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Plötzlich verstummen die Schritte und ich nehme eine starke Präsenz am Steintor wahr. Er ist da. Der König steht genau jetzt vor uns allen und wird sein Blutsmädchen wählen.
Mich überkommt das starke Bedürfnis meinen Blick nach oben zu richten, um den Vampir im Auge behalten und seine Bewegungen verfolgen zu können.
Also hebe ich trotz aller Gründe, die dagegensprechen, meinen Kopf. Das erste Mal in meinem Leben erblicke ich den König der Vampire von Angesicht zu Angesicht.

Sofort treffen seine Augen auf meine. Ein Schauer durchfährt meinen gesamten Körper und mir wird plötzlich eiskalt. Dennoch wende ich meinen Blick nicht ab, sondern halte dem seinen stand. Keine seiner Regungen entgeht mir. Und so sehe ich auch, wie seine Zunge begierig über seine Oberlippe fährt. Seine roten Augen ruhen dabei auf meiner Gestalt und mustern mich unablässig. Auch ich beobachte ihn weiterhin. Meinen Blick wieder zu senken, kommt gar nicht in Frage.
Seine weißen Haare stehen im Kontrast zu dem jungen Gesicht, das nicht eine Falte zu haben scheint. Die hellen, schmal gezupften Augenbrauen liegen nur knapp über den Augen und lassen seinen Blick raubtierhaft wirken.

Plötzlich nehme ich ein dröhnendes Fauchen aus seiner Richtung wahr und alles an mir erschaudert. Aber nicht auf die gute Weise, denn am liebsten würde ich so weit wie möglich von ihm wegrennen. Es kostet mich all meine Beherrschungdiesen Fluchtinstinkt zurückzudrängen. Doch schon einen Windhauch später, höre ich seine verräterische Stimme direkt an meinem Ohr raunen: "Hallo, Blutsmädchen. Du wirst es noch bereuen, dich aufgerichtet zu haben."
Seinewarme und raue Hand legt sich um meinen Hals und drückt unnachgiebig zu, sodass ein Krächzen meine Kehle verlässt und die Schmerzen mir kurzzeitig die Sinne vernebeln.

"Das war noch gar nichts. Aber lass uns gehen, mein Leckerbissen. Wir wollen doch Zeit miteinander verbringen", wispert seine schleimige Stimme mir abermals zu. Unter Schock spüre ich, wie mein Gewicht von den Füßen verschwindet und Wind um mein Gesicht peitscht.
Und erst da verstehe ich, was gerade passiert.
"Nein!", schreie ich und zappele so fest ich kann mit meinen Armen und Beinen, um ihn irgendwie loszuwerden. Er scheint mich über seine Schulter geworfen zu haben, wie einen Sack Kartoffeln.
"Nein, ich will nicht!" Die Welt rauscht mit hoher Geschwindigkeit an mir vorbei, während sich vor meinen Augen die Puzzlestücke zusammensetzen.

Ich bin das Blutsmädchen, ich bin die Eine.
Es ist mein Blut, dass ihm zu weiterer Stärke verhelfen wird.
Ich werde schuld daran sein, wenn seine Macht weiterwächst.

Keuchend hole ich Luft, während wir uns noch immer mit unfassbarer Geschwindigkeit bewegen. Ich muss mich konzentrieren. Tief atme ich drei Mal ein und aus, stelle mein Strampeln ein und nehme mir einen winzig kleinen Augenblick, um nachzudenken.

Ich darf gar nicht erst da ankommen, wo der Vampirkönig mich hinbringen will. Denn dort bin ich ihm vermutlich ausgeliefert. Ich muss ihm also vorher entwischen. Aber das ist einfacher gesagt als getan, oder?
Ich spüre, wie sein Griff sich lockert, da ich stillhalte. Vielleicht denkt er, ich habe aufgegeben? Oder er sieht mich einfach nicht mehr als Gefahr an? Egal warum, das ist meine Chance!

Mit einem gezielten Schlag landet mein Knie zwischen seinen Beinen und ich hole mit meinem Ellbogen aus, um auf seinen Kiefer zu zielen. Auch dieser Schlag sitzt und so lockert sich sein Griff weiter, weshalb ich es schließlich schaffe, mich aus diesem zu winden.

Meine Füße berühren den Boden und sofort will ich mich abstoßen, um abzuhauen. Doch noch im selben Bruchteil der Sekunde spüre ich einen Schmerz in meiner Wirbelsäuleauflodern. Ehe ich mich versehe, lande ich qualvoll auf dem Rücken, mein Blick ist an die Decke gerichtet.

Sofort will ich mich wieder aufrichten und weiter rennen, aber keiner meiner Muskeln hört mehr auf meine Befehle. Weder meine Hände noch Füße bewegen sich und so bin ich voller Angst dazu gezwungen, liegenzubleiben und dem Übel entgegenzusehen. Nur mein Herz pumpt wie verrückt, als sich der König mit vor Wut verzerrtem Gesicht in mein Blickfeld schiebt.
Ich kann nichts tun, nur still daliegen. Mein Körper erzittert nicht einmal mehr vor Angst. Aber meine Gedanken, die fahren Achterbahn in meinem Kopf. Unangeschnallt. Alle möglichen Szenarien meines Todes schießen mir durch den Kopf, von Leertrinken über Verbrennung bis hin zur Folter. Wird mein Leben so enden? War es das jetzt?

"Diesen Angriff wirst du mir noch büßen, Leckerbissen. Langsam und qualvoll wird es werden, immer wieder. Bis ich genug von deinem Blut habe... Du wirst schon noch sehen, was es bedeutet, mich zu hintergehen."
Ein ekelerregendes Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Er steht über mich gebeugt und die rote Färbung an seinen Zähnen lässt nicht nur erahnen, was er als Letztes gemacht hat. Am liebsten hätte ich mich weggedreht vor Grauen, doch das geht immer noch nicht.

"Aber ich muss zugeben, das war mal etwas Abwechslung. Schon lange hat mich keiner mehr angegriffen. Eigentlich ganz unterhaltend. Aber glaube mir, eine weitere Gelegenheit dafür bekommst du nicht.", säuselt er mir zu.

Ich spüre, wie die Magensäure meinen Hals hinaufsteigt und ein Würgereiz überkommt mich. Gleichzeitig scheint seine Präsenz mich zu erdrücken, sodass es immer schwerer für mich wird, Luft zu holen. Der Vampir beugt sich zu mir herunter und sein abgestandener Atem streicht über mein Gesicht. Widerlich.
Abermals schmeißt er mich mit unfassbarer Geschwindigkeit über seinen Rücken, nur kann ich dieses Mal nicht schreien. Auch meinen Kopf lässt sich noch immer nicht drehen und so sehe ich nur den Boden unter mir vorüberziehen.

Scheiße! Tränen der Verzweiflung bilden sich in meinen Augen und tropfen auf dem Boden. Wie wird es für mich weitergehen? Gibt es noch irgendeine Chance aus dieser Sache heil herauszukommen? Mit einem unerwarteten Stoß knalle ich auf den Boden und mir wird wieder schwarz vor den Augen. Ich muss einige Male blinzeln bis sich mein Sichtfeld klärt, aber wieder kann ich nur an die schwarze Decke blicken.

"Arthur!"
"Ja, mein König?"
"Ihr Mal muss weg."
"Aber natürlich mein König."

Ein Gesicht schiebt sich über mich, mit Fangzähnen natürlich. Der Vampir hat schwarzes Haar und ein Piercing in der rechten Augenbraue. Er sieht gelangweilt aus, bis sich seine Augen mit einem Blick auf meinen Hals weiten.
"Ihr habt nicht von ihr getrunken, mein König. Ist sie etwa ...?", richtet er seinen Blick ängstlich auf den Vampir rechts von mir.
"Richtig. Kein Wort an niemanden, außer du willst den Seelenlosen vorgeworfen werden! Und jetzt mach deine Arbeit, Arthur!"

Ich spüre einen Picks in meinen Hals, dann verblasst die Welt vor meinen Augen.

𝐉𝐔𝐍𝐀 ❲⊘❳Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt