1 Kapitel

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Die Musik war laut, drang mir durch die Haut auf die Knochen und ließ mein Herz im selben Takt schlagen. Bunte Lichter fluteten den Raum, wanderten umher wie unzählige Scheinwerfer, unruhig und auf der Suche nach etwas, das sie niemals finden würden.
Ich stand neben der Tanzfläche, auf der sich eine riesige Menschenmenge tummelte und nahm alles wie durch eine Blase war. Seit einigen Minuten hatte ich mich keinen Millimeter gerührt. Ich wusste nicht, wo ich hin oder was ich tun sollte.
Der Geruch nach Alkohol drang mir in die Nase, gemischt mit Schweiß und dem Parfüm unzähliger Leute. 
Ich fragte mich, wo sie war. Das Mädchen, dessen Hausparty es war. Es kam mir vor, als sei ich schon Ewigkeiten hier, doch ich hatte sie noch kein einziges Mal gesehen.
Und Zorro, mein bester Freund, der sofort dabei war, als ich ihm von der Einladung erzählt hatte, war vor ein paar Minuten verschwunden, nachdem er sich einer jungen Frau um den Hals geworfen hatte und mit ihr zwischen den Menschen verschwunden war.
Ich richtete die Krawatte, die sich ungewohnt an meinen Hals rieb. Zorro hatte darauf bestanden, dass ich sie trug, er hatte behauptet, dass man so besser bei den Frauen ankam.
Doch ich wollte bei keiner Frau ankommen. Mich interessierte nur Aada.
Auf einmal war jemand hinter mir, ein Atem ganz nah an meinem Ohr, gefolgt von einer rauchigen Stimme.
"Na, Süßer, willste tanzen?" Sie roch und klang, als hätte sie schon zu viel getrunken. Ich zuckte zusammen.
"N-Nein, danke", brachte ich hervor, ehe ich mich umdrehte und mich durch die Menschenmenge nach draußen schlängelte. 
Als ich durch die große Terassentür ging, trat noch ein paar Schritte von ihr weg, dann blickte ich hinauf in den Himmel und atmete die klare Luft tief ein. Es war dunkel, frisch, doch das störte mich nicht. Hier draußen fiel es mir viel leichter, den Lärm und die bunten Lichter auszublenden, nun, da sie sich hinter meinem Rücken befanden.
Der Mond war nur noch eine schmale Sichel, doch er leuchtete so hell wie eine kleine Lampe. Wolken bedeckten den Himmel und verhinderten die Sicht auf den Sternen übersäten Himmel. Ich machte mir nicht zu viel daraus, auch wenn ich es liebte, die Sterne zu betrachten. Ich wusste, dass ich andere Möglichkeiten bekommen würde, mir sie anzusehen.
Da bemerkte ich etwas aus dem Augenwinkel und wendete den Kopf. 
Grinsend, an das steinernde Geländer gelehnt, stand Zorro. Seine hellen Haare leuchten wie der Mond selbst, der sein Licht für ein paar Sekunden in genau diesem Moment auf uns niederschickte. Mein bester Freund hatte ein eckiges Gesicht, einen langen Mund und schmale goldene Augen, was ihn bei Frauen unglaublich beliebt machte. Seine weite schwarze Jacke war ihm über die Schultern gerutscht, wie er es gerne trug, und der oberste Knopf seines dunkelgrauen Hemdes war offen und der Stoff zerknittert.
Ich betrachtete ihn mit einem fragenden Blick. Zorro, der mit vollem Namen Zoran hieß, stieß sich vom Geländer ab und kam auf mich zu. Er hob die Hand und hielt mir mein Handy hin.
"Woher...?", fragte ich überrascht.
"Du hast nicht mal gemerkt, dass die Lady von vorhin dein Handy geklaut hat?", gluckste er amüsiert. 
Ich nahm es ihm ab und schaltete es an. Der Bildschirm leuchtete auf und tatsächlich erschien das mir nur allzu bekannte Bild mit den bunten Farbtropfen, das ich schon seit Jahren als Hintergrund verwendete.
Deswegen war er also mit der Frau verschwunden. Ich hatte mich schon gewundert, denn normalerweise ließen ihn weibliche Geschöpfe kalt. Wie so vieles andere auch.
"Wie hast du es bemerkt?", entgenete ich.
"Es war offensichtlich."
Ich zog eine Augenbraue hoch und wollte mir das Handy in die vordere Hosentasche schieben, da es mir dort wahrscheinlich eher auffallen würde, wenn es wieder verschwinden würde, doch ich bekam es nicht mal ansatzweise hinein. Meine Hose hatte fake Vordertaschen.
Ich seufzte und Zorro streckte seine Hand auf.
"Gib her, ich pass drauf auf", sagte er und ich gab es ihm.
"Danke", meinte ich. "Hast du Aada gesehen?", fragte ich dann.
"Nein", sagte er schlicht.
"Glaubst du, ihr ist etwas passiert?"
Zorro schwieg für ein paar Sekunden. Ich sah ihm an, dass ihm etwas durch den Kopf ging. Mein bester Freund hatte immer einen sechsten Sinn für Gefahr. Jedes Mal, wenn etwas passierte, sei es ein Überraschungstest in Mathe oder sogar ein Fahrradunfall, wusste er Bescheid und handelte. Nicht, dass er die Betroffenen warnte oder den Unfall verhinderte, sondern um seine eigene Haut zu retten. Wenn ich in ernsthafter Gefahr schwebte, dann auch meine. Ein paar Mal hatte ich ihn schon darauf angesprochen, doch er hatte sich nur umgedreht, ohne etwas zu erwiedern, und war gegangen. Irgendwann hatte ich es aufgegeben, auch wenn ich ihn insgeheim dafür ein wenig hasste, dass er sich nicht um andere als um sich und mich kümmerte.
"Ich weiß nicht", antwortete er schließlich. "Wir können uns ja mal umschauen", schlug er dann vor, da er anscheinend bemerkte, dass ich niedergeschlagen war.
"Wenn sie dich schon persönlich eingeladen hat, wird sie sich ja auch mal blicken lassen. Außerdem ist es ihre Party, da kann sie nicht einfach so verschwinden."
Ich nickte und folgte ihm, als er sich umdrehte und wieder auf das überfüllte Wohnzimmer mit der Tanzfläche zuging.

Angels SinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt