»Sohn eines Königs und Sohn einer Hure,
nie wird er anständig herrschen können.
Wir beugen uns ihm nicht.
Soll er die Wahrheit im Spiegelbild
unserer Äxte erkennen!«
GRACCAS HALBHAND,
SELBSTERNANNTER KÖNIG DER ZWERGE,
229 DGW
Als Lydja ankam, war die Tür nur angelehnt. Aus Jamilahs Zimmer drangen schon die Stimmen ihrer restlichen Kolleginnen. Offenbar war sie die letzte. Fröstelnd fuhr sie sich mit der Hand über ihren Unterarm, wo ein riesiger, blauer Fleck prangte. Von Erlingur. Der brutale Himmelskrieger hatte sie nun schon das zweite Mal aufgesucht, gestern Abend erst, doch diese Nacht würde seine letzte gewesen sein. Hoffentlich habe ich die richtigen Kräuter erwischt, dachte Die Schneeeule. Sie hatte sich ihm gestern willig gefügt, aber nur aus einem Grund: Um ihm das Öl auf die Haut zu schmieren, das ihn innerhalb eines Tages töten sollte. Sie selbst hatte zuvor das Gegengift genommen.
Während ihrer Zeit bei ihrer Herrin hatte sie gelernt, aus jeder Pflanze mindestens ein Gift und das dazugehörige Gegengift herzustellen. »Alles ist giftig. Es kommt nur auf die Dosis an«, hatte sie Der Schneeeule eingeredet. Es war eine Leichtigkeit für den Tiergeist gewesen, in den Garten des Goldenen Palastes zu gehen und dort einige Zutaten zu sammeln. So wie Naharat, das Kraut, das sowohl Freude schenken als auch töten konnte. Irgendwo im Süden der Goldenen Welt verwendete man es angeblich zum Versüßen der Speisen, obwohl es bei Berührung mit Zitronensaft zu einem tödlichen Gift wurde. Ein Gift, an dem auch Erlingur bald dahinsiechen würde. Die Schneeeule lächelte und schob das breite Armband aus Hermelinfell über den blauen Fleck. Bald würde alles vorbei sein. Dies war ihr letzter Tag im Goldenen Palast als Lydja, die Hure des Prinzen.
Als sie die Tür aufdrückte, verstummten die Gespräche abrupt und alle Frauen richteten ihre Blicke auf den Neuankömmling. Jamilah, die das größte Zimmer besaß und in dem sich zum Mittagessen alle Huren versammelten, saß wie immer auf ihrem ordentlich gemachten Bett. Die einzige dunkelhäutige Elfe unter ihnen war sehr pingelig was Ordnung und Sauberkeit anging. Sie behauptete von sich, einst die Fürstin von Karthago gewesen zu sein, bevor Piraten die Stadt überfallen und sie verschleppt hatten. Angeblich war sie ihnen nur entkommen, indem sie den Kapitän zum Kampf gefordert und gegen ihn gewonnen hatte, woraufhin sie das Schiff absichtlich gegen ein Riff gelenkt hatte, wo es zusammen mit der gesamten Mannschaft versunken war. Jamilah erzählte immer die gleiche Geschichte, ohne Abweichungen, aber sie schaffte es nie bis zu der Stelle, in der sie als Hure in den Goldenen Palast aufgenommen wurde.
Neben ihr hockte Kaya, die stille Elfe aus dem Zimmer gegenüber dem von Lydja. Ihre Haare hingen in zwei geflochtenen Zöpfen herab, doch einige der strohblonden Strähnen fielen ihr frei auf die nackten Schultern. Mit beiden Händen umklammerte sie eine Teetasse, von der noch weitere auf dem Tisch standen, der reich mit Essen gedeckt war. Für ihre Verhältnisse jedenfalls. Jamilah winkte Lydja wortlos herein und wandte sich wieder an Monya, die offenbar zuvor etwas erzählt hatte. Die roten Locken der aufgeweckten Elfe wippten heftig auf und ab, als sie fortfuhr. Währenddessen ging Lydja stumm zu dem Tisch, um sich zu bedienen. Die Schneeeule lauschte.
»Jedenfalls meinte Ezilryk...«
»Das ist der mit den hellbraunen Flügeln, oder?«, fragte Myra dazwischen, eine Elfe aus den tiefsten Wäldern von Rabû mit pechschwarzen Haaren.
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Goldene Träume
Fantasy»Alarchia ist nicht mein Land und die Goldene Welt ist nicht meine Heimat. Ich kam einst, um Frieden zu bringen, doch es ist hoffnungslos. Auf helle Zeitalter folgen dunkle und auf Leben folgt Tod. Nichts bleibt wie es ist, alles ist in Bewegung. Wi...