In einem leeren Raum stand sie da, alleine. Ihre langen Haare fielen ihr in sanften Wellen über die Schultern und das warme Sonnenlicht, welches durch die drei breiten Fenster an den nördlichen, westlichen und östlichen Wänden fiel, ließ ihre dunkelblonde Mähne golden scheinen. Der Glanz fiel auf die Wände um sie herum, erhellte so den Raum von innen und kitzelte zärtlich ihr Gesicht, doch er erreichte ihre Augen nicht. Als einzige blieben diese dunkel, in diesem wundersamen Blaugrau-Ton, den sie schon allzu oft gesehen hatte. Sie sah ihn im Abendhimmel, wenn das Wetter stürmisch war, sie sah ihn im Wasser des kleinen Baches, der unermüdlich den Berg hinunter plätscherte, sie sah ihn im Wald, jedes Mal, wenn sie an den blauen Blumen vorbeilief. Sie kannte diese Schattierung schon so gut, dass sie diese sofort erkennen konnte, wenn sie sie auch nur aus dem Augenwinkel sah. Und doch waren die Tiefen dieser Färbung ungewiss, unergründlich für das Mädchen, welches dort im Raum stand und aus dem Nordfenster blickte. 
Sie kannte ihre eigene Person nicht. Sie wusste nicht, wer sie war. Wie, also, sollten sie andere verstehen können? Gar nicht. Aber sie war ja noch hier, in diesem kleinen Zimmer ohne Tür. Noch hatte sie keinen Fuß in die weite Frühlingswelt hinter den Fenstern gesetzt, keine Menschen getroffen. Vielleicht sollte sie es auch dabei belassen. Einfach in ihrem gut gehüteten Heim bleiben, welches ihr schon das ganze Leben lang Schutz geboten hatte...
Nein. Sie wollte das jetzt tun, sie wollte sich selbst finden. Dafür musste sie nur aus dem Zimmer steigen. Und nur drei Fenster standen ihr offen - Ost, Nord und West.

~Lavenn
  • Austria
  • Se ha unidoJune 10, 2014


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