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"Das Ziel ist gleich erreicht", sprach der Fahrer des schwarzen Wagens. Es war keine teure Limousine, wie man es von den Reichen kannte, es war nur ein normaler, schwarzer Kombi. Lediglich die Sitze waren aus sehr hochwertigem, braunen Leder.
"Wollen Sie vielleicht noch einen Zwischenstopp machen und einen Kaffee trinken?"
"Danke, abgelehnt", antwortete der Mann auf den hinteren Sitzen etwas zögerlich.
"Warum halten wir an?"
Der Fahrer ließ seinen mit schwarzem Leder bedeckten Finger auf das ebenso schwarze Lenkrad klopfen.
"Ähm", gab er beschämt von sich.
"Verzeihen Sie, Mr. Han, ich bin zu spät abgebogen und befinden uns nun in einem Stau."
Jumin seufzte auf.
"Wie lange werden wir voraussichtlich brauchen?", fragte er, tatsächlich klang er ein wenig erleichtert.
"Aufgrund eines Staus werden Sie 60 Minuten länger brauchen", antwortete stattdessen die elektronische Stimme des Navis. Der Fahrer schmunzelte.

Sirenen erklangen, ganze drei Krankenwagen, darunter ein Notarzt-Wagen, bahnten sich ihren Weg durch die stehenden Autos.
"Scheint wohl einen Unfall gegeben zu haben", bemerkte Jumin, er holte sein Handy hervor. Er müsste jetzt 'wohl oder übel' das Treffen mit seinem Vater und der neuen Freundin absagen.
Vielen Dank, lieber Unfallverursacher.
Jumin hielt es für keine schlechte Idee, kurz einen Abstecher in den RFA Messenger zu tätigen, wenn er denn schon einmal sein Handy in der Hand hatte.
Allerdings gab es nichts Neues zu lesen, lediglich Yoosung, der sich mit seiner Stelle als Assistent unzufrieden zeigte.
Vor allem aber schwärmte er von der anstehenden Party.
"Mr. Han, da drüben ist der Unfallort", bemerkte der Fahrer. Jumin sah von dem Display ab und warf einen Blick nach draußen.

Voller Entsetzen erkannte er das Gesicht seiner ehemaligen Assistentin. Ihre Augen waren vor Schock geweitet, sie war in einer Starre gefangen. Ein Sanitäter begab sich zu ihr, redete auf sie ein.
Jumin öffnete wieder den RFA Messenger, seine eigenen Hände zitterten ein wenig.
Bitte lass' es niemanden sein, den ich kenne.
Jedes einzelne Profil durchsuchte er. Zum Glück hatte Luciel durch Komplikationen mit V eine neue Funktion eingeführt, die anzeigte, wann man zuletzt online war.
Yoosung vor zwei Minuten, ZEN vor einer halben Stunde, 707 vor zwanzig Minuten, V vor drei Tagen, Jaehee Kang vor zwei Stunden, (Y/N) vor zwei Stunden.

Er musste seinen Kloß im Hals herunterschlucken. Wenn seine ehemalige Assistentin dort so traumatisiert auf den Unfall blickte, unfern ihres neuen Cafés, würde nur eine Person infrage kommen. Und er hoffte inständig, dass dem nicht so war.
"Halten Sie bitte an", verlangte Jumin vom Fahrer. Ohne zu zögern fuhr er an den Bürgersteig und ließ Jumin aussteigen.
Ein flüchtiger Blick nach links, und schon stürmte er über die Straße. Beinahe wäre er noch mit einen Krankenwagen zusammengestoßen.
Keuchend erreichte er die andere Straßenseite, hektisch suchte er alles nach Jaehee ab.
"Miss Kang?", rief er, bis er seine ehemalige Assistentin entdeckte. Sie hockte auf dem dreckigen Stein, umarmte zitternd ihre Knie und presste sie fest an ihren schlanken Körper. Die Spitzen ihrer langen, braunen Strähnen waren in Tränen getränkt, sie hob nicht einmal ihren Kopf, als Jumin sich ihr näherte.
"Jaehee!"
Die junge Frau bewegte sich nun endlich, sie hob ihren Kopf leicht an und blickte Jumin in sein schockiertes Gesicht.
Schallend fuhren weitere Einsatzwägen durch die Straße, der große Wagen der Notfallrettung jedoch schloss seine Türen und raste davon.

"Jaehee, was ist passiert?", fragte er und hockte sich ebenfalls auf den Boden.
"Ein Autounfall", flüsterte sie mit bebender Stimme. Sie zitterte wie Espenlaub am ganzen Körper, sogar ihre Atmung war unruhig.
"Wir wollten gerade auf die andere Seite, (Y/N) war schon auf der Straße und dann..."
Weiter konnte Jaehee nicht reden, die Tränen flossen wieder in Strömen über ihr Gesicht, lautes Schluchzen verstummte all ihre menschliche Sprache.
Ein Beamter trat zu ihr, gemeinsam mit verschiedenen Sanitätern aus den Wägen.
Sie sprachen auf sie ein, legten eine Decke über ihren ängstlichen Körper und führten die traumatisierte Cafeinhaberin davon.

Jumin war die Ruhe selbst. Natürlich hatte es ihm geschmerzt, seine ehemalige Assistentin so zu sehen und so über (Y/N) reden zu hören, doch er konnte es einfach nicht realisieren.

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Du öffnest blinzelnd deine Augen, ein kaltweißes Deckenlicht blendet dich. Stetiges Piepen dringt in dein rechtes Ohr, es stört dich, also drehst du müde deinen Kopf zur Seite. Ein Monitor steht dort, zeigt verschiedene Grafiken, die du nicht entziffern kannst.
Erst jetzt realisiert du allmählich, dass du nicht Zuhause in deinem gemütlichen Bett liegst, sondern in einem Krankenhaus. Zumindest ist das deine am nächsten liegende Vermutung.
Du schließt deine Augen wieder, durch das grelle Licht haben sie zu brennen begonnen. Du weißt nicht, was geschehen ist, wie du hierher gekommen bist.
Allerdings kommst du nicht weit, wenn du versuchst, nachzudenken. Da ist nichts als ein schwarzes, kaltes Loch, in dem all deine Erinnerungen verschwunden sind.

Die Tür geht auf, neben einem im weißen Kittel gekleideten Mann siehst fünf weitere Personen in den Raum schreiten. Sie alle stellen sich um dein Bett herum auf, du spürst die freundliche Wärme, die sie ausstrahlen.
Eines stört dich jedoch:
Du scheinst die Leute zu kennen, sie scheinen dich zu kennen, doch du erkennst sie nicht wieder. Es ist, als hätte keiner dieser Personen ein Gesicht. Keine Augen, keinen Mund, keine Nase. Du kannst ihre Emotionen spüren, aber nicht sehen.
"(Y/N), endlich bist du wach", spricht ein Mann, der einen ordentlichen, schwarzen Anzug trägt.
Du starrst ihn nur an, versuchst ihn zu erkennen, doch es gelingt dir nicht.
Ist das mein Name? (Y/N)?, denkst du dir, akzeptierst diesen Fakt einfach.
"Wie lang hab' ich denn geschlafen?", fragst du, deine Stimme fühlt sich rau in deinem Hals an. Eigentlich willst du viel lauter klingen, doch deine Stimme versagt. Für die Gesichtslosen ist es nur ein leises Hauchen, kaum zu verstehen.
"Du warst im Koma, (Y/N)", sagt die Frau sanft. Du kannst ihr erleichtertes Lächeln spüren, es erfüllt dich mit einer beruhigen Wärme, wie bei einer Wärmflasche.
"Drei Monate lang."

Dich trifft es wie ein Schlag in die Magengrube. Du kannst dich noch immer nicht erinnern, weder wer die Gesichtslosen sind, noch was vor drei Monaten passiert ist.
Eine leise Träne schleicht sich über deine Wange, während du die Gesichtslosen ansiehst.

Not Today | Mystic Messenger xReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt