Nur ein Kind

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Ein paar goldene Sonnenstrahlen die durch das dichte Blätterdach drangen tauchten den Waldboden in ein warmes Licht. Außer dem Gezwitscher einiger Vögel und dem Plätschern eines in der Nähe gelegenen Baches war
kaum etwas zu hören. Hier und da sah man ein paar junge Frösche. Es herrschte eine beinahe magische Atmosphäre – zumindest bis sie durch einen erschrockenen Schrei, der wohl den halben Wald geweckt haben musste gesprengt wurde.

      Schattenfell blinzelte und sah in die weit aufgerissenen Augen von Rauchpfote. Erstarrt vor Schreck beäugte dieser das Menschenkind.
„Was macht der Mensch hier?“, fragte ihr Mann mit bebender Stimme.
„Es ist ein Junges. Du brauchst dich nicht aufzuregen. Oder glaubst du das kleine Ding ist in der Lage dir etwas anzutun?“
„Ach, und was glaubst du, was passiert, wenn es erst mal groß ist?“, knurrte er.
„Es wird nicht lernen Böses zu tun, weil ich es großziehen werde!“, fauchte sie zurück.
„Du willst was? Bist du durchgedreht?“
„Wieso sollten alle Menschen schrecklich sein? Gib ihr eine Chance. Ich werde sie behalten! Entscheide dich! Entweder du akzeptierst sie oder du hältst dich in Zukunft fern von mir“. Schattenfells Augen blitzten angriffslustig.
„Ist ja gut. Ich… Wie kommt es überhaupt das sie hier ist?“
Rauchpfote spürte, dass es keinen Sinn hatte sich noch länger zu streiten.
Darauf folgte eine lange Erklärung, in der Schattenfell in allen Einzelheiten schilderte, wie sie in die Hütte geflüchtet war, das Kind gefunden hatte und mit ihm den Jägern entkommen war.
    
      Kurze Zeit später spielten Wildherz und Silberkralle zusammen mit Eisfell auf der Wiese vor den Höhlen. Eisfell, die Tochter der Nachbarn hatte ein weißes Fell, das eisblau zu schimmern schien, mit klaren schwarzen Streifen. Es hatte Schattenfells ganze Überzeugungskraft gebraucht um Eisfells Eltern klar zu machen, dass sie ihre Tochter beruhigt
mit den beiden anderen spielen lassen konnte. Als etwas später noch Waldohr mit ihrem Sohn Buntfell dazukam, konnte Schattenfell ein Seufzen nicht unterdrücken. Ständig war sie damit beschäftigt irgendwem klar zu machen, dass dieser Mensch nur ein Junges war. Sie fragte sich, ob die anderen wohl zu blöd waren ein Baby zu erkennen; und wie würde sie erst reagieren, wenn sich die Nachricht herumgesprochen hatte. Die ganze Tigergruppe würde ihr Löcher in den Bauch fragen. Sie erklärte Waldohr, was es mit dem Mensch auf sich hatte und schließlich spielten alle vier Kinder gemeinsam. Buntfell und Eisfell schienen sich zu streiten. Immer wieder gaben sie sich kleine Klapse mit den Pfoten, bis die Mütter sie trennten, damit sie sich nicht verletzten.

      Später besuchte Schattenfell noch ihre Freundin Seidenstern. Seidenstern erwartete ebenfalls ein Kind, aber bis zur Geburt würde es wohl noch einige Zeit dauern. Sie gingen in die Höhle und Schattenfell erzählte ihrer verständnisvollen Freundin von Wildherz. Nachdem sie geendet hatte fragte Seidenstern besorgt: „Aber es ist schwer für einen Menschen unsere Prüfungen zu schaffen! Menschen haben keine magischen Kräfte, spitze Zähne oder scharfe Krallen, sie riechen und hören viel schlechter als wir und können sich nicht anschleichen.“
„Sie wird all dies, abgesehen der Kräfte, von klein auf lernen. Wo ist schon
das Problem? Menschen haben geschickte Pfoten!“
„Nun, wir können nur unser bestes geben.“
Sie redeten noch ein wenig über die anderen Tigerkätzchen, bis es für Schattenfell Zeit wurde in ihre eigene Höhle zurückzukehren und sich zu ihren vermutlich schon schlafenden Kindern zu legen.

W I L D H E R Z ~ wie alles begannWo Geschichten leben. Entdecke jetzt