Die Träumerin

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Es ist kurz vor Ladenschluss in den Kaufstraßen meiner Heimatstadt. Ich bezahle gerade meinen letzten Einkauf für heute, verabschiede mich knapp von der müden Kassiererin und ziehe mir wieder meine beiden Kapuzen über den Kopf, um mich vor dem mäßigen Regen zu schützen.

Es war bereits seit ein paar Stunden dunkel, was einem, neben der Kälte und leichter Müdigkeit durch das fehlende Sonnenlicht, das Gefühl gab, dass das kuschelige Bett zu Hause auf einen wartete.

Doch so trist einem diese Atmosphäre vielleicht erscheinen mag - für mich war der Herbst und der heranbrechende Winter die Zeit im Jahr, in der ich mich kreativ entfalten wollte und jede Menge Reize als Inspiration wahr nahm.

Das Gefühl von meinem Mantel umhüllt zu sein, mit meinen Stiefeln ein Geräusch nassen Aufpralls erzeugen zu können, wenn ich in eine Pfütze hineintrete und das erhöhte Gefühl von Privatsphäre, also positiver Einsamkeit, dass die Dunkelheit mit sich brachte und die Menschen früh ins vertraute Eigenheim vertrieb - all das gab mir seither den Anreiz mich Träumereien und Melancholie hinzugeben. 

Melancholie war für mich niemals negativ behaftet. Für mich war Melancholie eine Art schönere Realität, die mein Empfinden für eine unmessbare Zeit in einer Wolke aus Verträumtheit, Gegenwartsgenuss, innerer Ausgeglichenheit und Achtsamkeit für die schönen Dinge, verschließt. Es ist eine Art leichte Trance, die dich ganz natürlich durch einen kurzen Zeitraum deines Alltags begleitet. Für mich war es das schönste Gefühl, dass ich überhaupt haben konnte und wenn es anwesend war, dann schätzte ich diesen Zustand sehr.

Dieses Gefühl kam jedoch nicht einfach so. Es entwickelte sich aus verschiedenen Einflüssen meines Erlebens, die mir angenehm waren. Eben so angenehm, dass meine Psyche sich daraus einen Zustand bastelte, der auch bei Entzug der Reize bestehen blieb. Wie genau so etwas funktionierte habe ich nie verstanden.

Die Zeit verging beim Träumen jedenfalls wie im Flug und so stand ich oben vor meiner Wohnungstür, ohne mich einmal gedanklich damit abgeplagt zu haben, wie schwer mein Einkauf war, dass die Strecke von den Geschäften bis zu meiner Wohnung viel zu lange war, oder dass mir die Kälte das Gesicht spröde machte.

Ich stellte den Einkauf auf dem Esstischstuhl ab, erwärmte meine Hände durch das Waschen mit warmem Wasser und erledigte weitere Rituale, um mein Bedürfnis nach Umsetzung meiner Kreativität zu stillen. Ich war von dem Drang geleitet es mir einfach gemütlich zu machen und dabei alles zu tun, um meinen Körper in eine Ruhephase versetzen zu können, damit mein Geist Raum zur Entfaltung gewinnen konnte.

Ich räumte nur die Sachen in den Kühlschrank, die gekühlt gehörten. Das Chaos in meinem Zimmer ignorierte ich, oder sah es sogar als gemütlich an, dass die Kissen so verstreut im Raum lagen, mein Schreibtisch nicht so leer und geleckt aussah und die Klamotten, die sich mal wieder zu Hauf auf meinem Stuhl gesammelt hatten, weil sie weder in den Kleiderschrank, noch in die Wäsche gehörten, einfach gerade genau da liegen musste, weil ich sie bald anziehen wollen würde.

Der erste Schritt, um mich dem gewünschten Komfort näher zu bringen, war Musik. Balladen und Soul war das, was meine Seele gerade brauchte. Das Fenster ließ ich angeklappt, obwohl ich die Heizung an hatte, weil ich den Regen auf das Fensterbrett und an die Scheiben prasseln hören wollte, wenn die Musik Pause hatte. Ich zündete Duftkerzen an und bestimmte meine Lichterketten zu den einzigen warme Lichtquellen, neben den Kerzen, in meinem Zimmer.

Zum Zweiten brauchte ich eine warme Dusche und gemütliche Klamotten, um mich im Anschluss direkt mit meinem Laptop ins Bett zu legen und alles, wonach mir war, in Worte umzusetzen, sollte ich nicht im nächsten Moment die Lust verspürt haben etwas zu zeichnen, zu singen, zu fotografieren oder Pläne für die Zukunft aufzustellen. Es reichte aber auch vollkommen aus, wenn ich einfach nur kurz da saß und nichts tat, weil es vollkommen in Ordnung zu sein schien den Kopf nicht zur Reizumsetzung anzutreiben.

Die Momente gehörten nur mir und bildeten einen Flow, in dem ich mich von Negativität komplett lösen könnte und den einzigen Zustand, in dem es nötig war, dass ich alleine bin. Ganz im Gegensatz dazu, dass Einsamkeit sonst meist Unzufriedenheit in mir auslöste.

Träumen und produktiv sein möchte dein Kopf dann doch einfach alleine.

All these different parts of being meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt