Wildherz

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In langen Sätzen raste Schattenfell zwischen den Bäumen und Sträuchern des Waldes entlang. Sie war weit weg von Ihrer Höhle, wo es kein Wunder
war auf Menschen zu treffen. Bald würden ihre Verfolger sie eingeholt haben. Normalerweise war das Tigerweibchen schnell und brauchte sich wegen Jägern keine all zu großen Sorgen zu machen. Doch heute war sie geschwächt, geschwächt von der Geburt ihrer Tochter. Sie konnte die Jäger schon hören – bald würden die ersten Schüsse die Luft zerreißen. Angst machte sich in ihr breit. Es war nicht die Angst um ihr Leben, es war die Angst nicht zu ihrem Jungen zurückkehren zu können, was den Tod der kleinen bedeuten würde.
      Kurz darauf stieß sie auf eine Lichtung in deren Mitte ein seltsamer Kasten stand. Das musste eine dieser Holzhöhlen, in denen die Menschen wohnten sein, doch hier war niemand und auf der anderen Seite der Lichtung erstreckte sich eine Felswand. Erschöpft beschloss Schattenfell in der Hütte Schutz zu suchen. Wenige Sekunden später war sie darin verschwunden. Staunend blickte sie sich um: Lauter Boxen befanden sich darin und auf ihnen und an den hölzernen Höhlenwänden entdeckte sie viele seltsame Dinge. Die Jäger waren schon gut zu hören, aber eine Sache musste sie sich noch ansehen. Sie  legte ihre Vorderpfoten auf eine Box und sprang erschrocken zurück. „Ein Mensch!“, keuchte sie.
      „Aber sah er nicht total harmlos aus?“,  fragte sich Schattenfell. Noch
einmal betrachtete sie den Menschen: Es war ein Jungtier, ein Weibchen mit welligem, schwarzen Haaren und einer honigfarbenen Haut.
Und dann tat die Raubkatze etwas, das sie selbst nicht verstand: sie nahm das Kind und verließ mit ihm die Hütte. Es dauerte keine fünf Sekunden bis die Jäger sie entdeckt hatten. Schüsse verfehlten sie nur knapp und rissen tiefe Löcher in die Baumstämme zwischen denen Schattenfell nun ein wenig Schutz fand. „Nicht schießen! Es hat meine Tochter“, hörte sie plötzlich einen Jäger schreien und kurz darauf, wie ein anderer knurrte: „Finger weg von meiner Knarre!“ Der Rest war nur noch ein aufgebrachtes Stimmengewirr und, nach mehrmaligem aufheulen des Motors und ein paar Schüssen, die Wildherz weit verfehlten, war Ruhe.

      Nachdem Schattenfell sich weit genug entfernt hatte lief sie langsamer weiter in Richtung der Tigerhöhlen. Dort angekommen legte sie das Menschenkind in ihrer Höhle auf das weiche Lager aus Moos neben ihre pechschwarze Tochter mit der einen silbernen Kralle und flüsterte: „Jetzt hast du eine Schwester, Silberkralle: Ich nenne sie Wildherz.“

W I L D H E R Z ~ wie alles begannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt