Als Hope langsam die Augen öffnete, fühlte sie sich ausgeruht und völlig ausgelaugt zugleich.
Während ihr Kopf scheinbar so wach war wie noch nie, musste sie viel Kraft darin verwenden, ihren Kopf zu bewegen. Ihr Köper war vollkommen erschöpft.
Erst nach einigen Sekunden erfasste sie ihre Umgebung. Die weiche Matratze. Das goldene Himmelbett. Die Sonnenstrahlen, die durch eine riesige Fensterwand in das Zimmer fielen. Die vielen Türen, die aus dem riesigen Zimmer, das trotzdem hauptsächlich durch das Bett belegt war, führten.
Sie brauchte einen Moment, um zu realisieren, wo sie war. Dann verdüsterte sich ihr Gesichtausdruck.
Rote Haare schoben sich in ihr Blickfeld. Ihr erster Gedanke galt Skye, doch dann besann sie sich eines besseren. Wieso sollte sie auch hier sein?
Zu den Haaren gesellte sich ein ganzes Gesicht, aus dem blaue Augen hervorstachen. Das Mädchen, das wohl etwa fünf Jahre als Hope selbst war, hatte rosige Wangen, die von Sommersprossen verziert waren.
"Hallo, ich bin Fleur. Zu euren Diensten", lächelte sie.
Hope richtete sich auf und die Rothaarige reichte ihre ein Glas mit Wasser. Als Hope es annahm erkannte sie, dass die Hände der Frau vollkommen vernarbt waren. Sie wandte den Blick schnell ab und betrachtete das Wasser. Sollte sie es trinken oder war es vielleicht verzaubert? Doch schließlich siegte ihr Durst, sie konnte sowieso nicht ewig verweigern, etwas anzunehmen. Das Wasser war unglaublich klar und schmeckte frisch. Und nicht vergiftet. So langsam kehrte auch das Gefühl von Leben in ihren Körper zurück.
"Ich werde nun den Präsidenten wissen lassen, dass Ihr bereits erwacht seid", sagte Fleur, den Kopf gesenkt.
"Nein!", schrie Hope fast. Sie wollte nicht ihrem Schicksal in die Augen blicken. Jedenfalls noch nicht. Sie wollte jede frei Sekunde nutzen. Jede, die ihr in ihrem goldenen Käfig blieb.
"Er will euch bestimmt sehen", versuchte Fleur auf sie einzureden. Sie hatte keine Wahl, ihre Befehle kamen vom Präsidenten.
"Bitte sag doch erst einmal 'du' zu mir", lenkte Hope ab. "Ich will mich hier nicht vollkommen fremd fühlen."
Ein Lächeln huschte über Fleurs Gesicht. Vielleicht sollte sie Tahtrois doch noch ein wenig warten lassen. Niemandem würde es schaden, wenn sie Hope noch ein wenig Zeit verschaffen würde und Tahtrois selbst konnte nicht wissen, ob sie schon aufgewacht war.
Wie falsch sie damit lag sollte Fleur bald darauf erfahren.
Tahtrois spürte etwas. Er konnte nicht beschreiben, was es war, doch floss es durch seinen ganzen Körper. Er wusste, dass etwas geschehen war. Sofort stand er auf und verließ den Raum. Ohne ein weiteres Wort. Seine Berater sahen ihn nur verwundert an, sagten aber nichts.
Sobald er den Gang betrat, fing er an zu laufen. Direkt in die Richtung von Hopes Zimmer. Bald darauf stand er in dem leeren kleinen Saal vor der riesigen hölzernen Tür mit den sorgfältigen Verzierungen.
"Wird sie nicht so langsam mal wach?" Trotz der schalldichten Wände und Türen hallte seine Stimme durch das ganze Zimmer. Ängstlich riss Hope die Augen auf. Obwohl sie seine Stimme nicht kannte, wusste sie instinktiv, zu wem sie gehörte.
"Bitte öffne nicht", flüsterte sie.
Fleur hatte Mitleid, obwohl sie es nicht haben sollte. Sie wusste, dass der erste Eindruck, den Hope von Tahtrois bekommen würde, wichtig war. Und nun hatte er nicht darüber nachgedacht. Er handelte impulsiv. Es würde nicht gut enden.
"Ich muss", antwortete das Dienstmädchen und drückte noch einmal kurz Hopes Hand, bevor sie zur Tür ging, um sie zu öffnen.
Schnell trat sie hinaus und lehnte die Tür an. Den Blick hielt sie dauerhaft gesenkt, sie musste ihren Worten allein durch ihre Stimme Nachdruck verleihen. "Sie will euch jetzt nicht sehen."
Tahtrois hingegen ignorierte sie vollkommen und stürmte einfach in das Zimmer hinein.
"Denkt darüber nach, was ihr gerade macht", sagte sie gerade so laut, dass nur Tahtrois es verstehen konnte.
Hope saß einfach nur starr auf dem Bett. Sie starrte Tahtrois an. Jetzt, wo sie ihm das erste Mal in die Augen sah, realisierte sie erstmals, was sie erwartete. Sie hatte keine Ahnung.
Erst einige Sekunden später bemerkt sie, dass sie sich vielleicht falsch verhielt. Schnell blickt sie nach unten, doch sein Gesicht ist ihr immer noch in ihre Gedanken eingebrannt. Das dunkle Haar, die markanten Gesichtszüge, die grauen, leblosen Augen.
"Entschuldigung, Herr Präsident."
Tahtrois fasste sich wieder. "Bitte, Hope, sieh doch auf." Vorsichtig und langsam ging er ein paar Schritte auf das Mädchen zu, das in einem weißen Nachthemd auf dem Bett saß.
Sie sah auf, ohne auch nur ein Stückchen zurückzuweichen, doch das leichte Glitzern von Tränen in ihrem Auge konnte sie nicht verbergen. "Bitte, lasst mich noch etwas alleine."
"Was meinst du wer-" Tahtrois Nerven waren langsam überstrapaziert. Jetzt war sie endlich wach und er sollte sie nicht sehen dürfen?
Doch Fleur unterbrach ihn, bevor er etwas sagen konnte, dass er wirklich bereuen würde. "Sie braucht noch ihre Ruhe. Noch ein kleines Weilchen."
Tahtrois drehte sich schnell um und stürmte förmlich aus dem Raum. Seine Schritte schallten von allen Seiten des Raumes zurück, wie ein Echo.
Doch noch bevor er die Tür hinter sich zuknallen kann, befiehlt er den beiden Frauen noch etwas, das Fleurs' Sieg mildern sollte.
"Um Punkt fünf ist sie unten. Das sollte genug Zeit zum Ausruhen sein."
Als die Tür geschlossen war, sah Hope immer noch an die Stelle, wo Tahtrois noch vor wenigen Minuten stand. Das sollte also ihre erste Begegnung gewesen sein.
"Wie hast du das gemacht?", wandte sich Hope nach einiger Zeit an Fleur.
"Man muss Männer einfach nur kennen. Aber viel hat es uns nicht gebracht, nur ein paar Stunden Aufschub geboten." Hope bemerkte, dass noch mehr dahinter steckte, doch wollte sie nicht nachfragen.
"Das allein ist doch schon viel Wert", versuchte Hope Fleurs' Arbeit wertzuschätzen.
"Aber so langsam sollten wir uns daran machen, dich auf euer erstes richtiges Treffen vorzubereiten. Uns bleiben gerade einmal drei Stunden."
Fleur hätte ihr gerne gesagt, dass er nicht immer so ist. Sie wollte aber keine falschen Hoffnungen wecken.
Fleur half Hope dabei, aufzustehen. Sie war noch etwas unsicher auf den Beinen, sie hatte immerhin vier Tage lang nur gelegen, doch nachdem sie ein paar Schritte durch das Zimmer gemacht hatte, konnte sie sicher barfuß über den Teppich laufen, in dem sie etwas versank.
Hope steuerte direkt auf die Fensterwand zu und öffnete eines der Fenster. Warme Luft schlug ihr entgegen, ganz anders als sie es von zu Hause gewöhnt war.
Sie betrat den steinernen Balkon, der sich über die ganze Länge des Zimmers erstreckte. Der Boden war durch die Sonne ein wenig aufgewärmt worden, doch im Vergleich zum Zimmer und zur Luft immer noch kalt. Eine Gänsehaut bildete sich auf Hopes Körper als der Wind an ihr vorbeizog.
Der Blick auf den Garten war atemberaubend. Überall waren Wasserspiele und es liefen bestimmt ein Dutzend Gärtner herum, um die riesigen Rasenflächen grün zu halten und die ganzen Beete zu bepflanzen.
"Du wirst erkennen, dass er ist wie der Palast. Absolut atemberaubend, mit seinen guten und schlechten Seiten." Fleur stand hinter Hope am Fenster. "Und damit du die richtigen Seiten kennen lernst, müssen wir jetzt anfangen, dich fertig zu machen."
Hope warf einen letzten Blick auf den Garten und sah, wie eine bunte Blume auf dem perfekten Rasen abgeschnitten wurde. Sie sollt dort wohl einfach nicht wachsen.
Sie drehte sich um und ging wieder in das Zimmer, das fortan ihr gehören sollte.
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The Heart's Claw
Fantasy"Die Magie hält die Welt im Einklang. Und so gibt es zu jedem Magier ein Gegenstück. Deins, Tahtrois, ist sie." 2025. Nur noch wenige Menschen leben in kleinen Städten auf der Erde. Denn sie wurde von den Magiern übernommen. Von denjenigen, die seit...