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Während Leo am folgenden Abend in der Nähe des Luxus-Restaurants „La Satropie" auf sein Opfer wartete, dachte er an die vergangenen Tage zurück.

Die Assoziation, die sich ihm beim ersten Anblick von Kjell Nilsen aufgedrängt hatte, war: Polohemd. Und das nicht nur, weil der junge Mann in dem betreffenden Augenblick eines trug. Und zwar, wie zu erwarten, ein Hemd mit einem Logo, das verriet, dass der Bursche sich bei Gucci einkleidete.

Das kinnlange, supergepflegte blonde Haar, das glatt rasierte, leicht gebräunte und stets gelangweilte Überheblichkeit ausstrahlende Gesicht, sein gesamtes Erscheinungsbild von Kopf bis Fuß. Das war es, was Leo dazu veranlasste, ihn in die Gruppe einzuordnen, die er in Gedanken als „Polohemdenträger" bezeichnete. Männer jeglichen Alters, denen ihr Aussehen wichtiger war als fast alles andere, ohne dass sie über die Fähigkeit oder den Mut verfügten, einen eigenen Stil zu entwickeln.

Nicht, dass es an Polohemden an sich etwas auszusetzen gab. Leo trug sie selbst hin und wieder. Aber von einer britischen Marke, deren Kleidungsstücke Kenner auch ohne Logo erkannten, am Schnitt und an der Qualität.

Leos zweiter, dritter und vierter Gedanke, als er Kjell in einer Gruppe junger Möchtegern-Promis auf der Croisette, der berühmten Promenade in Cannes, sah, waren: Dieser Bursche hatte sich noch nie für irgendetwas anstrengen müssen. Er litt unter einer unbezähmbaren Geltungssucht, gepaart, wie so oft in diesen Fällen, mit einem tief sitzenden, nur schlecht verborgenen Mangel an Selbstvertrauen.

Leo war einen Tag vor dem Beginn der Filmfestspiele in Cannes angereist und hatte sich mehrere Tage lang nach möglichen Opfern für einen netten kleinen Betrug umgesehen. In der südfranzösischen Stadt war wegen des Filmfestivals viel los. Das war gut. Denn umso weniger würde er auffallen, während er potenzielle Zielpersonen studierte.

Gleichzeitig zogen die Festspiele jede Menge Leute an, die über so viel Geld verfügten, dass es sich lohnte, sie ins Visier zu nehmen.

Schnell hatte Leo drei vielversprechende Kandidaten ausgewählt und sich schließlich für Kjell Nilsen entschieden.

Was er im Internet über das Bürschchen entdeckte, was er bei Gesprächen mit einigen Leuten erfuhr, und außerdem seine eigenen Beobachtungen, das alles ließ den Norweger als besonders geeignete Zielperson erscheinen.

Kjell hatte von seinem Großvater Anteile an einem internationalen Unternehmen mit Hauptsitz in Oslo geerbt. Ursprünglich eine Brauerei, umfasste der Konzern inzwischen weitere Firmen aus der Lebensmittelbranche, außerdem eine Bank und anderes mehr.

Zwischen Kjell und seinem Vater Sören gab es regelmäßig Streit, wenn man den Boulevardblättern und der Wirtschaftspresse glauben konnte. Kjell wollte eine wichtigere Rolle im Unternehmen spielen, sein Vater, der in dem Konzern das Sagen hatte, lehnte das jedoch ab. In seinen Augen, so hieß es, war sein Sohn zu unerfahren und nicht qualifiziert genug.

Als sehr ergiebige Informationsquelle erwiesen sich auch Posts von Kjell und Personen aus seinem Bekanntenkreis bei Instagram und anderen Social Media. Sie erlaubten es Leo, eine Menge über sein zukünftiges Opfer sowie dessen Interessen und Tagesablauf zu erfahren.

Offensichtlich war der Junge ein Filmfan und sein großes Idol war der Schauspieler Keanu Reeves. Besonders seit seiner Rolle in dem Welterfolg „John Wick". Einiges deutete darauf hin, dass er insgeheim davon träumte, selbst ein cooler Filmheld zu sein wie Tom Cruise, Vin Diesel oder eben Keanu Reeves.

Bevor er sich Kjell Nilsen zum ersten Mal zeigte, hatte Leo sein Aussehen subtil an das des amerikanischen Schauspielers in seiner ikonischen Rolle des Killers John Wick angepasst.

Das Blau seiner Augen verbarg er hinter braunen Kontaktlinsen. Sein braunes Haar hatte er von einer teuren Coloristin in einem Friseursalon in Nizza dunkler färben lassen. So einen Coup vorzubereiten, erforderte größte Sorgfalt und nicht unerhebliche finanzielle Investitionen. Wie die für eine Coloristin. Denn das Schwarz, das man bei Mitteln zum Selberfärben herausbekam, wirkte einfach unnatürlich. Fast, als hätte man Schuhcreme benutzt.

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