KAPITEL 2

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Luana

Den ganzen Abend lag sie wach im Bett. Sie hatte den Gedanken nicht aus dem Kopf bekommen, dass jemand mit ihr gesprochen hatte, dass sie eine Stimme gehört hatte. Luana konnte sich nicht erklären, wie er das gemacht hatte, es schien ihr unwirklich vorzukommen. Denn sonst hätten doch schon andere mit ihr geredet, oder?

Eine Stimme zu hören war ungewohnt und beängstigend, aber gleichzeitig auch faszinierend. Schließlich hatte sie elf Jahre lang nichts gehört.

Wer auch immer der Fremde war, Luana wollte unbedingt, dass er wieder kam und seine Stimme hören.

Konnte sie ihm auch antworten, fragte sie sich unwillkürlich. Würde es nicht wunderbar sein, mit jemandem reden zu können, nach all den Jahren? Würde ihre Stimme anders klingen als sonst, wenn sie nachdachte? Auch wenn das nicht im Ansatz damit vergleichbar war, was sie heute erlebt hatte. Aber sie musste es unbedingt versuchen und ausprobieren, ob sie auch mit ihm reden konnte. Es wäre doch zu schön.

Doch kam er überhaupt wieder? Ihre Mutter hatte dazu nichts gesagt. Aber warum sollte er sie einmal ansprechen und dann nie wieder? Das würde erdoch nicht tun, so hoffte sie. Doch er hatte auch keine Gründe wiederzukommen.

Eine Hand griff nach ihrer und für einen Moment hoffte sie, dass er es war, doch dann erkannte sie ihre Mutter. Fast war sie enttäuscht.

Ich muss jetzt arbeiten. Dein Vater ist da, er öffnet deinem Besuch von gestern. Ich habe nur seinen Namen vergessen‹, schrieb sie in hastigen Buchstaben auf Luanas Hand. Bevor sie antworten konnte, war ihre Mutter schon verschwunden. Sie seufzte. Konnte sie sich nicht einmal Zeit für ihre Tochter nehmen?

Luana stand auf und ging in ihr Zimmer, da sie nicht wirklich wusste, was sie machen sollte. An ihrem Regal angekommen strich sie lustlos mit den Fingerspitzen über die Einbände ihrer wenigen Bücher, die sie besaß. Bücher, die in Braille geschrieben waren, kosteten viel, weswegen sie oft nur ausgeliehen wurden. Sie war stolz, dennoch ein paar zu besitzen.

Zwar las sie oft, meist um sich die Zeit zu vertreiben, doch heute hätte sie sich nicht konzentrieren können, denn sie wusste, dass er jeden Moment kommen konnte.

Gestern hatte er nichts mehr zu ihr gesagt, war jedoch noch eine Weile vor ihr sitzen geblieben und hatte ihre Hand gehalten, ganz sanft. Sie erinnerte sich noch daran, wie er über ihre Haut gestrichen hatte. Es war komisch gewesen, die Hand eines Fremden in ihrer zu halten, aber dennoch nicht unangenehm. Vielleicht, weil er so umsichtig mit ihr umgegangen war und sie zu nichts gezwungen hatte.

Sie seufzte und ließ von ihren Büchern ab, bevor sie sich an ihren Tisch setzte und ihren Kopf auf den Armen ablegte. Vielleicht konnte sie sich noch ein wenig entspannen, denn die letzte Nacht hatte sie zu wenig geschlafen, denn ihre Grübeleien über den Fremden hatten sie wachgehalten.

Ihre Mutter hatte nicht erwähnt, wann er kommen sollte, also könnte es auch erst am Nachmittag der Fall sein. Doch nach noch nicht einmal fünf Minuten spürte sie einen Luftzug auf der Haut und kurz darauf eine sachte Berührung an der Schulter. Plötzlich wieder aufgeregt stand sie auf. War er es wirklich?

Langsam hob sie ihre Hand, damit er sie nehmen konnte. Warme Finger umschlossen ihre, hoben sie an und für einen Moment streiften seine Lippen ihren Handrücken. Sie riss die Augen auf, während ihr das Blut in die Wangen schoss. Was machte er da gerade bitte?

Als er nichts weiter machte, ging sie auf ihr Bett zu, was vom Schreibtischstuhl abgesehen die einzige Sitzmöglichkeit im Raum war.

Ihr Besuch nahm neben ihr Platz, kam ihr aber nicht zu nahe. Er schien zu verstehen, dass das alles neu für sie war.

Moonlight - Caught in her mind [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt