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Die Wut brannte wie heißes Eisen in seinen Venen und kostete ihn alle Beherrschung, um sie einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Cassandra nahm sich zu viel heraus!

In diesem Moment stieß Reagan ein ungläubiges Lachen aus und kicherte: „Er ist ja tatsächlich gekommen! Das hätte ich ihm nicht zugetraut." Sofort spannte sich Aramis an, denn er wusste, dass es jetzt heikel wurde. Und Cassandra hatte in einer Sache recht gehabt, denn er würde alles daran setzen, um die Grafen wieder zu vereinen.

Langsam wandte er sich um und blickte in Lyndens vertrautes Gesicht. Kurz zuckte er zusammen, denn sein einstiger Freund hatte tiefe Augenringe und seine Wangen waren blass und eingefallen. Dennoch blickte er ihnen entschlossen entgegen und begegnete Reagans hasserfüllten Blick mit hochgehobenem Kinn. Er war nicht hier, um sich geschlagen zu geben.

Nach einem Blickwechsel mit Illarion streckte Aramis den Rücken durch und ging auf Lynden zu. Die anderen blieben zum Glück, wo sie waren. „Danke, dass du gekommen bist." Lynden senkte den Kopf, bevor er ihm einen durchdringenden Blick zuwarf. Es war erschreckend, dass dieser kontrollierte, abweisende Mann nichts mehr mit seinem früheren, fröhlichen Ich zu tun hatte. „Ich hoffe, dass ihr mir jetzt endlich zuhören werdet." Er wandte sich nun an alle, suchte ihren Blick und begann schließlich eindringlich auf sie einzureden.

Ungläubig lauschte Aramis ihm. Der Hohe Rat sollte das Land heimlich zugrunde richten, damit sie ihren Saal verlassen und sich selbst dort ansiedeln konnten? Bei dem Gedanken, dass sie womöglich seit Monaten gegen Kreaturen gekämpft hatten, die vom Rat selbst geschaffen wurden, wurde ihm übel. Es klang unglaublich - wie die Geschichte eines Menschen, der den Verstand verlor. Konnte man jemandem glauben, der Antworten auf jede einzelne der Fragen hatte, die so lange unbeantwortet geblieben waren?

Dann zog eines von Lyndens Worten seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Khylin wusste davon, Aarik ahnte es! Deswegen sind sie verschwunden! Ihr müsst mir glauben, warum sollte ich eine dermaßen große Lüge spinnen und Gefahr laufen, dass Land ins Chaos zu stürzen, wo ich doch mein Leben lang versucht habe, genau das zu verhindern?" Verzweiflung und eine stumme Bitte flogen in seinem Ton mit.

Plötzlich stieß Reagan ein raues Lachen aus und zog abschätzend eine Augenbraue hoch. „Jeder, der im ganzen Land als Verräter gesucht wird, würde sich eine Geschichte ausdenken, die seine Unschuld beweist." Er wollte offensichtlich noch etwas hinzufügen, aber Cassandra kam ihm zuvor und glitt mit wehenden Gewändern auf Lynden zu, nur um dicht vor ihm stehen zu bleiben und eine seiner Haarsträhnen um ihren schlanken Finger zu wickeln. Süffisant grinsend flüsterte sie: „Ich muss dich leider enttäuschen, aber deine Theorie lässt sich nicht beweisen. Außerdem sagst du, dass das ganze System unseres Landes eine Lüge ist. Da fragt man sich dann, warum hat es all die Jahrzehnte funktioniert und es ging den Menschen gut? Wieso sollten wir das riskieren?"

„Zwei aus unserem Kreis sind verschwunden und das Volk wird von bluttrinkenden verwandelten Menschen bedroht, deswegen sollten wir es riskieren!", konterte Lynden etwas lauter. Aramis spürte, wie sich Unsicherheit in ihm breit machte. Er wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte und darauf war er nicht vorbereitet. Auch Illarion blieb stumm und beobachtete das Ganze mit regungsloser Miene. Es wirkte tatsächlich, als hätten sie alle keine Ahnung, wo sie da hineingeraten waren. Alle, außer Cassandra.

Aber sie spielte es gegen die anderen aus und würde um nichts in der Welt verraten, was sie wusste, wenn es aus ihrer Sicht nicht unbedingt nötig war.

Im nächsten Augenblick ertönte der ohrenbetäubende Schrei eines Raubvogels und ließ sie alle zusammenfahren.

Auf der Spitze der Insel stand Dakota mit ihrem Seelenwesen, dem Milanweibchen Cora. Ihre Hand lag auf dem Hals des weißen Vogels, der sich mit kraftvollen Flügelschlägen in der Luft hielt. Lynden stieß einen verzweifelten Laut aus und flehte: „Bitte glaubt mir! Helft mir, die Wahrheit ans Licht zu bringen, dann muss das alles nicht passieren?"

Letitia - Im Reich der sieben GrafenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt