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„Ich nehme nicht an, also, ob ich wohl einen Tee bekommen könnte?"

Leo Rivenhall lächelte die Bedienung schüchtern an und trug bei seinem britischen Akzent so dick auf, dass er gerade so eben an einer Parodie vorbeischrammte.

„Ich denke, das lässt sich machen", antwortete die junge Frau freundlich. Dabei schaute sie ihn belustigt aus ihren rehbraunen Augen an. „Schließlich sind wir hier in einem Teesalon."

„Exzellent." Leo schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. Gepflegte, blendend weiße Zähne — so wichtig. Einen guten Eindruck zu machen, war die halbe Miete. Besonders bei seiner Tätigkeit.

Er saß allein an einem kleinen runden Tisch, an dem mit etwas Mühe die Gedecke für zwei Personen Platz finden konnten.

„Ob ich Sie wohl noch weiter bemühen dürfte?", fragte er zögernd. „Äh, also ich meine, wäre es sehr unverfroren, Sie um eine Kanne Earl Grey zu bitten und ein wenig Milch?"

In Wahrheit trank er seinen Tee lieber pur. Doch wenn man andere dazu brachte, einem einen Gefallen zu tun, dann wurde man ihnen dadurch paradoxerweise sympathischer. Das Gehirn ging offenbar davon aus, dass man den Betreffenden mochte. Warum sonst wäre man auf seine Bitte eingegangen?

Leo Rivenhall war keineswegs so unsicher, wie er sich bei der Bestellung des Tees gegeben hatte. Er übte nur wieder einmal seine Fertigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Genauso, wie er auch die Flinkheit seiner Finger regelmäßig mit Münzen und Spielkarten trainierte, damit sie bei Taschenspielertricks nicht versagten.

Menschen widerstrebte es bekanntlich, Befehle entgegenzunehmen. Sie zeigten sich jedoch gerne großzügig, besonders wenn man höflich oder unsicher fragte.

Daher wunderte es Leo nicht, dass das junge Mädchen nach wenigen Minuten zurückkam und ihn als Ersten bediente, obwohl es seine Bestellung als die letzte von dreien aufgenommen hatte.

Es trug ein Tablett mit einer Kanne von Leos Lieblingstee samt Tasse, Zucker und Milch sowie einem kleinen Teller mit drei Petits Fours. Die würfelförmigen Mini-Küchlein waren mit hellgelbem, pastellgrünem und rosafarbenem Guss überzogen und mit Blümchen und Herzchen aus Zucker verziert.

„Hervorragend. Ganz, ganz herzlichen Dank, meine Liebe", sagte er schüchtern und stammelte dabei ein wenig.

„Bei einem netten Gast wie Ihnen immer gerne."

Wie es sich für eines der ersten Häuser am Platze gehörte, bereitete es ihr keine Schwierigkeiten, sich auf Englisch zu verständigen. Sie sprach allerdings mit einem starken, aber sehr charmanten französischen Akzent.

Sie zeigte auf die Petits Fours und sagte lächelnd: „Die gehen aufs Haus." Dann eilte sie leichtfüßig davon, ohne Leos Antwort abzuwarten.

Wie sie das wohl meinte? Hatte sie eine Art Konto für Dinge, die sie selbst verzehrte, das sie damit belasten konnte? Er hoffte, dass er sie nicht zu irgendeiner Form von Betrug verleitet hatte. Das lag absolut nicht in seiner Absicht. Doch sie machte nicht den Eindruck, dass sie zu Tricks und Unehrlichkeiten neigte.

In der nächsten halben Stunde lächelte sie ihm jedes Mal aufmunternd zu, wenn sie an ihm vorbeikam. Offenbar hatte er durch sein Verhalten ihre Beschützerinstinkte geweckt und dadurch die Grundlage für weitere Beeinflussungen gelegt. Es wäre nun ein Leichtes für ihn, sie unter halbwegs plausiblen Vorwänden zu allen möglichen Dingen zu überreden oder ihr irgendwelche vertraulichen Informationen zu entlocken.

Zufrieden trank Leo einen Schluck des wirklich hervorragenden Tees und gönnte sich eines der Petits Fours, das ebenfalls nicht enttäuschte.

Er hatte es einfach drauf. Wenn es ums Zwischenmenschliche ging (diese Formulierung gefiel ihm besser als das unschöne Wort Manipulation), war er in seinem Element.

Ebenso in seinem Element war er an einem luxuriösen Ort wie diesem. Der Teesalon befand sich im Erdgeschoss eines 5-Sterne-Hotels an der Côte d'Azur. Genauer gesagt, etwas außerhalb von Saint-Tropez auf einer Klippe direkt am Meer.

Doch er war nicht zu seinem Vergnügen hier. Jedenfalls nicht nur.

Während er in aller Ruhe seinen Tee trank, beobachtete er einen jungen Mann, der einige Tische weiter saß und hektisch in sein Smartphone sprach. Vor ihm standen eine Dose mit einem Energydrink und ein fast leeres Glas.

Der Teesalon mit seinem herrlichen Blick auf das tiefblaue Mittelmeer war wie an jedem Nachmittag gut besucht.

Deshalb drang von dem, was seine Zielperson sagte, nur wenig zu Leo herüber. Außerdem gehörte Norwegisch nicht zu den Sprachen, die er fließend beherrschte.

Er verstand lediglich einzelne Wörter wie: „mein Vater" und „nein." Und: „Aber die Firma gehört auch mir. Sagen Sie ihm das."

Das Letzte hatte der junge Mann auf Englisch gesagt, in das er, wie viele, vor allem jüngere Mitglieder des internationalen Jetsets, immer wieder mühelos wechselte, ohne dass es ihm vermutlich auffiel.

Der Name des jungen Manns war Kjell Nilsen. Er stammte aus Norwegen, war 25 Jahre alt und damit kaum jünger als Leo. Was ihn so interessant machte: Seine Familie war die reichste des skandinavischen Landes.

Leo war an die südfranzösische Mittelmeerküste gereist, um seine Finanzen aufzubessern. Noch am Tag seiner Ankunft hatte er damit begonnen, sich nach geeigneten Opfern umzuschauen. Der norwegische Milliardärssohn hatte am Ende das Rennen gemacht.

An den vergangenen Tagen hatte er dessen Verhalten unauffällig studiert und im Internet und in scheinbar beiläufigen Gesprächen, zum Beispiel mit Hotelbediensteten, jede Menge Informationen über ihn gesammelt.

Kjell Nilsen legte bei allem, was er tat, eine Sorglosigkeit und eine Arroganz an den Tag, die verrieten: Er hatte ganz offensichtlich noch nie in seinem Leben Geldprobleme gehabt. Mit Sicherheit war er nie mitten im Jahr aus der Schule genommen worden, weil seine Eltern das exklusive Internat nicht mehr bezahlen konnten, da sein Vater das Vermögen der Familie durchgebracht hatte. Nie hatte er seinen Freunden Lügen auftischen müssen, um zu erklären, warum er Hals über Kopf seine Sachen packen und abreisen musste, und dabei eine glühende Scham verspürt, die sich für immer in sein Gedächtnis eingrub.

Der junge, steinreiche Norweger war ein richtig dicker Fisch und in den kommenden Tagen würde Leo ihn an Land ziehen. Den geeigneten Köder hatte er schon vorbereitet. Nun würde er ihn vor Kjells Nase hin und her schwenken.

Der kleine Austausch mit der Kellnerin war nur eine Fingerübung gewesen, eine Art Aufwärmen. Leo legte ein paar Scheine auf den Tisch, um die Rechnung zu begleichen und die junge Frau mit einem fürstlichen Trinkgeld für ihre Freundlichkeit zu belohnen.

Dann stand er auf und schlenderte gemächlich auf den Tisch des jungen Norwegers zu.

Der Riviera-CoupWo Geschichten leben. Entdecke jetzt