Kapitel 3

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Es scheint, als ob ich wieder einmal gegen die Dämonen längst vergangener Zeiten ankämpfe. Als ob ich wieder und wieder in den Ring steige und denselben Kampf zu gewinnen Versuche. Es ist ein Déjà-vu. Eine immer wiederkehrende Erinnerung, an das, was schon vor langer Zeit geschehen ist und trotzdem nicht vergessen werden will. Es ist, als ob sich ein Virus eingenistet hat, der aus heiterem Himmel Schmerzen verursacht, die mehr Qualen gleichen, als unserem gewöhnlichen Schmerzempfinden. Wann immer dieser Dämon, dieser Schmerz auftritt, ist nichts mehr normal. Normalität existiert in diesem Augenblick nicht, und wenn diese Erinnerung länger währt, als nur einen Augenblick, dann laufen wir Gefahr vollkommen verrückt zu werden und nie wieder in die Realität zurück zukehren. Es ist, als ob eine Stimme in meinem Kopf sagt: „Es ist noch nicht vorüber. Noch ist kein Abschied in Sicht.“

Die Erinnerung ist zuerst verschwommen, doch mit jeder verstreifenden Sekunde nimmt sie klarere Umrisslinien an. Es ist weniger, als wenn jemand eine Lampe angezündet hat, und man sich im gleißenden Licht und unter vollem Bewusstsein wiederfindet. Es gleicht mehr einer kleinen Flamme. Einer schmalen Lichtquelle, die uns trotz ihrer geringen Leuchtkraft Trost spendet und einen Blick in die Dunkelheit zu lässt. Sobald auch nur ein Lichtfunken erscheint, ist der Dämon gleich wieder zur Stelle, als ob er nur darauf gewartet hat, endlich in seiner vollen Größe, in seiner Pracht, in aller Herrlichkeit endlich die Hauptrolle übernehmen zu können. Wer möchte ihm das schon verübeln. Wenn ich eine derartige Macht ausstrahlen könnte, würde ich mich sicherlich auch nicht mit irgendetwas geringeren abgeben.

Ich stehe in unserem Wohnzimmer. Mein Atem geht flach und ich fühle mich, wie Rotkäppchen, die gerade eben vom bösen Wolf gefressen wurde und nun unerbitterlich um ihr Leben kämpft. Die darum kämpft, diese Schlacht nicht zu verlieren. Die darum kämpft, bei dem ihr Dargeboten nicht vollkommen den Verstand zu verlieren. Ich versuche den Dämon von mir abzuschütteln, doch es ist zu spät. Er hat sein Werk bereits vollbracht. Er hat meine Geschichte umgeschrieben. Er hat es in nur wenigen Stunden vollbracht, mich auf eine vollkommen neue Umlaufbahn zu befördern, die mich mit aller Wucht von meinem Kurs abgebracht hat und an der ich wohl kaum wieder Halt finden werde.

Ich mache einen weiteren zaghaften Schritt, der mich fast aus dem Gleichgewicht bringt und dazu führt, dass ich mich am Wohnzimmersessel festhalten muss. Ich spüre das kühle Leder des Sessels unter meinen Finger. Es mildert den Schmerz meiner pochenden Hand für einen Moment. Es kühlt mich für eine Sekunde lang ab und am liebsten würde ich nichts sehnlicheres tun, als mich zu einer Kugel darauf zusammenzurollen, doch im Moment kann diese Wunschvorstellung nicht in die Realität umgesetzt werden. Seit diesem Moment scheine ich überhaupt keine Wünsche mehr zu haben. Der Dämon scheint mich anzugrinsen. Er grinst mich aus seinem zahnlosen Mund an und gibt mir zu verstehen, dass er dieses Spiel gewonnen hat und ich wäre töricht zu behaupten, dass es nicht so ist. Man kann mir viel nehmen. Mit vielen Dingen kann man mir weh tun, mir einen Stich in mein Herz versetzen, doch mir meinen Gott zu nehmen, den Mann, den ich vergöttert habe und für den ich alles gegeben hätte, das ist ein Schmerz, der nicht mehr in Worte zu fassen ist und den ich nie gedacht habe erleben zu müssen. In diesen Minuten wäre ich lieber tot, als mich dieser unendlichen Qual hinzugeben, doch ich muss stark sein. Für den Augenblick muss ich die Stärke ausstrahlen, die mich an ihm immer so fasziniert hat.

Noch verdeckt die Couch das Ausmaß des Dramas, was sich in meinem Wohnzimmer, in unserem Wohnzimmer vor nicht allzu langer Zeit abgespielt hat und trotzdem kann man schon einen kleinen Ausblick darauf bekommen, was hinter ihr zu finden ist.

Der Wohnzimmertisch existiert in seiner eigentlichen Form nicht mehr. Er ist zerbrochen, in tausend Scherben, die überall verteilt sind. Eine größere Ansammlung von Scherben befindet sich dort, wo er tatsächlich einmal gestanden hat, doch selbst bis in den Hausflur wurden einige Splitter geschleudert. Die Stehlampe ist umgekippt und der Schirm hängt nur noch halb in der Verankerung. Die Schubladen einiger Schränke wurden herausgerissen und es sieht so aus, als ob sie jemand zur Verteidigung benutz hat. Stellenweise kann man an ihnen tiefe Kerben erkennen und blutverschmierte Fingerabdrücke. Unser Hochzeitsfoto, das sonst seinen Platz direkt über dem Kamin hatte und in seinem vollen Glanz dort erstrahlte, liegt nun zu dessen Fuße. Der Holzrahmen wurde fast akkurat in der Mitte gebrochen und das Glas ist ebenfalls beschädigt. Für diesen Moment scheint das Bild nicht mehr, die sonst so gewohnte Freude und Glückseligkeit dieses Tages auszustrahlen. Im Gegenteil. Meine Haut wirkt seltsam blass, das Kleid scheint unförmig an meinem Körper zu hängen und Jasons Blick ist starr und kalt. Der weiße Teppich aus Kaschmirwolle zu meinen Füßen ist blutgetränkt. Man kann Fußabdrücke darauf erkennen, und wenn mich nicht alles täuscht, auch einen herausgebrochenen Zahn. Die Wand gegenüber schimmert nicht mehr in einem Perlweiß, denn auch sie ist mit Blutspritzern bedeckt. Wenn ich es nicht besser wüsste, könnte man es durchaus für ein expressionistisches Kunstwerk halten, aber es strahlt nur Grausamkeit und Brutalität aus, denn auf diese Art und Weise sind diese Blutspritzer entstanden. Es war kein Akt aus Liebe zur Kunst, keine Inspiration, keine Erfüllung eines Lebenstraums. Es war die unverherrlichte und unverschönerte Wahrheit der Geschehnisse in diesem Haus.

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