Das Grinsen verzerrt, fern von Menschlichkeit und Verstand. Wie kleine Dolche reckten sich nadelspitze Zähne unter der glatten Schale in den Mund. Die Augen darunter gleichermaßen schmal wie endlos tief; wie schwarze Löcher zierten sie die orangene Schale. Dennoch war es die Leere, die das Abwenden des Blickes nahezu unmöglich machte. Eines Soges gleich zerrten sie dich in den schauderlichen Bann der Fratze. Normalerweise verliehen die tiefen Furchen der Frucht etwas Knuffiges, doch in Kombination mit dieser geschnitzten Miene wirkte dieses einfache Gemüse mit einem Schlag um Einiges bedrohlicher.
Zumal es dich sehr an den Ausdruck in deinem Gesicht erinnerte, wenn du mit der scharfen Klinge deines Dolches, die so kristallblau war wie deine mit dunklen Wimpern umrahmten Augen, ganz andere Dinge verziertest. Nicht nur einmal hattest du diesen faszinierenden Ausdruck in den blutverschmierten Scherben hinter einem Objekt deiner Begierde erhaschen können. Zum Henker, deine Finger begannen schon bei dem bloßen Gedanken an so manches Massaker damals zu jucken. Dieses matte Schimmern der roten Lebensessenz: auf den verschnörkelten Schnitzungen des Stubentisches, den aufdringlich gemusterten Polstern des Sessels, der handbemalte Teppich aus dem Orient und letztendlich auch auf der mit Gold verzierten Tapete des Adelshauses. Dazu der lebensleere Blick der arroganten Perückenträgern in ihrer teuren, besudelten Kleidung wie sie da zwischen all ihren nun nutzlosen Prestigeobjekten lagen wie benutzte Spielzeuge. Absolut köstlich. Der Ausdruck Blutbad wurde dem Ereignis nicht annähernd gerecht.
Klirrend barst das Weinglas, als es neben dir auf dem kalten Holzboden zerschellte, und riss dich reichlich unsanft aus deinen schönen Erinnerungen. Wie das Klimpern von Goldmünzen schwirrte das Geräusch durch den modern eingerichteten Raum. Scharfkantige Scherben und Splitter schlitterten über den dunklen Holzboden und kamen erst in einigen Fuß Entfernung zur Ruhe. Der dunkelrote Inhalt spritzte in alle Richtungen und sprenkelte so den großen Kürbis, welcher vor dir auf dem Kopf stand, wie auch dein blütenweißes Hemd, das du dir vor ein wenigen Stunden erst frisch angezogen hattest.
»Zum Teufel, Eva!«, zischtest du deine Schwester in einem harschen Ton an und ließest den Dolch, den du zum Ausschnitzen der orangenen Frucht zwischen den Fingern hieltest und mit welchem gerade den letzten Schnitt getan hattest, scheppernd zu Boden fallen. »So pass doch auf! Du weißt, wie hartnäckig sich diese Flecken in den Stoff krallen.«
Doch statt auch nur in Ansatz betroffen zu wirken, lachte die junge Frau glockenhell. »Du klingst ja schon fast, wie eine der arroganten Menschenmädchen, wenn sie sich beim Essen versehentlich mit Suppe beschmutzen, Kain.«
Frustriert fuhrst du dir durch deine dunklen Strähnen, weil du wusstest, dass sie sich darüber genauso empört hätte; mit dem Unterscheid, dass der Übeltäter sich von seinen Augen verabschieden hätte können. »Das ist aber keine Suppe«, knurrtest du und griffst mit spitzen Fingern nach dem beschmutzen Hemd. Dabei hattest du penibel darauf geachtet, die beim Schnitzen des Kürbis keinesfalls einen Fleck auf den reinen Stoff kommen zu lassen. Alles für die Katz. »Sondern Blut. Umso mehr solltest du jeden Tropfen bedauern, den du verschüttet hast.«
»Du tust ja gerade so, als müsstet du selbst waschen.«
»Ich muss mich aber erneut umziehen.« Das war mehr als nur lästig. Zumal dein Kammerdiener - Mo sein Name, ein schmaler Mann jungen Alters - in dieser Jahreszeit prinzipiell kalte Pfoten zu haben pflegte, die sich wahrlich unangenehm auf deiner lauen Haut anfühlten, wenn er dir beim Ankleiden half. Zu gern hättest du sie ihm einfach abgeschnitten, doch leider war sein Modegeschmack fantastisch und er ohne diese Griffel nutzlos. Von allen Kammerdienern, die du die letzten Jahrhunderte hattest, war er mit Abstand der geeignetste.
Eva rollte mit ihren großen, goldenen Augen und machte eine unwirsche Handbewegung, um der Dienerin, die unterwürfig neben dem Türrahmen auf Anweisungen wartete, zu signalisieren, sich um die klägliche Sauerei zu kümmern. »Mach das sauber. Und gnade dir Gott, wenn du auch nur einen Splitter übersiehst. Dann schneide ich dir deine Augen aus deinem dummen Gesicht, da du sie anscheinend nicht zu benutzen weißt.«
DU LIEST GERADE
Blutsfratzen
Short Story»Einen Moment spieltest du mit den Gedanken, Lola anzufahren, dass sie sogleich auch die orangene Frucht von den Blutflecken befreite, sodass sie ebenso makellos war wie dein Gesicht. Doch dann blitzte ein raffiniertes Bild in deinem Gedanken auf: e...