Kapitel 2

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Kapitel 2: 

Ich starrte meine Mutter mit offenem Mund an. Ich glaubte, ihre Worte nicht richtig verstanden zu haben.  

„W...ww...WAS?!" stotterte ich fassungslos. Ich klappte den Mund zu. Mir war bewusst geworden, dass ich nämlich gerade nicht sehr intelligent aussah. 

„Noch mal: Eine von uns soll in eine STADT ziehen, dort wie ein normaler stupider Mensch leben, und es gleichzeitig noch schaffen, diesen Konzern-fuzzi AUS ZU SPIONIEREN??" Jetzt war sie komplett verrückt geworden. Wie sollte das denn bitte gehen? In der Stadt war es laut, es stank und überall liefen TYPEN rum. Und uns lehrten sie, Männer zu verachten, und jetzt sollte ich unter Ihnen leben? 

„Das ist doch unmöglich! Unmöglich für uns, dort zu leben!" 

„Der Vorschlag, zu helfen, kam von dir, Tochter. Ich dachte, es sei dir klar, dass bei dieser Angelegenheit nichts einfach werden würde. Hier geht es um's Überleben. Wenn der „Konzern-fuzzi" wie du ihn nennst, wirklich vorhat, uns zu vernichten, können wir wohl kaum irgendwo anders hin. Es wäre schon seltsam, wenn 200 Frauen und Mädchen samt Pferden und Waffen plötzlich in einem Dorf auftauchen würden. Du, meine Kleine, kannst auch hierbleiben, und uns im Notfall verteidigen, niemand zwingt dich zu irgendwas!" 

Ich verfluchte mich Innerlich für meine Angst. Mutter hatte Recht. Es war mein Vorschlag gewesen, und jetzt zog ich mich zurück. Das war nicht die 16 jährige Tochter einer Anführerin von 200 Kriegerinnen, sondern ein behütetes, verweichlichtes Mädchen. Wenn ich diese Aufgabe übernehmen würde, könnte ich meiner Mutter die Tochter sein, die sie sich heimlich wünscht. Die immer gewinnt und nie aufgibt. Und irgendwie bemerkte ich, dass es mich gleichzeitig reizte, mal etwas Großes zu wagen. Ich liebte zwar den Wald mit seiner unbegrenzt scheinenden Freiheit und ich liebte mein Pferd und meinen Bogen, und doch... 

„Wie stellst du dir denn das mit dem Wettkampf vor?" fragte ich und mein Gesicht glühte immer noch vor Scham. 

„Ich denke, ich werde einfach Allen sagen was anliegt, und die, die sich der Sache gewachsen fühlen, werden an dem Kampf teilnehmen." 

Das hätte ich mir auch denken können. Warum war ich in Gegenwart meiner Mutter bloß immer so dumm? 

„Ich brauche frische Luft" sagte ich unnötigerweise als ich aufstand, denn wir waren ja ununterbrochen draussen. Na toll, dass war ja mal ein richtig intelligenter Kommentar! Ich nahm meinen wunderschönen Bogen von der Wand, den Köcher und einen Getreidekeks für Aenya mit. Ich musste Mari sofort davon erzählen und sie um ihren Rat fragen. Zwar hatte ich noch andere Freundinnen, aber Mari war die Richtige dafür. 

Ich fand Aenya grasend hinter unserem Haus. Jemand hatte ihr koplizierte Zöpfe und Blumen in die Mähne geflochten. Ich musste schmunzeln. Das sah ziemlich nach der sentimentalen Mari aus. Ihre Lieblingsbeschäftigung war, alles zu verschönern. Neben meiner Stute stand der Wallach meiner Mutter und fraß Aenya die Blumen aus der Mähne. Gierhals! Ich tätschelte Beide kurz und packte dann Aenyas Mähne. Mit einem Schwung war ich auf dem Rücken und machte mich zur Lichtung auf. Den Bogen und meinen Köcher fest auf den Rücken geschnallt. Ich legte mich umgedreht auf Aenyas Rücken und sah in die hell schimmernden Baumkronen. Wie schön sie waren. Das fiel mir immer wieder auf sie waren so wirklich... So beständig. So gebunden an die Erde, wie sogar ich es nie sein würde. Sie hatten keine Sorgen, sie standen Jahrhunderte am gleichen Ort und hatten nur zu befürchten, dass eines Tages jemand kam und auf ihren abgestorbenen Wurzeln ein Haus aus Geld und Strom zu bauen. Aber hier hatten sie Glück.... Ich versank weich in dem Fell meines Pferdes, das den Weg kannte und schloss die Augen. Was für ein verrückter Tag. Ich hörte einen Falken rufen, hörte das Kratzten von kleinen Krallen an einem Baumstamm, das Geräusch sich verwebender Äste. Ich konnte mir nicht vorstellen woanders zu sein!  

Wie es wohl war inmitten von Lärm, Leben und Farben? Was aßen die normalen Menschen zum Mittagessen? Auch Hirschfleisch mit Arhornsirup? Garantiert nicht! Ein bisschen schmunzeln musste ich dann doch... 

„Vanja!" quietscht jemand. Ich erschrak und fiel mit einem überraschten Aufruf auf die Erde. Ich spuckte etwas Laubreste aus. Mari hatte sich die Hände vor ihren Mund gehalten, doch ich sah das Lachen in ihren Augen. Ich schaute sie grummelnd an. 

„Mari, ich muss dir etwas erzählen, und es wird dir nicht gefallen..." 

Das alamierte Fragezeichen über ihrem Kopf war kaum zu übersehen. Ich atmete ein, sammelte mich und fing an zu erzählen. Und es fiel mir nicht leicht, nicht bei ihrem traurigen Gesichtsausdruck auf die Knie zu fallen und Alles zurück zu nehmen.

„Und wann wirst du gehen?" fragte sie. 

„Ich weiß es noch nicht, ich muss erst mal meine Mutter kleinkriegen, dass sie mich ohne diesen dämlichen Wettkampf gehen lässt. Und das wird nicht leicht..." ich stockte. „Es ist ja auch nicht sicher, aber ich will Ihr zeigen, dass ich so etwas schaffen kann. Ich wünschte, du könntest mitkommen, auch wenn du das nicht wollen würdest." 

„In Ordnung. Ich muss jetzt zurück, deine Mutter ruft sichrelich eine Versammlung ein. Kommst du gleich?" 

Ich nickte, und sie war weg. 

Nur dass leise Hufgetrappel füllte den Wald noch aus. Ich stieg selber auf mein Pferd, doch ich wendete es nicht Richtung Dorf, sondern nach Süden. Ich wusste den Weg noch von damals. In den langsam fallenden Abend Galloppierte ich über Baumstämme, lenkte mein Pferd geschmeidig um Steine Bäume und Tümpel. Die Wolken, die man sehen konnte, rasten, den auffrischenden Wind sog ich tief in mich auf. Und Aenya galloppierte immer noch so schnell wie vor einer Stunde, nur ihr Atem schnaufte etwas. Und endlich wurde der Wald lichter, und man sah: 

Ein Feld. Die Gerste wogte sacht vor der untergehenden Sonne, ganz klein in der Ferne leuchteten ein paar Lichter. Es war die kleine Stadt, die nicht von uns wusste. Ich trieb Aenya weiter an und flog endlich frei, auf einer Ebene. Trotz dem Wald hatte mir so was gefehlt. Ich ritt im Trab die letzten Kilometer bis zu dem Hügel, von dem aus man in die Stadt sehen konnte. Da waren große, helle Häuser, die mich fast blendeten, leuchtende Neonwerbung. Irgendwie faszinierten sie mich, aber sie stießen mich auch ab. 

Mir viel auf, dass ich plötzlich viel weniger hören konnte. Ich erschrak. Was war los? 

Aenya war unruhig. Anscheinend gefiel es ihr hier nicht, genauso wenig wie mir. 

Auch wenn ich nicht Alles hören konnte, kribbelte mein Nacken plötzlich. Suchend sah ich mich um. Und dort, vor dem letzten Haus, stand eine Getalt. Und es war keine Frau. Verwundert erkannte ich breite Schultern, kurze Haare. Irgendwie wollte ich das Gesicht dieser Gestalt betrachten, doch sie war eindeutig zu weit weg. Aenya tänzelte unruhig. Und ich bemerkte, dass er mich ebenfalls fixiert hatte. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, in Augen zu schauen, in seine Augen. Erschrocken drehte ich Aenya mit einer schnellen Wendung um und preschte davon.

Unter den Zweigen der BäumeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt