Kapitel 17

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Kanoran starrte in die Nacht hinaus. Seine Hände hatte er hinter seinen Rücken verschränkt, wie er es immer zu tun pflegte, wenn er in Gedanken war. Eigentlich beruhigte ihn die Stille und Dunkelheit immer, aber im Moment war er rastlos und vor allem ratlos.

Nele schlief hinter ihm im Bett und einen Moment musste er lächeln, wenn er daran dachte, dass sie beide heute nicht die Nacht in der Bibliothek verbrachten. Wenn er so darüber nachdachte, wurde das weniger, seit sie verheiratet waren und Nele bei ihm lebte. Einen Moment erlaubte er es sich, sie zu betrachten und sich von seinen eigentlichen Problem ablenken zu lassen.

Doch dann wandte er wieder seinen Kopf und sah in die Dunkelheit.

Racola!

Kanoran konnte den Gedanken daran kaum ertragen, dass sein Vetter nun in der Kälte vor dem Pranger lag, nur durch eine spärliche Decke geschützt. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Wache wieder zu ihm kam und ihn wieder zwischen das Holz spannte, damit die Menschen ihn wieder beschimpfen und mit Sachen bewerfen konnten. Und er stand hier, hatte das Glück, die Nacht mit seiner Frau verbracht zu haben. Racola gab seine Angebetete sogar auf, um den Frieden zu wahren.

Sein Vetter war der eigentliche Held, doch die Menschen kannten ihn zu wenig, um das zu erkennen.

Leise seufzte er und schloss die Augen.

Wieder stand er vor der Frage, wie er seinen Vetter helfen konnte und ihm fiel keine befriedigende Lösung ein.

Er war doch angeblich der klügste Drache, warum tat er sich so schwer damit? Gerade bei solchen Dingen, welche die Familie betrafen, stellte er sich an wie der dümmste Kerl.

Zwei Arme schlangen sich um seine Taille.

"Was ist mit dir, Liebster? Machst du dir wieder Gedanken um Racola?"

Kanoran legte eine Hand auf die von Nele und schloss einen Moment die Augen, nur um ihren warmen Körper intensiver spüren zu können. Sie schien seine Gedanken lesen zu können, aber er wusste, dass sie ihn einfach sehr gut kannte. Sie konnte ihn lesen wie ein Buch.

"Ich sollte ihn hassen, Nele. Immerhin war er es, der diese Explosionen zu verantworten hatte, die dich in Gefahr brachten."

Nele schnalzte mit der Zunge.

"Ich kenne ihn nicht, aber ich kenne Meriwan. Sie würde sich nicht in einen Mann verlieben, der den Tod von Kindern in Kauf nimmt, nur um seine Ziele zu verfolgen. Er konnte ja nicht ahnen, dass seine Leute auch Bomben im Waisenhaus versteckte haben."

Kanoran schnaubte unwirsch.

"Er hat aber in Kauf genommen, dass eben diese Bomben Menschenleben gefährden können. Bei den alten Drachen, ich hatte so eine Angst um dich, Nele. Und dennoch scheint es mir gerade so, als ob ich großzügig darüber hinwegsehen könnte. Mehr noch. Ich habe Mitleid mit ihm."

Er spürte ihre Lippen, die ihn zwischen den Schulterblätter sanft berührten. Dann legte sie ihre Wange gegen seinen Rücken.

"Mitleid?"

Er nickte.

"Natürlich. Er lebte sein ganzes Leben lang mit Lügen und Hass. Er hat nie die Möglichkeit, die ich nun habe. Racola hat wohl nie auch nur einen Augenblick friedlich leben dürfen, wie eben jede andere Mann auch. Er wird nie in den Armen seiner Frau einschlafen. Er wird nie erfahren, wie es ist, Vater zu werden. Wenn ich nur daran denke, habe ich Mitleid mit ihm, obwohl ich ihn hassen sollte."

Er spürte, wie Nele hinter ihm nickte, ohne den Körperkontakt zu unterbrechen.

"Hassen ist ein großes Wort, Kanoran. Ich habe ihm nie die Schuld dafür gegeben, dass wir verschüttet wurden. Auch weiß ich, dass er die Schlacht verhindern wollte und nicht, wie nun behauptet wird, sie provoziert hat."

Die Drachen von Wikuna - Kanoran (Band 7)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt