Kapitel 4

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"Wie lange brauchen deine Brüder noch?"

Seit er wieder bei Sinnen war, hatten Nele und er die Rollen vertauscht. Sie arbeitete unermüdlich daran die Mauer aus Felsgestein zwischen ihnen einzureißen, während er hilflos gegen die Wand lehnte und spürte, wie seine Kräfte immer weiter schwanden. In seinem Kopf herrschte ein gewaltiges Durcheinander und er konnte die Realität nicht mehr von der Fiktion unterscheiden, die ihm das Fieber vorgaukelte, dass ihn seit einiger Zeit beherrschte.

"Kanoran! Wie lange?"

Neles sonst so sanfte Stimme drang nun energisch an sein Ohr und einen Augenblick hatte er das dringende Bedürfnis wieder in Ohnmacht zu fallen, nur um seine Ruhe zu haben.

Doch das Scharren, dass sie verursachte, ließ es einfach nicht zu.

"Weiß nicht.", murmelte er leise.

"Dann nimm Kontakt zu ihnen auf. Ich kann es nicht, nur zu dir kann ich diese Verbindung aufbauen."

Einen Moment runzelte er die Stirn. Zu wem sollte er Kontakt aufnehmen? Er verstand diesen Befehl nicht ganz. Er hörte Stimmen in seinem Kopf, die ihn riefen, aber das bildete er sich bestimmt ein.

"Kanoran!"

Nun, diese Stimme war real und sie wurde immer ungeduldiger.

Er überlegte, woher er die Stimme kannte.

Nele!

Seine Nele. Seine Braut und seine Liebe.

"Ich glaube, ich bin krank, Nele. Mein Kopf funktioniert nicht mehr. Einen Moment habe ich vergessen, wer ich bin und wer du bist."

Er hörte einige Steine, die lautstark nach unten kullerten.

"Ich weiß, mein Liebster. Du hast mir gesagt, dass du verletzt bist."

Hatter er das? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Nur die Schmerzen beherrscht3en seine Gedanken.

"Dein Arm ist zertrümmert, hast du gesagt. Ich denke, dir macht das Fieber zu schaffen. Keine Sorge, Liebster. Ich habe es beinahe geschafft, dann kann ich zu dir. Ich werde dir helfen."

Verwirrt schaute er um sich, aber es verschwamm alles und durch seinen Arm fuhr wieder ein stechender Schmerz, der ihn aufstöhnen ließ.

"Was ist geschehen?"

Nele klang nun beinahe panisch.

"Nichts. Ich habe mich wohl falsch bewegt.", versuchte er sie zu beruhigen.

Wieder hörte er dieses unermüdliche Scharren und diese Stimmen, die ihn immer wieder riefen.

"Ich höre Stimmen, Nele.", begann er vorsichtig.

Sie lachte leise.

"Das sind deine Brüder. Sie wollen mit dir reden."

Er schnaubte unwirsch.

"Blödsinn. Wie soll ich sie hören, wenn ich nicht bei ihnen bin?"

Das Scharren hörte auf.

"Weißt du das nicht, Kanoran?"

Er runzelte die Stirn, dann fiel es ihm wieder ein.

"Ich bin ein Drachenwandler.", stellte er fest.

Wie hatte ihm das entfallen können?

Wieder begann das Scharren und nach geraumer Zeit hörte er, wie ein Stein knirschend nachgab und entfernt wurde.

"Ich bin gleich da, Liebster. Kannst du mit mir sprechen, damit ich weiß, dass du noch lebst?"

Er lachte leise.

Die Drachen von Wikuna - Kanoran (Band 7)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt