Die Gefühlshändlerin

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Oder: Die Nachsichtige

Frei von Gefühlen zu sein ist als Mensch so gut wie unmöglich. Selbst wenn wir nicht mit enthusiastischem breiten Lächeln oder Tränen in den Augen anzutreffen sind, empfinden wir Gefühle.

Es kann ein taubes, müdes, erschöpftes und energieloses oder energievolles, aufgeladenes, waches und erregtes Gefühl sein. Auch wenn wir in einem Moment meinen gar nichts zu fühlen, dann ist es das Gefühl der Erstarrtheit oder der Gleichgültigkeit.

Doch manchmal gab es Situationen, mit denen ich auf eine gewisse Art und Weise umging, sodass es mir möglich war Emotionen zu ignorieren, die ich nicht in meiner Gegenwart empfinden wollte.

Draußen war ein Gewitter aufgezogen, was mir in erhöhtem Maße verhalf mich den Umständen zu erfreuen, dass ich drinnen in einem dieser veganen Cafés saß, die ich so liebte.

Ich hatte das kleine Stück Kuchen schon lange verzehrt und wärmte meine Hände an dem Teeglas, in dem sich noch die Aquamarin Latte -eine Latte Macchiato Kreation, die durch ein Superfood zu blauer Farbe gelangt ist- befand, die ich mit Bedacht langsam trank. Meine Tante hatte immer noch an ihrem Stück Kuchen zu kämpfen. Sie war schon etwas in die Jahre gekommen und außerdem erzählte sie gerne und viel. Viel von dem, was sich mir schon so oft erzählt hatte.

Die rechte Hälfte ihres Gesichtes sah heute anders aus als sonst. Sie war von Blessuren geziert. Leicht geschwollene Rötungen nahe des Nasenknochens und eine Wunde, die definitiv vor Kurzem geblutet haben muss, fast geschickt genug unter ihrem Pony versteckt, dass ich sie nicht erkannt hätte.

Ich nippte an meinem Heißgetränk,  lauschte der entspannenden Musik und den Donnergeräuschen, die hinter mir durchs Fenster zu hören waren und den Erzählungen meiner Tante. 

Ich war besorgt. Und das nicht zum ersten Mal. Doch das ließ ich sie nicht spüren, denn mir war bewusst, dass ihr das unangenehm sein würde und das wollte ich nicht in ihr hervorrufen. Sie war oft genug alleine und fühlte sich schlecht.

An manchen Tagen ging es ihr jedoch auch gut -so gut, wie es einer alleinlebenden Witwe ohne Kinder gehen kann- und diese Tage liebte ich, weil sie mich mit so viel Positivität im Gespräch mit ihr erfüllten.

Ich spürte einfach, dass die Äußerung über die Besorgnis um sie Fehl am Platz gewesen wäre und schob dieses Gefühl in den Keller meiner Wahrnehmung, dass sie mich nicht daran hindern konnte dieses Treffen zu genießen.

Viel stärker war nämlich das Gefühl von Dankbarkeit und dem Wissen, dass ich ihr mit meiner Aufmerksamkeit helfe. Auch wenn das nur bedeutete, dass ich sie gestern gefragt hatte, ob wir heute was zusammen in das Café gehen könnten, damit ich ihr einfach zuhöre, wir zusammen sind, ich ihr zeige und dass sie gemocht, gewollt und interessant ist.

Bereits bei unserer Ankunft war zu riechen, dass sie sich gestern Abend, vielleicht auch heute Morgen und Mittag, mit dem herkömmlichen Fusel betäuben musste. Auch im Café bestellte sie statt einem Heißgetränk einen Wein oder Sekt.

Und obwohl das für mich schon immer eine traurige Tatsache gewesen war, bei der ich mich machtlos fühlte, war das Gefühl am Endes unseres Treffens stärker. Denn ich entließ sich mit einem ehrlichen Lächeln nach Hause und konnte guten Gewissens in die Bahn steigen und freien Gedankens meinen Alltag fortführen.

All these different parts of being meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt