine Hausaufgaben, das ist mein Beruf. Das sollten Sie aber mittlerweile auch mal gelernt haben.", sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. Unsere Beziehung ist irgendwie merkwürdig... nichts romantisches, nur beruflich. Es ist aber nicht so wie zwischen mir und Sloan. Wir verstehen uns total gut und sind auch gute Freunde, allerdings nur auf der Arbeit, irgendwie wie ein Arbeits-Ehemann. Allerdings ist er gleichzeitig auch mein Boss, also muss ich aufpassen, was ich sage. „Wissen wir denn etwas über die Ehefrau von Mr O'Sullivan?" „Das ist Ihr Job, das herauszufinden. Ach und ich gebe Ihnen noch einen Tipp. Finden Sie auch mal raus, wer der Mörder dieser Dame ist." Mit diesen Worten verabschiedet sich Liam Doyle und lässt mich und Sloan zurück im Schlafzimmer. „Wie heißt die Frau eigentlich?", frage ich leicht beschämt, da ich in dem ganzen Chaos nicht einmal den Namen der Leiche kenne. Eigentlich sollte ich gelernt haben, mich nicht mehr zu sehr auf ein einziges Detail zu fokussieren, wenn man mal bedenkt, was beim letzten Mal passiert ist. Plötzlich reißt mich Sloan aus meinen Gedanken, als er „Camy Taylor", sagt. „Was ist damit?", frage ich verwirrt. „Leidest du unter Demenz, oder was? Das Opfer heißt Camy Taylor..." „Ach, das meinst du. Selbstverständlich. Ich glaube ich werde schon mal zu Abby fahren, um bei der Obduktion von Camy Taylor dabei zu sein." Mit einem kurzen Kopfnicken verabschieden wir uns und ich mache mich wieder auf den Weg nach Clontarf. Normalerweise freue ich mich nach einem anstrengenden Arbeitstag auf die kühle Seeluft, aber heute kann ich nur an meinen letzten Fall denken.

***

Als ich in Whitehall ankomme wird gerade die Leiche für die Obduktion vorbereitet. Die Rechtsmedizinerin Dr. Abby Johnson steht schon bereit und möchte endlich ihrem Beruf nachgehen. Ich kann ihren Ehrgeiz spüren. Sie ist noch sehr jung, aber schon sehr erfahren und sie erledigt ihre Aufgaben immer sehr sorgfältig. Sie geht an dem Körper der Leiche vorbei und spricht in einem knappen, klinischen Tonfall ihre Befunde in ein Mikro: „Todeszeitpunkt: gegen neun Uhr am 04. Oktober 2018. Todesursache: verbluten. Opfer: vierunddreißig Jahre alt. Weiblich. Obduzentin: Dr. Abby Johnson. Außerdem anwesend: Detective Chief Superintendent Scarlett Murphy." „Warte was?! Sie ist verblutet? Aber da war nirgendwo Blut zusehen.", sagt Sloan erschrocken, der mit zwei Kaffee Bechern in der Tür steht. Er gibt mir einen und ich sage: „Es wurden überall am Körper Nadelspuren entdeckt. Sie hätten auch von Heroin-Spritzen kommen können, aber da das Opfer gar kein Blut mehr im Körper hat, geht man davon aus, dass es ihr abgenommen wurde. Allerdings sind die meisten Wunden schon über eine Woche alt, also fing der Mörder schon früh damit an, ihr nach und nach immer mehr Blut abzunehmen. Allerdings war das nicht die Todesursache. Der Mörder scheint wütend gewesen zu sein, da Camy Taylor einhundert Stichwunden am Körper hat und weitere zahlreiche Verletzungen." „Das sind sehr viele. Aber wenn es genau einhundert sind, hat das vielleicht etwas zu bedeuten? Vielleicht war es ein Lover von ihr? Oder der Mörder ist einfach nur ein Perfektionist. Er muss sie auf jeden Fall schon länger beobachtet haben oder sogar gefoltert haben.", meint Sloan. „Ja, auf jeden Fall. Kein normaler Mörder gibt sich so viel Mühe. Aus Wut kann er nicht gehandelt haben, dafür hat er zu wenig Fehler gemacht." Sloan stimmt mir nur zu und sagt anschließend: „Er hat sich die Zeit genommen, sein Opfer nach ihrem Tod hundert Mal abzustechen, dass muss mit Eifersucht oder so zusammenhängen." „Kann sein, aber genau fünfzig Stichwunden sind nur post mortem. Der Mörder hat sie bis zum letzten Atemzug gequält und nach ihrem Tod noch bearbeitet. Außerdem wurde in ihre Haut das Wort ‚Ehebrecher' geritzt und anschließend wurden alle Wunden gesäubert, sodass nirgendwo noch Blut war.", korrigiere ich ihn. „Damit kommst du jetzt erst an? Dann würde das Motiv Eifersucht oder so etwas ähnliches passen, da Camy eine Stripperin war und zwischendurch auch als Prostituierte eingesprungen ist." „Ähmm, Detectives?", funkt Abby dazwischen, „Wenn Sie da oben mal mit ihrem Kaffeekränzchen fertig sind, ich hätte da noch etwas, dass Sie vielleicht interessieren könnte." „Was gibt es?", frage ich gespannt. „Das Opfer hat ein Tattoo an ihrem Nacken unter den Haaren. Es sieht auch noch sehr frisch gestochen aus..." „Ja, und? Viele Menschen haben Tattoos. Was ist daran so ungewöhnlich?", bringt sich jetzt auch Sloan ein. „Wenn Sie mich aussprechen lassen würden, könnte ich Ihnen das auch sagen. Das Tattoo ist ein QR-Code und der führt zu einem Video." „Ein Video?!", fragen Sloan und ich gleichzeitig. „Jap, und Sie kommen nie darauf was darauf zu sehen ist. Es ist sehr verstörend."

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