Es wurde für Notsituationen schon oft geprobt und jedes Jahr machten sie als Station eine Evakuierungssituation durch, es war Pflicht, doch das sprengte jetzt schon alles Bisherige. Das Paradies fing an zu bröckeln, der Kern schien immer voller zu werden. Da es dort am meisten Bahnverbindungen gab, dachten wohl alle Menschen, dort wäre es leichter voranzukommen. Maik machte sich nicht verrückt. Er hatte es ja schon öfters geprobt und sein Schock schien er hinter sich gehabt zu haben. Er trottete langsam zu einem der Bahnverbindungen an der Wand, da ihm jetzt klar wurde, dass er dieses Paradies nie mehr sehen wird, sobald er sich zu Erde begibt. Ein Solarsturm der Klasse G5 X39 verursacht auf der Erde starke geomagnetische Effekte mit sehr starken Flares, eines der heftigsten möglichen Dinge, die von der Sonne ausgehen können. Auf einer Raumstation löst es nicht nur Kurzschlüsse aus, sondern verschmort auch alle Technik. Es wäre zwar möglich mit einem sehr starken Magnetfeld die Auswirkungen zu verringern, doch erstens würde es viel zu viel Energie benötigen und zweitens würde es bei ca. 30 Stationen rund um die Erde sich möglicherweise die Magnetfelder überlappen und noch schlimmeres Auslösen. Auch eine Möglichkeit wäre es, alles elektrische Abzuschalten und danach wieder anzuschalten, doch das würde, da die Stationen ohne Triebwerke nicht sehr stabil in ihrer Bahn sind, sie ineinander oder noch schlimmer: auf die Erde krachen lassen. Die Stationen sind noch klein genug um das andere Ende selbst bei hypothetischem Nebel zu sehen, aber doch groß genug um bei einer Kollision genug Weltraumschrott zu verursachen, um die Raumfahrt unmöglich zu machen und groß genug um bei einem Atmosphäreneintritt nicht vollständig zu verglühen. So wird der Sonnensturm sicher sehr viel Schaden am Planeten und an dem Menschen anrichten. Die Fahrt mit der Bahn hatte mehreren Stopps, da trotz der ausgefeilten Technik die Software mehrere Abstürze hatte. In dem Wagon konnte man die Stufen der Angst sehen: Zuerst war da der Kiffer mit dem Jamaika-Tattoo im Gesicht und dem Bob Marley T-Shirt. Er hatte die Situation noch nicht einmal begriffen und so war ihm alles egal. Dann kam die nervöse 80er Lady. Sie kleidete sich wie aus den Achtzigern und war wahrscheinlich auch schon 80. Die nächste Stufe war der scheinbar so harte Straßengangster, der mit wimmernder Stimme mit seiner Mama telefonierte. Und dann kam noch die blonde komplett verrückte Zicke, die schon jeden im Wagon angerempelt oder umgeschubst hatte und kaum noch Fingernägel zum drauf rumkauen hatte. Maik war ruhig. Innerlich und äußerlich. Er war sogar tief in Gedanken versunken und fragte sich ob er sich vielleicht nicht zu wenig kümmern würde. Er dachte an das Computer-Spiel, was ihm sein Vater vor Jahren mal gezeigt hatte, aus der Zeit, als er noch ein Kind war: Division 2. Und er dachte sich, wie cool es doch wäre in so einer Anarchie zu leben. Überall Waffen, Gewalt und Zerfall. Aber vor allem Action. Schon oft hatte sich Maik innerlich verzweifelt über den trostlosen und vor allem langweiligen Frieden im Paradies beschwert. Er hatte sich oft überlegt, wie es wäre, wenn er aus dem Muster ausbrechen würde um etwas Verrücktes zu machen. Das spannendste in seinem Leben bisher war ein Weltraumspaziergang, der aber so normal geworden ist, als würde man im 21. Jahrhundert auf eine Hausparty gehen. Zu seinem Geburtstag hatte er sich immer gewünscht zum NoGrav-Funland zu gehen. Dort gab es einfach echt jede Aktivität, die mit Gravitation langweilig war in spannend. Federball mit Gravitation? Langweilig! Hier ähnelte es eher an einem 3D Minigolf-Parkour mit hunderten Hindernissen und Gegenständen, die bei Treffern mehr Punkte geben. Oder Paintball. Auch langweilig bei Gravitation, doch mit Jetpacks und mit der 3. Dimension ein sehr anspruchsvoller Spaß! Aber jetzt mit der Aussicht auf Aufregung wurde ihm ganz kribbelig im Magen und es schien, als würde er innerlich aufwachen, während er äußerlich einfror. Endlich kam er zu Hause an. Sie wollten besprechen ob sie sich gleich oder erst später aus dem Staub machen wollten. Einstimmig wurde für jetzt entschieden. Laut Sicherheitsprotokoll sollte man einen Koffer fertig gepackt immer zu Hause stehen haben, doch das beherzigte Maik nicht. Er war es immer gewohnt, dass nie etwas passiert und so dachte er es würde ihm nichts nützen sein Zeug eingepackt zu lassen. Seine Eltern waren da schon spießiger. Sie hatten ihre Koffer monatlich sortiert und überarbeitet. Schon jahrelang. Trotzdem brauchte Maik weniger Zeit als sie. Er warf ein paar Shirts und Shorts in den nächstbesten Koffer, legte seinen antiken Laptop dazu, quetschte noch ein paar Süßigkeiten dazwischen, schaltete den Soulmark an, ein Signal, welches bestätigt, dass der Koffer zu ihm gehört, und wartete schon fast mit Vorfreude auf den Abflug. Auch die Fahrt zum Planetary Gate war holprig. Seine Eltern schienen nervös zu sein und hatten einen stark besorgten Gesichtsausdruck, während Maik grinste. "Hi ich bin Samantha", schien eine Stimme aus dem Off ihn zu bequatschen, so tief war er in Gedanken versunken. Er war nun am Gate angekommen, lehnte sich gegen ein Geländer und starrte in Richtung Tor zum All. "Wie? Was? Ehh, hi ich bin... Maik" "Du grinst ja... Du starrst in die Leere und grinst... Wie kannst du im Angesicht eines Solar Sturms deine Mundwinkel verziehen?" "Ich freue mich! Ich freue mich, dass endlich etwas passiert. Immer wenn ich nach oben schau sieht es gleich aus, wie vor und hinter und unter mir. Ich bin auf Triton 5 geboren und aufgewachsen, ich kenn' nichts anderes, aber mit der Zeit seh' ich nur das Gleiche und es wird eintönig" "Hey ich wollte nicht deine ganze Lebensgeschichte auf einmal hören", sagte sie "Aber auch ich nehm' das hier nicht all zu ernst. Ich füge mich dem Schicksal" "So was Blödes habe ich ja noch nie gehört!" "Wie bitte?" "Ja", meinte Maik," Tschuldige, aber das ist echt blöd! Immer auf eine unsichtbare Macht zu vertrauen und keine Entscheidung aktiv treffen zu wollen ist echt blöd und sowas von 21. Jahrhundert" "Haha, ja so kann man es auch sehen". Es herrschte schweigen. "Naja man sieht sich", sagte sie. Erst da drehte sich Maik zu ihr um und nickte vielsagend. Nach und nach wurde es immer voller im Terminal. Er verlor den Sichtkontakt zu seinen Eltern. Auch sein Koffer sah er nicht mehr, doch den hatten die Roboter wahrscheinlich schon längst eingeräumt. Es wurde immer mehr gedrängelt und geschoben. Maik bekam das Shuttle BG103 zugewiesen. 'Na toll', dachte Maik 'BG, wie bad game. Da hast du ja das große Los gezogen'. Die Shuttles wurden wegen dem Zeitdruck per Zufall zugeteilt und so war es ihm vorerst unmöglich seine Eltern wiederzufinden. Er übertrat die Schwelle, und hatte das Gefühl frei zu sein. Er war noch nie weiter als ein paar hundert Meter von der Station entfernt gewesen, doch jetzt würde er eine größere Distanz zurücklegen, als er jemals gelaufen war. Die Verankerungen lösten sich und die BG103 schwebte sachte los, beschleunigte aber schnell. 'Achtung, Kollisionswarnung! Achtung Kollisionswarnung! Zusammenprall in unter einer Minute' schallte es durch die Lautsprecher... Stille... dann sah man eine Anzeige auf den Bildschirmen, die die Station zeigte und ein Objekt, welches mit hoher Geschwindigkeit auf sie zuraste. Das Shuttle war noch mit der Station verbunden gewesen und so konnten sie die Notfallmeldung sehen und hören. Alle drängten sich ans Fenster und zerquetschten Maik fast. Jeder starrte abwechselnd auf die Station und auf die Bildschirme. Der Countdown zählte langsam runter, bis er Drei erreichte. Sie sahen vielleicht 10 Metern neben dem Shuttle ein riesen Gesteinsbrocken vorbeifliegen. Er steuerte auf die Station zu. Und bei null zerfetzte er die Hülle, durchquerte den Zylinder und kam auf der anderen Seite wieder raus. Alle waren ruhig, so lange wie seit Stunden nicht mehr. Alle in diesem Shuttle hatten gerade ihre Heimat verloren. Sie mussten zusehen, wie sie zerrissen wurde. Man sah zwei Fontänen von Gas aus dem Zylinder austreten und massig Einzelteile. Der Schock beendete sogar Maiks Lächeln. Stumm und verzweifelt sahen die Passagiere zu wie die frische Luft, die sie noch vor 10 Minuten eingeatmet hatten nun ins All austrat. "Scheiße" sagte Maik und brach somit das Schweigen.

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Solar Storm
Science FictionMaik, ein Jungendlicher/ junger Erwachsener wächst auf Trition 5, einer Raumstation auf. Die Situation, immer nur auf eine dann doch relativ kleine Station beschränkt zu sein macht ihm zu schaffen, doch die Veränderung, die er so herbeisehnt, kommt...