forever | venti und zhongli

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Ein menschliches Leben, war wie ein Wimpernschlag: erschreckend kurz.
Dieser Tatsache war sich Venti durchaus bewusst. Es war nicht das erste Mal, dass er die Geburt eines Menschen mitbekam, ihn über die Jahre beobachten konnte, bis er schlussendlich zu Grabe getragen wurde.
Nach all der Zeit hatte Venti angenommen, sich jedenfalls irgendwann daran gewöhnt zu haben. Wahrscheinlich hätte er dies auch, wenn er sein unsterbliches Leben nicht zwischen den stetig tickenden Uhren der Menschheit verbringen würde.
Doch Einsamkeit fühlt sich manchmal schlimmer an, wie der Tod liebgewonnener Freunde.

***

Schwarz symbolisiert Trauer. Man musste dafür nicht bereits über 2000 Jahre gezählt haben, um diesen Brauch der Menschen aus Mondstadt zu begreifen.
Dass Venti auf Dilucs Beerdigung, bis auf eine einzelne schwarze Rose an seinem Barrett, nichts dergleichen an sich trug, war in Jeans Augen kein allzu großes Ärgernis.
Sie konnte sich sogar gut vorstellen, dass ihr alter Freund getrost auf diese Tradition hätte verzichten können.
Das eigentliche Problem war der Zustand des ewig jungen Barden. Venti, auch bekannt als Barbatos, der Anemo-Archon, war komplett zugedröhnt erschienen und hatte in dieser nicht sonderlich nüchternen Kondition seine Grabrede gehalten. Bis auf Kaeya fand das niemand so ganz amüsant.
Dennoch hielt sich Jeans Ärger in Grenzen. Venti war ein Gott, unsterblich und bis auf weiteres schien diese Regel weiterhin zu bestehen. Der kleine Barde hatte in seinem bisherigen Leben mehr Todesfälle erlebt, als Jean jemals hätte zählen können. So konnte sie nicht anders, als Mitleid für den Gott des Windes zu empfinden.

Die Nacht war bereits eingebrochen, als Venti das Weingut Morgenröte verließ und nur eine zarte Brise Zeugnis seines Verschwindens war.
Viele Kilometer weiter, in der Stadt Liyue, zog ein schwacher Windzug durch die Straßen, bis dieser sich vor dem Bestattungsinstitut Wangsheng erneut manifestierte.
Venti war nervöser als gedacht, wie er die Türglocke des Unternehmens läutete und darauf wartete, dass ihm jemand Einlass gewährte.
Eine ganze Weile passierte nichts und der Archon war schon dabei wieder kehrt zu machen, als durch die mattierten Scheiben, Licht schimmerte.
Ventis Herzschlag wurde augenblicklich schneller. War es die richtige Entscheidung herzukommen? Das letzte Mal war schon länger, als eine Ewigkeit her.

Seine Gedanken wurden durch das jähe Erscheinen Zhonglis unterbrochen.
Für einen Augenblick konnte Venti nichts anderes, als den ehemaligen Geo-Archon anzustarren. Rex Lapis war alt geworden.
Das einst kastanienbraune Haar war nun grau, während sich feine Falten auf Gesicht und Händen abzeichneten und die sonst große, kräftige Statur des Mannes in einem gekrümmten Rücken mündete.
Venti nestelte verunsichert am Saum seiner Hose und versuchte überall, bis auf in Zhonglis bernsteinfarbene Orben zu blicken, die noch immer durchdringend wirkten, wie eh und je.
Der Mann räusperte sich, bevor er sich in eine professionelle Haltung brachte. „Was kann ich für Sie tun, werter Herr?"
Venti war Zhonglis abschätziger Blick nicht entgangen. Der Barde verschränkte die Arme vor der Brust und ließ zugleich eine Flasche Löwenzahnschnaps in einer seiner Hände erscheinen. „Ein persönliches Anliegen..."
Zhongli runzelte die Stirn, ließ jedoch seinen alten Freund über die Schwelle treten. „Hier entlang", sagte er.

Das Zimmer, in welches Zhongli ihn führte, war groß und geräumig.
Weitläufige Fenster säumten die Wand und zeigten die beleuchteten Straßen Liyues. Die Aussicht war schlicht, dennoch schön und Venti genehmigte sich einen Blick in die nächtliche Hafenstadt.
Wenige Passanten kreuzten die Straßen und Venti konnte nicht anders, als erneut an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens denken.
Er dachte an Dilucs feuerrotes Haar, an sein jugendliches Gesicht, wenn er lachte und wie schlussendlich die Zeit Oberhand über all dies gewann. Venti fragte sich, wie lange es bei Jean noch dauern würde, bis auch sie in die Ewigkeit aufsteigen würde.

Zhongli betrachtete seinen Freund, während er zwei Gläser auf den Tisch stellte. Ihm war bereits zur Ankunft des Kleineren aufgefallen, wie ungewohnt schweigsam der Barde wirkte, im Gegensatz zu seinem sonst kessen Selbst.
„Was betrübt dich, alter Freund?", hob Zhongli seine Stimme und riss somit den Lyraspieler aus seinen Gedanken.
Venti wandte sich um, das altbekannte schelmische Lächeln auf den Lippen. „Hm? Was meinst du?"

Der Geo-Nutzer ließ sich auf einen der Stühle nieder und schenkte in jedem der zwei Gläser Wein ein.
„Aus Erfahrung weiß ich, dass du nur zu Besuch kommst, wenn du etwas ausheckst", sagte der Ältere und stellte die Flasche Löwenzahnwein lautlos zurück.
Venti plusterte gespielt beleidigt seine Wangen auf. „Wie gemein... Dabei wollte ich nur mal nach dir schauen!"
Auf Zhonglis Lippen bildete sich ein schwaches Lächeln. „Dein sogenanntes persönliches Anliegen ist also nach mir zu sehen?"
Der Blick des Anemo-Archon hing für einige Sekunden ziellos im Raum, bevor er sich auf sein Gegenüber fokussierte.
„Ja", hauchte Venti, „dafür bin ich gekommen."

Ohne ein weiteres Wort schob Zhongli eines der gefüllten Gläser über den Tisch zu Venti hinüber. Dieser sah es eine Zeit lang stumm an, bevor er sich zu dem Geo-Nutzer an den Tisch setzte und das kunstvoll verzierte Weinglas zwischen seine zarten Finger nahm.
„Zum Wohl...", murmelte der Kleinere und kaum hatten die ersten, herben Tropfen seine Lippen benetzt, rollten dicke Tränen seine porzellan-hellen Wangen hinunter.

Ein verstehendes Lächeln huschten über Zhonglis faltige Züge und er nahm dem Barden das Glas aus den Fingern, nur um anschließend seine eigene Hand auf Ventis zu legen.
Dieser hob seinen verquollenen Blick und sah, wie sich die runzlige Haut seines Freundes langsam straffte, bis er erneut das Antlitz eines hübschen, jungen Mannes hatte.
Venti schniefte und konnte nicht anders, als sein Gegenüber anzustarren, das Gesicht von Verwirrung gezeichnet.
Zhongli wischte mit dem Daumen eine fallende Träne von Ventis Wange, ehe er seine Stirn an die des Barden lehnte.

"Wen du über die Zeit verlieren wirst, was auch immer dich traurig stimmen vermag; denke immer daran, ich werde da sein."

Neue Tränen füllten Ventis türkisgrünen Augen. "Nach all der Zeit?", schniefte er, an Rex Lapis dunklen Anzug festgeklammert.

"Für immer."

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