Sofort schämte sie sich wieder dafür dass sie einfach weggerannt war. Was Flamur jetzt wohl von ihr dachte? Hoffentlich nichts allzu Schlechtes. Sie war einfach ein wenig überfordert gewesen mit der Situation, sie war es nicht gewohnt, von jemand Fremdem umgeben zusein, der sie dann auch noch zum Abschied umarmte. Machte man das so?
Luana seufzte und warf sich auf ihr Bett. Den Weg zur Tür würde er schon finden, da war sie sich sicher. Verirren konnte man sich in der Wohnung nicht.
Sie fragte sich, ob sie jemals hier herauskommen würde. So wirklich. Denn sie war den ganzen Tag in diesem Haus oder auch manchmal im Garten, aber ansonsten steckte sie hier fest. Wie die Welt wohl aussah? Sie würde es nie erfahren.
In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie etwas sehen können, keine Farben erkennen, keine Formen an ihrem Aussehen bestimmen, geschweige denn etwas Richtiges lesen.
Und sie würde es auch nie. Denn selbst wenn es eine Methode gäbe, mit der sie sehen könnte, würde sie sie nicht in Anspruch nehmen. Es wäre viel zu ungewohnt, viel zu neu für sie und sie würde damit mit klarkommen. An Veränderungen konnte sie sich schwer gewöhnen.
Dennoch faszinierten sie Farben, auch wenn sie noch nie welche gesehen hatte. Es gab so viele verschiedene; blau, rot, grün, türkis, schwarz, violett oder gelb.
Luana wusste, dass ihre Augen blau und ihre Haare blond waren, aber nicht wie sie aussahen.
Wie Flamur wohl aussah? Sollte sie ihn fragen? Sie wollte es wissen. Hatte er braune Haare, oder schwarze oder rote? Waren seine Augen blau wie ihre oder doch grün oder braun? War seine Haut hell oder dunkel?
Wie konnten die Menschen hell oder dunkel unterscheiden? Wussten sie von Anfang an, was welche Farbe hatte? Gras war grün, Schnee weiß und Blut rot. Aber was waren grün, weiß und rot?
Die Welt war so bunt und Luanas so monoton. Warum konnte es nicht auch in ihrer Farben geben?
Es war schon Abend, als sie endlich aus ihrem Gedankenwirrwarr erwachte. Ihre Mutter war in ihr Zimmer gekommen und hatte sie zum Abendessen gebeten. Hatte es überhaupt etwas zu Mittag gegeben? Stumm folgte sie ihr und aß leise ihr Essen, wobei sie nicht einmal wirklich mitbekam, was es gab. Was war nur mit ihr los?
Nachdem sie fertig waren, wollte sie eigentlich sofort wieder in ihr Zimmer, ihre Gedanken sortieren gehen, doch ihre Mutter hielt sie auf.
›Erzähl von Flamur‹, schrieb sie, ohne lang herum zu reden. Luana war das gewohnt.
›Er ist nett, er redet mit mir. Es ist seltsam, aber ich mag es‹, antwortete sie, fast genau so knapp.
›Wie findest du ihn?‹, fragte sie weiter nach.
›Er ist nett, sagte ich doch. Ich kenne ihn noch nicht so lange.‹ Luana war es unangenehm, dass ihre Mutter sich danach erkundigte, aber wahrscheinlich war sie nur neugierig.
›Was erzählt er so von sich?‹
Sie runzelte die Stirn, die Frage verwirrte sie. Warum wollte ihre Mutter das über ihn wissen, sie konnte ihn doch selber fragen. Da brauchte sie nicht ihre Tochter dafür. Sie konnte ganz normal mit Leuten sprechen, im Gegensatz zu Luana.
›Frag ihn selber.‹ Ohne eine Reaktion abzuwarten verschwand sie in ihrem Zimmer, denn auf diese seltsame Unterhaltung hatte sie keine Lust mehr.
Sie wollte nicht mehr weiter nachdenken, wollte sich nur in ihr Bett legen und schlafen, damit alle Gedanken fern blieben. Denn sie hatte den ganzen Tag nichts anderes zu tun als nachzudenken. Doch in zwei Tagen kam Arian wieder ...
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Moonlight - Caught in her mind [Leseprobe]
General FictionWas ist deine Lieblingsfarbe? Helles Blau mit einem milchigen Schleier. Luana ist taubblind. Seit Jahren kann sie mit niemandem mehr reden, sich nur über Berührungen verständigen. Ihren Alltag bewältigt sie, so gut es geht, mit einem Lächeln auf den...