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Wie schon die letzten eineinhalb Stunden betrachte ich meine Füße. Einmal rechts wackeln, einmal links. Nur nicht aus dem Fenster schauen!

Eigentlich wollte ich beim Fliegen planen, wie ich mit meinen Eltern Kontakt aufnehmen kann. Aber dazu habe ich gerade echt keine Nerven über. Und so finde ich es eigentlich auch gar nicht schlimm, dass schon die ganze Zeit über Stille herrscht.

Die Vampirverrückte mir gegenüber hat ihr Makeup in der Zeit aufgefrischt und uns anschließend grimmig angestarrt. Letztendlich haben Linnea und ich uns nicht mehr getraut ein offenes Gespräch vor ihr zu führen. Ob sie weiß, dass wir zu Werwölfen gebracht werden? Zumindest ist es das, was ich vermute, wenn der Brief von Linneas Tante stimmt.

"Meine Damen und Herren, in den nächsten Minuten setzten wir zur Landung an! Stellen Sie sicher, dass sie angeschnallt sind.", ertönt es plötzlich aus dem Lautsprecher und wie von selbst huscht mein Blick zum Fenster. Zum Glück kann ich wegen der Dunkelheit nur die Flügel erkennen und nicht den Abgrund, der unter uns lauert.

Mir kommt wieder das Sprichwort 'Irgendwann kommen sie alle runter' in den Sinn, aber ich verbiete es mir, daran zu denken. In den letzten Stunden habe ich mir oft genug vorgestellt, wie es wäre, abzustürzen. Außerdem habe ich mein ganzes Leben zwischen blutdürstigen Vampiren verbracht. Da werde ich doch nicht wegen so einem Flugzeug abkratzen.

Schon spüre ich wie es ruckelt und wir ein kleines Stücken absinken. Huch! Mein Herz pocht in meiner Brust, während mein Bauch einige Momente kribbelt. Dann geht er auch schon dazu über, Purzelbäume zu schlagen und ich kann nur noch hoffen, dass ich lebendig unten ankomme. Langsam und qualvoll verstreichen die Sekunden, in denen wir uns der Erde nähern.

Mit einem Ruck setzt das Flugzeug schließlich auf den Boden auf und mir entweicht das letzte bisschen Luft aus der Lunge. Ich habe es überlebt! Adrenalin flutet durch meinen Körper, während wir Rollen und schließlich zum Stillstand kommen.

"Steigen Sie aus und folgen den Pfeilen.", ertönt eine letzte Nachricht aus dem Cockpit, welcher das Mädchen mir gegenüber augenblicklich folgt. Mit einem Lächeln steigt sie aus?! Creepy, wirklich!

Ich und Linnea bleiben hingegen noch ein bisschen sitzen und schauen uns grinsend an.
"Wenn die mitkriegt, dass sie zu den Werwölfen muss", kichert sie und ich stimme ein.

"Hast du eigentlich ein Mal an ihrem Hals gesehen?", frage ich sie dann jedoch.

"Mhhm ... nein. Stimmt, das ist komisch.", erwidert sie nach einigen Überlegen, wechselt dann aber das Thema, "Dir ist der Flug nicht so gut bekommen, oder? Du bist ganz weiß im Gesicht."

"Nein, ich denke fliegen ist nicht so meins. Aber lass uns jetzt lieber schnell rausgehen, bevor hier noch jemand nach uns sucht."

Zögerlich stehen wir beide auf. Wir haben, während dem Flug nicht vergessen, dass wir jetzt in das Schloss des Vampirkönigs müssen. Wir haben es verdrängt, jedoch findet dieses Wissen jetzt wieder an die Oberfläche zurück.

Die kuriosesten Ideen entstehen in meinem Kopf, als wir aus dem Flugzeug in die absolute Dunkelheit steigen und nur einen gelben Pfeil erkennen. Wenn man durch dieses Mal eine Art guter Freund für einen Wolf ist, wollen uns die Vampire dann vielleicht töten? Oder war der Brief der Tante gefälscht und sie ist doch noch auf dem Kontinent der Vampire?

Wir folgen dem Pfeil weiterhin nach links und halten uns dabei ganz dicht aneinander. Unsere Hände umklammern sich dieses Mal aber nicht, denn Angst will keiner von uns beiden zeigen.

Einen Fuß setzten wir vor den anderen, ohne auch nur annährend erkennen zu können, ob nicht doch ein Abgrund genau vor uns ist. Was bleibt uns auch anderes übrig? Ein weiterer leuchtender Pfeil zeigt uns, dass wir rechts abbiegen sollen, was wir wortlos machen.

Nun kann ich ein schwaches Licht in der Ferne erkennen. Es kommt aus der offenen Tür eines schwarzen Gebäudes, auf das wir schnurstracks zulaufen. Immer weiter nähern wir uns dem Eingang, wobei meine Hände zu schwitzen anfangen, dann treten wir auch schon ein.

Durch das gedimmte Licht ist nicht viel zu erkennen. Ich kann nur die dunklen Farben der Wände und einen Tisch in der Mitte des Raumes ausmachen.

"Arm her!", ertönt eine tiefe Männerstimme unerwartet hinter uns. Aber ich habe meinen Körper zum Glück so weit unter Kontrolle, dass ich nicht zusammenzucke und mich stattdessen umdrehe.

Mehr als die Umrisse des Mannes sind nicht zu erkennen, weshalb ich ihn vorsichtig beäuge. Unser Gesicht kann er wegen des Lichteinfalls bestimmt erkennen und so lege ich wie immer mein Pokerface auf.

"Arm her, sagte ich!", faucht er in einem furchteinflößenden Ton, den die Dunkelheit nur verstärkt, und schon legt sich seine eiskalte Hand um meine. Mist, ein Vampir! Okay, ich hätte damit rechnen können
Habe ich aber nicht.

Ein kurzer, mir bekannter Schmerz breitet sich ruckartig in meiner Ellenbeuge aus. Schnell rechne ich eins und eins zusammen und realisiere, dass mir Blut abgenommen wird. Es ist unangenehm, aber von den wöchentlichen Blutabnahmen bin ich das kraftvolle Einstechen mittlerweile gewohnt, sodass ich mit keinem Muskel zucke.

Stattdessen sehe ich den Vampir vor mir und weiß ganz genau: Das ist unsere Chance etwas herauszukriegen! Denn, dass seine Haut kalt ist, bedeutet, dass er in den letzten Tagen nur billige Blutkonserven zu sich genommen hat. Er hat also kein warmes und frisches Blut von einem Menschen getrunken. Also muss er ein etwas ärmer Vampir sein. Ja, auch das gibt's! Und trotztdem sind sie genauso Monster.

Aber zufälligerweise ist mir auch bekannt, dass Vampire warmes und frisches Blut bevorzugen. Und auch, wenn es mich schon allein bei der Vorstellung, wie er von mir trinkt, schüttelt, muss ich diese Tatsache ausnutzen und mehr über unseren Aufenthalt herausfinden.

Diese Möglichkeit kann ich einfach nicht verstreichen lassen. Die Nadel in meinem Unterarm nehme ich deshalb schon fast nicht mehr wahr, während ich ihn anspreche:
"Ich hätte einen Deal vorzuschlagen...", beginne ich, werde aber schon von ihm unterbrochen.

"Nein, halt den Mund. Was willst du mir schon anbieten?"

"Einige Schlucke von meinem Blut."

In der Stille höre ich Linnea neben mir laut schlucken und auch ich bin angespannt. Der Vampir zieht die Nadel ruckartig aus meiner Haut und schließt das Blutröhrchen. Dann sticht er die Nadel, ohne sie vorher zu desinfizieren, wie ich verärgert erkennen muss, in Linneas Arm.

"Was willst du dafür?"

𝐉𝐔𝐍𝐀 ❲⊘❳Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt