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Ich verbrachte den restlichen Freitag und den Samstag bei den Wölfen. So emotional anstrengend das Training auch war, bei ihnen konnte ich so unbeschwert sein. Ich weiß nicht woran es lag, dass ich mich so losgelöst fühlte, aber ich genoss die Zeit sehr.
Ab und zu schrieb ich eine Nachricht an Jasper, damit er sich keine Sorgen machte, doch er antwortete nicht.

Paul und ich verstanden uns mittlerweile blendend. Er war aufbrausend und dickköpfig, aber hatte ein großes Herz. Wir saßen gerade alle in Sams und Emilys Wohnzimmer und die Jungs schlugen sich die Bäuche voll. Dann setzte sich Paul neben mich. "Was meinst du? Fühlst du schon einen Unterschied?". Seufzend lehnte ich mich auf dem weichen Sofa zurück. "Ja und nein. Ich habe das Gefühl als würde ich diese Kräfte besser verstehen. Aber gleichzeitig komme ich mir vor als würde ich versuchen einen Fisch mit bloßen Händen zu fangen.".
Paul täschtelte mir mitfühlend das Bein.

"Dein Geburtstag ist am Donnerstag, richtig?", fragte Sam und es trat Stille ein. Stumm nickte ich und spielte mit den Bändeln meines Kapuzenpullis. "Fühlst du dich bereit?", fragte Jacob. Tat ich das? Ich ging den heutigen Tag nochmal in meinem Kopf durch. Die Neumondmagie fiel mir immer noch relativ leicht, jedoch nur wenn ich ein negatives Gefühl spürte, Angst oder Wut. Die Vollmondmagie konnte ich so gut wie nie aufrufen. "Nein", sagte ich deshalb und ließ meinen Kopf hängen.
"Was soll diese Trauermiene? Ahnst du vielleicht schon, dass du gegen mich verlieren wirst?", sagte Paul und warf ein Kartenspiel auf den Tisch. Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus als ich danach griff. "Das werden wir ja sehen!".

Am Abend fuhr ich wieder zurück und wie die letzten zwei Tage auch folgte Jasper mir ab der Grenze. Er schlief nicht mehr bei mir und meine Träume wurden immer schlimmer. Immer wieder versuchte ich mich mit ihm zu versöhnen, doch er gab mir kaum eine Gelegenheit.
Diese Nacht war wieder der Horror. Der Unfall mit meiner Mum verfolgte mich mittlerweile jedes mal wenn ich die Augen schloss. Ihr Gesicht hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt und immer wieder hatte ich das nagende Gefühl etwas wichtiges vergessen zu haben.

So ging das Wochenende mit einer Menge gemischter Gefühle und fruchtbaren Nächten herum.
Am Montag regnete es in Strömen und ich war froh, dass Jasper mich mit dem Volvo abholte. Das Auto füllte sich mit eisigem Schweigen und nervös knetete ich meine Hände. Wie immer brachte er mich zu Literatur, zum Abschied strich er kurz mit seinen Fingern über meine Wange, dann ging er.
Seufzend ließ ich mich auf meinen Platz neben Emmett fallen. "Keine Sorge, er kriegt sich schon wieder ein.", sagte er leise zu mir. Zweifelnd sah ich ihn an, dann widmeten wir uns dem Unterricht. Wie immer war es ein Kampf gegen den Schlaf Ms. Cooper zuzuhören, aber irgendwie überstand ich diese Stunde.

Auf dem Weg zur Mittagspause fing Angela mich ab. "Hi ihr zwei", grüßte sie Jasper und mich. "Ähm, Lina, darf ich dich kurz entführen?", sagte sie mit einem Grinsen und hakte sich bei mir ein um mich mit zu ziehen. Ich warf noch einen fragenden Blick über meine Schulter und ich meinte Jaspers Mundwinkel zucken zu sehen, als würde er sich ein Lächeln verkneifen. Immerhin eine Reaktion.
Angela und ich setzten uns an einen extra Tisch. Kaum dass wir saßen platzte sie schon heraus "Erik und ich sind zusammen!". Sie strahlte von einem Ohr zum anderen und entlockte mir auch ein breites Grinsen. "Angela, das freut mich! Erzähl mir alles!".
"Wir waren ja zusammen auf dem Winterball, erinnerst du dich? Nun seit dem hat es etwas gefunkt und der Abend am Lagerfeuer mit euch letztens.... ach das war so romantisch! Und letztes Wochenende waren wir zusammen essen und wir haben uns geküsst!".
Verliebt sah sie in seine Richtung und ich kicherte.
"Dich hat es ja voll erwischt."
"Und wie!"
Wir lachten zusammen und es tat gut über normalen Kram zu reden.
"Aber sag mal", fing sie an und wurde wieder ernst. "Was ist mit dir und Jasper los?".
Aufrichtige Sorge schwang in ihrer Stimme mit und meine Augen huschten kurz zu ihm. Er saß nicht weit weg von uns und ich war mir sicher, dass er hören konnte was wir redeten. Aber gut, bis jetzt hatte er mir keine Gelegenheit gegeben mich zu erklären, dann eben so.

"Ich habe... ein neues Hobby angefangen. Er findet es zu gefährlich und ist deswegen wütend auf mich. Allerdings will er nicht verstehen, wie wichtig mir das ist."
Meine Stimme spiegelte meine Stimmung wieder und Angela legte ihre Hand auf meine. "Was für ein Hobby denn?"
Ich zögerte. "Ich war in Irland im Schwimmteam, das hatte ich mal erzählt. Ich habe es wieder angefangen."
Eine glatte Lüge, allerdings hatte meine Magie durchaus mit Irland und meiner Vergangenheit zu tun.
"Das Meer hier ist wirklich gefährlich, ich verstehe, dass er sich sorgt.", ergriff Angela Partei für ihn.
"Ich verstehe ja auch, dass er sich sorgt. Aber er sollte auch etwas mehr Vertrauen in mich haben."
Ich versuchte meine Stimme ruhig zu halten, auch wenn etwas Wut an die Oberfläche brodelte.
"Das finde ich auch. Ich verstehe euch beide. Vielleicht kannst du ihn ja einfach mitnehmen? Ihm zeigen, dass es nicht so gefährlich ist wie er denkt? Oder du holst dir einen Lehrer, der dich im Notfall retten könnte, damit er beruhigt ist? Was aber das Wichtigeste ist... mach weiter. Er muss lernen dir zu vertrauen. Und du musst ihn verstehen lernen."
So viel Weisheit hätte ich der stillen Angela nicht zugetraut.
"Er kann aber nicht mit. Er hat Angst vor Wasser.", sagte ich und unterdrückte ein Grinsen.
"Naja er kann ja mit zum Meer und am Strand warten, oder?"
"Nein, er bekommt schon Panik, wenn er das Meer sieht.", nun konnte ich mein Lachen nicht mehr verstecken. Jasper belauschte uns, da durfte er den Witz auf seine Kosten ruhig mithören.
Angela sah mich etwas verwirrt an, ging aber nicht mehr weiter darauf ein.

Jasper und ich liefen schweigend zu Mathe. Als wir uns setzten schnaubte er kurz. "Angst vor Wasser?". Ich grinste. "Eine andere Begründung fiel mir nicht ein."
"Ich habe keine Angst vor Wasser. Ich kann nämlich nicht ertrinken, im Gegensatz zu dir.", sagte er nun leise und etwas gefährliches schwang in seiner Stimme mit.
"Das werde ich nicht.", entgegnete ich ernst und sah ihn an. Ich wollte nur, dass er mir vertraut.
Er seufzte und sah nachdenklich nach vorne. Den Rest der Stunde sagte er nichts mehr, doch er schien sehr in Gedanken zu sein.

Er schwieg auch auf dem Weg nach Hause und ich beschloss einen Schritt auf ihn zuzugehen. "Ich fahre heute nicht hin. Stattdessen möchte ich dir zeigen, was ich gelernt habe.", sagte ich leise und beobachtete ihn. Sein Gesichtsausdruck zeigte kurz Überraschung und seine warmen, goldenen Augen  wanderten zu mir. Und endlich, nach Tagen der Zurückweisung, lächelte er mich an. "Einverstanden".

Wir verabredeten uns für den frühen Abend. Trotz allen Aufruhrs durfte ich die Schule und Kira nicht vernachlässigen. Nachdem ich meine Hausaufgaben fertig hatte und eine Runde Karten mit Onkel Fred gespielt hatte, machte ich mich auf den Weg Kira von einer Freundin abzuholen.
Ich wusste nicht welcher der Cullen gerade auf mich auspasste, aber ich fühlte mich sicher.
Kiras Freundin Marie lebte an der Grenze zu La Push. Vor mich hinsummend parkte ich vor dem Haus und lief zur Tür. Ein fröhlicher Klingelton hallte durch das schnuckelige kleine Haus. Es roch nach Regen und fröstelnd trat ich von einem Bein auf das andere.
Eine Frau mittleren Alters mit einem ordentlich gebundenen Zopf öffnete mir die Tür. "Hallo, ich bin hier um Kira abzuholen.", sagte ich mit einem Lächeln, das mir bei den nächsten Worten der Frau sofort im Gesicht gefror.
"Oh Kira wurde bereits abgeholt. Ein netter Mann namens Felix. Er sagte du hättest ihn darum gebeten.".



Bis(s) zum VollmondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt