Gerade einmal 2 Tage später sollte ich wieder in die Schule. 5 Tage Schonfrist hatte ich bekommen. 

So quälte ich mich am Montag Morgen aus dem Bett, dass in den letzten Tagen sehr oft meine Anwesenheit ertragen musste. 

Müde trottete ich ins Bad und versuchte den Blick in den Spiegel zu vermeiden. Aber mein Körper gehorchte meinem Gehirn natürlich nicht und mein Blick traf unwillkürlich doch den Spiegel an der Wand. 

Ich sah schrecklich aus. Wirklich. Meine Augenringe waren so tief wie wohl noch nie und auch insgesamt sah ich nicht gesund aus. Meine Haare waren stumpf und glanzlos. Auch von meiner ansonst so positiven Einstellung konnte man nichts erkennen. Wieso sollte man auch?

Lustlos stellte mich unter die Dusche und versuchte meiner normalen Morgenroutine nachzugehen. Von meiner üblichen Motivation war keine Spur. 

Alles lief wie mechanisch. Duschen, Abtrocknen, Haare föhnen und in einen Zopf fassen. MakeUp drauf, damit ich zumindest nicht direkt mit einer Leiche verglichen werden würde. Und dann mein Lieblingspart. Hört man die Ironie?

Unsere tolle Schuluniform. Für mich bestand sie aus fast kniehohen, weißen Strümpfen, einem schwarzen Rock, der gerade die Hälfte meiner Oberschenkel bedeckte, einem weißem Hemd und einem unförmigen, roten Pullover. Wahrscheinlich könnte es schlimmer sein. Naja, nicht nur wahrscheinlich. 

Während ich mich umzog fiel mein Blick auf die Bilder an der Wand, die meinen Gedanken bestätigten. Auf einem der Bilder waren zwei Kinder zu sehen. Elijah und Ich. Es war unser erster Schultag gewesen. Und die Schuluniformen waren wirklich mehr als grässlich. Der Pullover war in einem seltsamen gelb, dass wohl niemandem irgendwie stand, schon gar nicht mir. Und die Hosen, die damals dazu gehört hatten, kamen wohl aus dem Altkleidersack. So sahen sie zumindest aus. 

Aber bis auf diese grässliche Uniform waren wir glücklich gewesen. Wir grinsten über beide Ohren und zeigten damit der ganzen Welt unsere großartigen Zahnlücken.

Ein leichtes Lächeln erschien auf meinen Lippen. Dieser Tag war wohl einer der besten gewesen, wobei jeder Tag mit ihm einfach etwas Besonderes gewesenwar. Ich seufzte. 

"Kryssanthi, kommst du? Ich nehm' dich mit.", mein Vater. Langsam nahm ich meine Schultasche von meinem Schreibtischstuhl. Sogar an dieser einfachen Tasche hingen viel zu viele Erinnerungen. 

Ohne große Motivation ging ich nach unten, wo im Gang schon mein Vater auf mich wartete. Also schlüpfte ich in meinen Mantel und meine Schuhe und ging mit ihm vor die Tür und zum Auto. 

Keine zehn Minuten später hielten wir auch schon vor dem Gebäude. Für eine Privatschule war der Schulkomplex mit seinen roten Jalousien wirklich hässlich. Kein Wunder also, dass man dem gegenüber nur Hassgefühle entwickeln kann. 

Ich verabschiedete mich vom meinem Vater und ging in die Schule hinein. Überall standen Menschen die mir bekannt vorkamen. Natürlich, immerhin hatte ich durch meine vielen Kurse auch recht viele unterschiedliche Mitschüler. Die Namen von den Meisten wusste ich jedoch nicht. Wieso auch? Ich hatte immer Elijah gehabt und wir hatten nie jemand anderen gebraucht. Wir hatten uns und so war es gut gewesen. 

Aber jetzt war er weg. 

Montag war unser Lieblingstag. In den ersten zwei Stunden hatten wir gemeinsam Biologie gehabt, in Mathe danach sind wir aber getrennte Wege gegangen. Dann hatten wir noch zwei Stunden Deutsch, bevor wir in die Mittagspause entlassen wurden. Danach noch Kunst und wir konnten heim und uns anderen Dingen widmen. Oft waren wir noch in die Bibliothek gegangen.

All das war nun Vergangenheit. Ich wusste nicht ob ich daran festhalten, oder sämtliche Routine fallen lassen sollte. So oder so würde es schwer werden. Sehr schwer. 

Schon bevor die erste Stunde begann hatte ich mehr unserer täglichen Rituale gebrochen als in den letzten Jahren zusammen. Keine Motivation, kein gemeinsamer Schulweg und ich kam zu spät in den Unterricht. Biologie. Unser Lieblingsfach. Mein Lieblingsfach. Unser...mein Biologielehrer Herr Hosch nahm es mir nicht übel. Er wusste was passiert war und wenn es jemand verstehen konnte, dann er. 

Alleine ließ ich mich auf meinen Platz sinken. Normalerweise liebte ich es in der ersten Reihe zu sitzen. Heute war das anders. Ich fühlte mich von allen Seiten beobachtet. Ich fühlte mich den Blicken der anderen schutzlos ausgesetzt. Alles in mir schrie danach einfach aufzustehen und den Raum zu verlassen. So schnell wie möglich einfach weit weg. Aber ich zwang mich dazu sitzen zu bleiben. 

Mehr in Trance verfolgte ich den Unterricht. Immer wieder erwischte ich mich dabei, einfach nicht zuzuhören und meine Gedanken zu verfolgen. Das war mir schon lange nicht mehr passiert. 

In der Mittagspause saß ich alleine an dem Tisch am Fenster. Was die anderen dachten war mir egal.

Ich hatte mich selten so sehr gefreut nach Hause zu kommen wie an jenem Tag. Den ganzen Tag hatte ich mit niemandem gesprochen. Nicht ein Wort. Und genau das setzte ich auch zu Hause fort. Aber ich hatte nicht mit meinen Eltern gerechnet. "Wie geht es dir?" "Wie war die Schule?" "Alles in Ordnung?". 

Und so verließ ich das Haus keine 2 Minuten nach dem ich nach Hause gekommen war schon wieder und ging direkt zum Friedhof. Ich könnte nicht einmal sagen ob das mein Plan gewesen war, meine Füße trugen mich automatisch dort hin. 

How to get away with sorrowWo Geschichten leben. Entdecke jetzt