Kapitel 8 ~ Blumensträuße

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PoV Leon

Ich beobachtete Leander aufmerksam, als er mit einem sanften Lächeln im Gesicht an seinem Tee trank und aus dem Fenster nach draußen sah. Es hatte begonnen zu regnen und er schien den Anblick zu genießen.
"Ich hab schon von Wahrsagern gehört, die eine besondere Fähigkeit für Todesvisionen haben, aber dass du es so intensiv wahrnimmst, ist wirklich außergewöhnlich. Spürst du, was die Personen in deinen Visionen fühlen?" Ich wollte Leander nicht zu viel über mich selber erzählen, dafür vertraute ich ihm nicht genug, aber er schien einfach nur interessiert und neugierig. Er sah mich mit großen Augen an und hatte sein Kinn auf den Händen abgestützt.
"Manchmal. Aber vielmehr ist es ein starker Druck. Kopfschmerzen. Und das Wissen, dass ich unfähig bin, etwas dagegen zu tun. Seit ich ein Dämon bin hatte ich nur noch selten Visionen, aber im Moment wird es wieder schlimmer." Leander nickte, als würde er es verstehen.
"Ich ziehe meine Kraft aus Lust und Schmerz. Deswegen nehme ich die Schmerzen von anderen intensiver war als andere. Ich denke, ich verstehe, was du meinst." Obwohl das Thema ein ernstes war, lächelte Leander warm und es war, als würde die Sonnen wieder scheinen.
Es fiel mir schwer zu glauben, dass jemand, der so lange gefangen gehalten wurde, so fröhlich sein konnte. War das nur eine Fassade? Oder versuchte er, mich weich zu bekommen, mein Vertrauen zu erschleichen?
"Was ist den mit Ronalds Kette? Hilft sie nicht?" Überrascht sah ich Leander an. Mir wurde erst jetzt wieder bewusst, wie gut er Ronald kannte. Vielleicht sogar besser als ich.
Ronald versuchte schon seit gestern mich anzurufen, aber bisher hatte ich ihn ignoriert. Langsam bekam ich allerdings ein schlechtes Gewissen. Ich würde gleich zu ihm zurückgehen und mich entschuldigen. Möglicherweise hatte ich überreagiert.
"Als Mensch hat sie geholfen." Leander nickte und nahm noch einen Schluck.
"Das dachte ich mir. Die hatte ich ihm mal geschenkt, aber das ist schon ewig her. Ich hatte angst, er hätte sie nach unserem Streit weggeworfen." Ich spannte mich leicht an. Leander hatte ihm die Kette geschenkt? Und er hatte sie einfach mir gegeben? Wieso hatte Ronald sie nicht weggeschmissen?
Bevor ich wieder eifersüchtig wurde, versuchte ich die Gedanken zu unterdrücken. Ich musste akzeptieren, dass Leander und Ronald eine Vergangenheit hatten. Eine lange und intime Vergangenheit. Aber jetzt gehörte er zu mir und Leander wusste das.
Als mein Handy erneut klingelte, ging ich im Gedanken dran.
"Na endlich! Wo bist du? Und wo ist Leander?" brüllte Ronald ins Telefon und ich hielt es ein Stück von meinem Ohr weg.
"Ich sagte doch, ich gehe zu meinem Bruder. Und jetzt trinken und ich dein Abkömmling einen Tee und freunden uns an." Meine Stimme klang bitterer als beabsichtigt und Ronald knurrte leise am anderen Ende.
"Ich weiß nicht, ob du das ernst meinst oder ihr euch gegenseitig auf die Intensivstation geprügelt habt." Leander lachte leise als er das hörte.
"Niemand prügelt sich hier. Dein Gefährte ist absolut liebreizend." sagte Leander grinsend, während er mich neckend ansah. Ich verdrehte die Augen. Wieso grinste er die ganze Zeit, es war fast schon anstrengend.
"Ihr macht irgendeinen Scheiß, oder?" Natürlich fiel es Ronald schwer zu glauben, aber ich würde sowieso gleich nach Hause gehen und wollte deswegen jetzt nicht am Handy reden.
"Nein. Wir sehen uns gleich." Dann legte ich auf. Leander bekam große Augen.
"Jetzt prügelt er dich wahrscheinlich gleich auf die Intensivstation." Widerwillig musste ich lachen. Glücklicherweise konnte Ronald mir nicht schaden ohne sich selbst zu verletzen. Ansonsten hätte er es vielleicht sogar in betracht gezogen.
"Ich komme mit zurück. Ich wollte sowieso nur etwas Luft schnappen, als ich abgehauen bin. Und ich habe seit zweihundert Jahren keinen Bogen mehr in der Hand gehabt! Ich will Bogenschießen! Und Blumen kaufen. Ich habe was von Ronalds Geld aus der Kasse genommen. Dann stell ich mir einen schönen Blumenstrauß auf den Nachttisch. Am liebsten einen pinken. Und Lilien. Ich liebe Lilien." redete Leander ohne Punkt und Komma, als wir beide zusammen den Laden verließen. Aufgeregt sprang er ein bisschen beim gehen und steuerte den erstbesten Blumenladen an, den er sah. Mit Ronalds Geld kaufte er einen riesigen Strauß, über den er kaum hinwegsehen konnte.
Jetzt musste ich lächeln. Vielleicht war Leander nicht ganz so schlimm wie befürchtet.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 21, 2021 ⏰

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