Kapitel 1 /1- Der Aufstand

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Mit etwas Druck durchbrach die dünne Nadel die helle Haut. Auf der anderen Seite des Schnittes kam sie wieder heraus, einen hellblauen Faden nach sich ziehend. Konzentriert knüpfte Elisa einen Knoten und setzte dann erneut an, um einen weiteren Stich zu machen.
„Das tut gar nicht so weh."
Elisa blickte kurz von ihrer Arbeit hoch und lächelte den Mann vor sich an.
„Sie halten aber auch wunderbar still. Lange wird es nicht mehr dauern. Zwei Stiche noch, dann ist es vorbei."
„Ich bin wirklich zu tollpatschig", entschuldigte sich der Mann. „Ein Messerschleifer, der sich so schlimm schneidet. Fast etwas peinlich."
„Aber nicht doch", entgegnete Elisa. „Glauben Sie mir, ich habe schon viel peinlicheres gesehen." Sie zwinkerte ihm zu und blickte dann wieder auf den Arm mit der Schnittwunde hinunter.
„Ach ja? Was denn?" Elisa schmunzelte. Sie hat in ihrer Zeit im Krankenhaus schon viele Verletzungen gesehen. Eine kurioser als die andere. „Nun ja." Sie überlegte kurz welche Geschichte sie zum Besten geben sollte. „Einmal", sie setzte einen weiteren Stich, „da kam ein Fischer, der sich versehentlich selbst mit dem Angelhaken gefangen hatte, anstatt eines Fisches." Der Mann lachte brummend. „Da ist mir meine Verletzung schon gar nicht mehr so peinlich."

„So, fertig." Elisa schnitt den Faden ab. „Das hier sollten Sie einmal täglich auftragen und auch bitte immer den Verband wechseln. Sonst entzündet der Schnitt sich." Sie griff nach einem Tiegel, der neben ihr stand und schmierte etwas von der grünen Paste auf die Wunde. Dann griff sie nach ein paar Stoffleinen und wickelte sie vorsichtig darum. „Bitte." Sie reichte dem Mann den Tiegel mit der Salbe und ein paar weitere Stoffleinen. „Sollte etwas ausgehen, einfach vorbeikommen, dann geben wir Ihnen ein paar Neue. Auf keinen Fall die Alten wiederverwenden. Sollte es sich entzünden, dann zögern Sie nicht herzukommen." Elisa tauchte ihre Hände in die Wasserschüssel neben sich und trocknete sie ab. „Ich wünsche Ihnen eine gute Besserung!" Sie lächelte und blickte in die braunen Augen ihres Patienten. „Vielen Dank!"

Der Mann blickte auf den verbundenen Arm. „Wirklich! Ich bin ja so froh, dass wir euch hier haben. Ich habe schon gehört", der Mann lehnte sich etwas vor und flüsterte verschwörerisch: „die Behandlung bei den Dracea drüben soll ja nicht so gut sein." Elisa hob zweifelnd eine Augenbraue. Die Heiler der Dracea waren genauso gut ausgebildet wie die der Magare. „Aber die da drüben sollen ohnehin ein wenig anders ticken. Haben sie so einen schon mal behandelt?", fragte er neugierig. „Einen Dracea? Natürlich nicht. Das ist uns verboten. Auch wir dürfen nicht auf die andere Seite der Mauer." Sie sah den Mann scharf an. Die Diskussion ging ihr eindeutig zu weit. Man wusste nie wessen Ohren zuhörten. Sie stand auf und packte die gebrauchte Nadel und die blutigen Stoffleinen weg. „Wie gesagt, kommen Sie wieder, falls es Probleme mit der Wunde geben sollte." Sie lächelte höflich und ging dann weg.

„Was war das denn?" Mira sah sie erstaunt von der Seite an. „Sonst bist du doch nicht so unwirsch zu den Patienten." Elisa zuckte mit den Schultern und sah die Krankenschwester an. „Er hat total die komischen Fragen gestellt. Ob ich schon einmal einen Dracea behandelt hätte und so." Erschrocken sah Mira sie an. „Meinst du, er ist ein Lauscher?" „Ich weiß nicht." Elisa lehnte sich gegen den Türrahmen und beobachtete das Treiben in der Station. Es war nicht viel los heute. Sie wehrte sich dagegen in jedem Patienten einen Lauscher zu sehen, aber die Wahrheit war, dass man nie wusste wer die Ohren für den König aufsperrte. „Ich meine, warum sollte er einer sein? Es gibt keinen Grund, warum sie uns verdächtigen sollten gegen die Gesetze zu verstoßen. Solange wir uns nichts zu Schulden kommen lassen, brauchen wir uns auch keine Sorgen zu machen." Mira nickte beruhigt und ihre blonde Wuschelmäne wippte dabei auf und ab. „Da hast du recht. Ich sollte aufhören mir ständig Sorgen zu machen." Sie seufzte tief. „Es ist gerade kaum etwas los. Wenn du willst, kannst du in der Zwischenzeit etwas zu Mittag essen." „Danke, mir knurrt schon der Magen." Elisa zog sich ihre Schürze über den Kopf und ging durch die Tür, an der sie soeben noch gelehnt hatte, in die Privatbereiche der Ärzte. Wie immer hatte sie in der Früh vergessen etwas zu essen und es war schon früher Nachmittag. Elisa blickte in die Schränke der Gemeinschaftsküche, aber die waren allesamt leer. „Mira? Ich gehe nach Hause und hole mir dort etwas zu essen, hier ist nichts.", rief sie in den angrenzenden Raum. „In Ordnung."

Elisa ging durch die Hintertür in die ruhige Gasse hinaus. Es waren nur ein paar Schritte auf dem steinernen Pflaster, bis sie bei ihrer Haustür angelangt war. Es hatte so seine Vorteile die Tochter der Chefärztin zu sein, sie hatte nie weit zur Arbeit. Elisa trat ein und schloss die Tür hinter sich. „Vater?" Keine Antwort. Vermutlich schlief er noch den Rausch von gestern Nacht aus. Zielstrebig ging Elisa durch den dunklen Gang in die Küche. Was sollte sie sich zu essen machen? Sie öffnete die Tür zur Vorratskammer und entschied sich für ein Stück Brot, etwas Käse und eine Paprika. Sie packte auch noch eine zweite Portion für ihre Mutter ein. Sie würde sie ihr in die Gemeinschaftsküche legen. Vielleicht hatte sie zwischen den Operationen ja mal Zeit etwas zu essen. Sie setzte sich an den Esstisch in der Mitte der Küche und riss sich einen Bissen vom Brot ob. Es war noch ganz frisch und duftete herrlich. Dazu ein Stück Käse. Es war ihr Lieblingskäse. Hungrig schob sich Elisa etwas vom Paprika in den Mund, da klopfte es an der Tür. Elisa verdrehte die Augen und ignorierte es. Es war bestimmt einer der Zechkumpanen ihres Vaters. Aber das Klopfen hörte nicht auf und schließlich stand Elisa doch auf, um nachzusehen, wer da vor der Tür stand.
„Mira?" Die junge Krankenschwester stand vor der Tür mit einem Gesicht so weiß wie ein Laken. „Schnell, Elisa. Du musst sofort ins Krankenhaus kommen."

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