teardrop | venti

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Es fühlte sich an, wie ein schlechter Scherz. Als würde das Schicksal mit ausgestreckten Finger auf ihn zeigen und ihn im schallenden Gelächter auslachen.

Venti spürte, wie jegliche Kraft aus seinen Beinen verschwand und er halb stolpernd auf den schlaffen Körper zu torkelte.
Sein Haarband, die zwei Federn - oder waren es doch eher spitze Blüten? - hatten sich gelöst und die blonden Strähnen ergossen sich über den staubigen, Blut durchtränkten Boden.
Venti konnte nicht anders, als ungläubig auf den vor ihm liegenden Jungen zu starren, an dessen Seite Barbara kniete und versuchte zu retten, was längst nicht mehr zu retten war.
Paimon schwebte wenige Zentimeter über dem reglosen Gesicht und hielt es mit ihren kleinen Händen, während stumme Tränen über die rosige Haut strömten und sie immer wieder den Namen ihres
Retters, Reisebegleiters und engsten Freundes wiederholte.

Eine halbe Stunde später tauchten die Ritter des Ordo Favonius auf.
Sie luden den leblosen Körper auf einer Trage und verdeckten ihn mit einem weißen Tuch, welches sogleich das letzte feuchte Blut der klaffenden Wunde aufsog. Ein bisschen sah es so aus, als würden kleine Rosen erblühen, die in Sekundenschnelle wuchsen und sich zu einem hässlichen, roten Fleck formatierten.

Venti nahm all dies gar nicht mehr war. Er hockte weiter im Staub, mitten in all dem Blut, welches schon längst eins mit der Erde wurde und mehr bräunlich wirkte, als alles andere. Dennoch färbten sich seine weißen Strümpfe in einem satten Rot, welches ihn an die Blüten der Windmühlenaster erinnerte.

Der Schmerz in seiner Brust kam erst schleichend, in Form von einem Drücken, dass ihm drohte die Luft zu abzuschneiden, bevor sein Herz in tausend Teile barste.
Ein erstickter Klagelaut entrann seiner Kehle. Venti beugte sich vornüber, die Hände gegen seine Brust gepresst, während Fluten von Tränen über seine Wangen strömten und den durchtränkten Boden benetzten. Es war, als würde abermals seine Welt zerbrechen, wie damals vor 2600 Jahren.

Der kleine Elementargeist hatte sich die schönste Feder ausgesucht, die der Adler hatte fallen lassen. Die Brust vor Stolz geschwellt und bereits in Gedanken dabei, wie er seinem Freund das kostbare Findel überreichte. Er malte sich aus, wie der Junge die Feder bewundern und sie wie einen Schatz stets bei sich tragen würde. Doch dazu...

... sollte es nie kommen.

Als Venti das damalige Mondstadt erreichte, war die Sturmbarriere bereits durchbrochen und eins mit dem Wind geworden.
Zu Beginn durchfuhr ihn eine undefinierbare Freunde. Sein Freund wäre nun frei und könnte all die Abenteuer erleben, von denen er Venti immer und immer wieder erzählt hatte. Der Archon würde nie das Leuchten dieser blaugrünen Orben vergessen, wenn sie von der noch ungesehenen Welt berichteten, von all den Träumen und Wünschen.

Venti schniefte. Warum nur... verließen ihn alle?

Warum? Warum? Warum? Warum? Warum?

Ventis Trauer verwandelte sich in Zorn, und so schlug auch der Wind um.
Die Winde wirbelten heftiger, chaotischer und der Himmel verdunkelte sich.

Barbatos erhob sich. Auf seinen Wangen zeichneten sich die Spuren zuvor vergossener Tränen.
Sein Schritt war langsam, als der Gott der Freiheit sich zu Dvalins Ruinen aufmachte. Der Wind folgte ihm, aufgebracht und zornig, eine Spur der Verwüstung hinter sich lassend.

Barbatos verbrachte vierzehn Tage und Nächte in den Schatten der Ruine. Eine neue Sturmbarriere hatte sich um das alte Mondstadt gebildet, die selbst nicht der Drache zu passieren wagte. Nicht, weil er es nicht konnte. Er wollte seinem Freund Raum geben, Zeit für sich, das Geschehene zu verarbeiten. Doch mit jedem weiter vorbeiziehenden Tag stieg die Sorge in Dvalins Herzen.

Doch nicht nur der gigantische Drache sorgte sich. Diluc Ragnvindr war der kesse Barde, für seinen eigenen Geschmack, etwas zu sehr ans Herz gewachsen. Nichtsdestotrotz entschied sich der junge Mann kurzerhand seine Aufgaben in Elzers vertrauenswürdigen Händen zu legen, um sich selbst über das Wohlergehen des Anemo-Archons zu versichern.

Diluc kannte den Schmerz, einen wichtigen Menschen zu verlieren und auch, wenn er sich damals von allen abgeschottet hatte, waren Elzer und Adelaide stets an seiner Seite geblieben. Schlussendlich hatte es sogar gut getan, seinen Schmerz teilen zu können, wissentlich, dass man nicht allein war.

Der Pyro-Nutzer nickte dem großen Drachen zu, der vor den Steintoren der Ruine lungerte. Dvalin entgegnete ein Knurren und die beiden standen wortlos vor der tosenden Sturmbarriere.

„Wie geht es ihm?", durchbrach Diluc die sich aufbauende Stille.

„Die Trauer... scheint ihn aufzufressen." Dvalin schlug seinen Blick nieder, bevor er sein Haupt zu dem jungen Mann wandte.

„Möchtest du zu ihm?"

„Ich bitte darum, Dvalin."

Mit kräftigen Flügelschlägen transportierte der einstige Beschützer Mondstadts den Pyro-Nutzer über die Barriere hinweg, zu dem großen Loch im Dach. Diluc sprang behände von Dvalins Rücken und landete leichtfüßig und sicher auf den Steinen der Ruine. „Ich danke dir", sprach Diluc, ehe er sich auf die Suche nach seinem kleinen Freund machte.

Venti zu finden, war keine Herausforderung. Der Barde hatte sich eine Etage niedriger, unter einer herabgestürzten Steinplatte, niedergelassen. Dem Archon fiel das feurig rote Haar ins Auge und er wusste augenblicklich, um wen es sich bei seinem Besucher handelte. Dennoch schaffte er es nicht, die Energie aufzubringen, seinen Kopf in die Richtung des Mannes zu drehen.
Die Wut, die ihn vierzehn Tage zuvor benebelt hatte, war wie eine Seifenblase zerplatzt und nichts als Erschöpfung und ein undefinierbares Ziehen in seiner Brust blieben zurück.

Diluc kniete sich zu seinem leblos wirkenden Freund. „Venti."
Einzig die türkisfarbenen Orben zeigten den rothaarigen Großschwermeister, dass der Barde ihn verstanden sowie wahrgenommen hatte. Ein - seltenes - trauriges Lächeln erschien auf Dilucs Lippen, als er sich neben dem Archon auf den Boden sinken ließ.

Stille lag zwischen den beiden und meistens hätte Diluc diese Ruhe nicht als störend empfunden. Dieses Mal jedoch, war es anders. Irgendetwas drängte den jungen Mann, dass er etwas sagen müsste. Etwas, um Venti Trost zu spenden, zu zeigen, dass...

„Du bist nicht allein, ist dir das klar?"

„...Ja."

Das nächste, was an Dilucs Ohren drang, waren leise Schluchzer. Langsam wandte er seinen Kopf. Dicke Tränen flossen dem sonst so lustigen - meist auch sehr betrunkenen - Barden über die porzellanhelle Haut.

„Venti..."

Ein unangenehmes Drücken breitete sich in Dilucs Hals und Brust aus. Er wusste nicht, wie er handeln sollte. Was er sagen könnte. Was sagte man überhaupt in solchen Situationen? Kaeya wüsste es. Doch Diluc war weder redegewandt, noch ein großer Menschenfreund, wie sein Bruder es war.

„Ich weiß, dass ich nicht allein bin, Meister Diluc", schluchzte Venti, sich die Tränen wegwischend. „D- Doch alles, was ich in den Händen halte, scheint mir immer wieder zu entgleiten, einfach... zwischen den Fingerspitzen hindurch zufallen..."

Venti schlang seine Arme um seinen schmalen Oberkörper. Neue Tränen sammelten sich in seinen türkisen Seelenspiegel und der Schmerz, der sich in diesen großen, traurigen Orben zeigte, tat Diluc tief in seinem Herzen unbeschreiblich weh.

So saßen sie beieinander, die Stille wurde nur durch Ventis schniefen und schluchzen durchbrochen.
Auch wenn Diluc dachte, dass seine Anwesenheit keinen großen Unterschied machte, da Venti noch immer ein Schatten seiner selbst war und die Tränen schier nicht zu stoppen schienen. Doch wie sollte der Rothaarige wissen, dass der Archon vor seiner Ankunft wie vor Schmerz gelähmt war und nun endlich friedvoll um den Tod seines Freundes trauern konnte.

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