Fassaden

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Vorsichtig schlich Geralt durchs dichte Unterholz, seine beiden Schwerter ragten hinter seiner Schulter in die Höhe, sicher verstaut in den Schwertscheiden auf seinem Rücken. Mit seinen gesteigerten Sinnen nahm er die Umgebung um sich herum wahr. Der Wald war laut. Ein Reh blökte in der Ferne, links von ihm raschelte ein kleiner Nager durch das hohe Gras. Viele hundert Meter weiter war ein Wolfsrudel auf Jagd, ihr Knurren drang ohrenbetäubend laut an Geralts Gehör. Doch er schenkte keinem dieser Geräusche besondere Aufmerksamkeit.

Geralt lauschte auf das Raunen menschlicher Stimmen und das Knistern eines Feuers. Die Banditen machten sich nicht die Mühe, leise zu sprechen. Sie rechneten nicht mit einem Angriff, fühlten sich in dieser Umgebung sicher, mitten im Wald und meilenweit entfernt von der nächsten Zivilisation entfernt. Sie konnten nicht ahnen, dass ihnen ein Hexer auf der Spur war. Es war eine kleine Gruppe, nur etwa zehn Männer. Sie waren auf Pferden unterwegs und hatten einen kleinen Wagen dabei, der mittlerweile mit vielen Kostbarkeiten gefüllt war, die sie den Bauern auf ihrem Weg geraubt hatten.

Seit einer Woche war Geralt ihnen auf den Fersen, verfolgte und beobachtete sie. Vor einer Woche hatte er die Nachricht erhalten. Er war in den südlichen Randgebieten von Touissant auf Kikimorenjagd gewesen, als ihn der Bote gefunden hatte. Ein Knabe, kaum älter als acht Jahre. Er war ihm auf bloßen Füßen hinterher gerannt. So dürr, dass ihm Hemd und Hose ständig verrutschten. Er hatte ihm einen schmutzigen Zettel überreicht, einen Brief ohne Siegel. Doch der war auch nicht notwendig gewesen. Die schnell dahin gekritzelten Zeilen waren trotz der Hektik verschnörkelt geschrieben und auch die Wortwahl ließ nur eine einzige Person als Autor zu. Julian Alfred Pankratz, Viscount de Lettenhove, auch Rittersporn oder Jaskier genannt. Ein Poet, Minnesänger und Barde. Und wiederkehrender Wegbegleiter Geralts.

Er hatte nur drei Sätze geschrieben.
Lieber Freund, ich benötige dringend Eure Hilfe und bitte Euch deshalb eindringlich Euch in Eile auf den Weg nach Oxenfurt zu machen. Der hier residierende Banditenkönig Phillipe LaCourt beschloss vor Kurzem seine Männer nach mir zu schicken, um meinem so kurzen Leben ein Ende zubereiten. Er versprach mir, meinen entzückenden Hintern im nächsten Fluss zu versenken.


Ein Wunder, dachte Geralt, Jaskier hatte es mal wieder geschafft, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Nichts Ungewöhnliches für den Barden. Und nichts, was Geralt sonderlich kümmerte.

Wirkliche Sorgen bereiteten ihm allerdings die blutigen Flecken auf dem dreckigen Papier. Sollten sie tatsächlich von Rittersporn stammen konnte er wirklich Hilfe brauchen.
Aus dem Jungen waren keinerlei brauchbare Informationen herauszubekommen, er hatte den Brief von einem Boten an der Grenze übernommen. Also schickte Geralt ihn wieder zurück nach Hause, nicht ohne ihm noch ein üppiges Trinkgeld mitzugeben, von dem er sich hoffentlich etwas zu essen kaufen würde.
Dann machte Geralt sich auf den Weg nach Oxenfurt. Die Kikimoren konnten warten.


Nur eine Tagesreise später endete seine Reise, als er auf eine Gruppe Banditen stieß. Er belauschte ihr nicht gerade sehr leises Gespräch am Feuer und erfuhr, dass ihr König LaCourt vor einigen Tagen einen berühmten Barden gefangen genommen hatte. Dieser hatte wohl der jungen Frau des Herrn nachgestellt, was LaCourt unter keinen Umständen dulden konnte. Deshalb sollte der Lautenspieler in wenigen Tagen im Hauptquartier der Banditen außerhalb der Stadt für seine Vergehen bestraft werden. Wie diese Bestrafung genau aussehen sollte, darin waren sich die Männer nicht einig, doch eines war klar: Es würde spektakulär werden und mit dem schmerzhaften Tod des Barden enden. Die Banditen bemerkten fröhlich, dass sie es vermutlich sogar zeitig zu dem Spektakel zum Versteck schaffen und es sich somit selbst ansehen konnten.
Seit dem folgte Geralt der Gruppe. Selbstverständlich hätte er sie alle direkt am ersten Abend töten können, doch er kannte den Ort des Versteckes nicht und es hätte zu lange gedauert, bis er aus einem von ihnen die lebensrettenden Informationen herausbekommen hätte. Also folgte er ihnen nur.
Obwohl Geralt bei jeder sich bietenden Gelegenheit bestritt, dass Jaskier und er Freude waren, so hatte er den Barden doch mittlerweile in sein Herz geschlossen. Manchmal ging es sogar so weit, dass er die Gesellschaft des jungen Künstlers derartig genoss, dass er den Tag fürchtete, wenn ihre Wege sich wieder trennten. Und sei es auch nur für kurze Zeit.

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