Kapitel 2

9 0 0
                                    

„Haben Sie immer noch Albträume?“

Ich versuche stets auf den Kernpunkt des Problems meiner Patienten einzugehen. Es geht nicht darum sie schonend auf das Kommende vorzubereiten, denn das reale Leben ist schonungslos und voller Überraschungen. Während meiner Therapien sollen die Leute verstehen und begreifen, dass man auf gewisse Situationen nicht vorbereitet werden kann, sondern das man sich den Gedanken und Geschehnissen stellen muss, um eine Verbesserung der gegenwärtigen Lage zu erreichen. Viele Patienten verschließen sich. Sie versuchen den eigentlichen Kern des Problems zu umgehen, um somit eine emotionale Distanz aufzubauen, aber was sie begreifen müssen ist, dass ich für sie vielleicht der einzige Ausweg aus dieser Situation bin und wenn sie mir kein Vertrauen schenken, dann kann ich für eine Verbesserung ihrer Lage nicht garantieren. Sie schotten sich ab. Grübeln über die Dinge lieber selbst nach, als sie zu teilen.

Matthew Lewis war nie einer dieser Patienten. Matthew Lewis ist eigentlich in keine der typischen Kategorien einzuordnen. Er hat weder eine bipolare Störung, ist schizophren noch leidet er unter Depressionen. Nicht einmal sein Aussehen lässt irgendeine Spekulation zu.

Er ist ungefähr eins sechsundachtzig groß und damit ganze sechs Zentimeter größer als ich, was mich jedoch unter keinen Umständen einschüchtern kann. Er hat dunkles Haar, ein durchaus attraktives Gesicht, das durch seine perfekten Proportionen fast statisch wirkt, und einen Körper, um den ihn die meisten Männer wohl beneiden würden. Selbst jetzt unter seinem weißen Hemd und der Anzugsjacke spiegeln sich die Züge seines muskulösen Körpers wieder. Am beeindruckendsten scheinen jedoch seine Augen zu sein. Sie sind dunkel, unglaublich dunkel, sodass sie einem fast schwarz erscheinen. Man kann sich in ihnen verlieren und sie scheinen die dunkelsten Geheimnisse zu verbergen. Geheimnisse an die ich bis jetzt nicht herangekommen bin. Noch nicht.

Er ist durchaus attraktiv und ich bin mir sicher, dass ihm die Frauen zu Füßen liegen. Er kann einen durchaus faszinieren mit der Art und Weise, wie er sich bewegt, wie er redet und wie er sich gestikuliert, aber ich würde nie etwas zwischen uns stellen, außer unserem Therapeuten-Patienten-Verhältnis. Manchmal gibt er einem das Gefühl der vollkommenen Unsicherheit und sie können mir glauben, dass ich dieses Gefühl abgrundtief hasse. Vor allem in den ersten Wochen nach dem Tod meines Mannes brachte mich sein Verhalten fast um den Verstand, aber das ist nicht weiter verwunderlich schließlich waren es die schlimmsten Wochen meines Lebens. Alles kam mir verändert vor. Die Art und Weise, wie die Vögel sangen, wie die Winde wehten, wie die Menschen sprachen, wie ich mein Leben lebte.   

Ich habe eine kleine Praxis. Ich möchte den Menschen das Gefühl geben, dass sie das Einzige sind, was in dieser Praxis zählt. Sie sollen mir ihre volle Aufmerksamkeit schenken und sich wohlfühlen. Sie sollen ein Gefühl entwickeln, dass sie diesen Raum als ihr zweites zu Hause ansehen lässt. Als einen Ort, an dem sie keiner verurteilt und keines ihrer Geheimnisse nach außen dringt.

Ich blinzele und warte immer noch auf eine Antwort von ihm. Ich bin mir nicht sicher, ob sein Ausdruck Interesse ausstrahlt oder er einfach nur von Langerweile zeugt, die ihn während unserer wöchentlichen Therapiesitzungen übermannt. Früher war mein Urteilsvermögen deutlicher ausgeprägt und ich musste einen Menschen nur kurz betrachten, um herauszufinden, was ihn ausmachte. Doch die Gesellschaft hat sich verändert und die meisten Menschen bauen schon in den Kindheitstagen eine Fassade auf, die nur schwer zu durchdringen ist und die es fast unmöglich macht den wahren Kern eines Menschen auszumachen um ihn somit zu analysieren. Ich betrachte ihn erneut eindringlich.

PuppenspielerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt