Kapitel 13 - Lebst du deinen Traum?

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[GRACE]

»Hast du ein Lebensziel?«

Überrascht hob ich den Blick von dem Collegeblock in meiner Hand und sah zu Cole. Er lief entspannt neben mir her und wich gerade einem entgegenkommenden Mann aus, bevor er mich auffordernd ansah.

»So war das aber nicht gedacht, dass du die Fragen mir stellst!«, verteidigte ich mich amüsiert und blickte mich um. Wir befanden uns in der Innenstadt, um die ersten Interviews durchzuführen. Zu beiden Seiten der breiten Einkaufsstraße ragten unzählige gläserne Hochhäuser in den Himmel. Menschenmassen strömten durch die Stadt, unterhielten sich und ließen sich von den Reklamen der vielen Geschäfte hineinlocken. Dabei war auffällig, wie wohlhabend die meisten gekleidet waren. Wir durchliefen das teuersten Viertel der Stadt, und ich fühlte mich mit meiner Jeans, dem einfachen Shirt und der weiten Jeansjacke fast schon underdressed.

»Mir ist langweilig«, erwiderte Cole offen und fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: »Und es interessiert mich wirklich.«

Ich verdrehte die Augen, musste aber grinsen. Dabei unterdrückte ich das flatternde Gefühl, welches sich bei Coles Worten in mir regte. Auch, wenn ich es zu ignorieren versuchte, musste ich zugeben, dass ich nervös war.

Seit dem Kuss, (und noch viel schlimmer, meinem peinlichen Rückzug), hatte ich mir die schlimmsten Szenarien für unsere nächste Begegnung ausgemalt. Doch als wir uns vor einer halben Stunde am Bahnhof getroffen hatten, hatte Cole sich verhalten, als wäre nichts geschehen. Obwohl ich bei dem Gedanken an Samstag immer noch rot anlief, versuchte ich sein Verhalten so gut es ging zu kopieren.

Alles hätte so gut werden können... Doch dann waren mir meine Gedanken in die Quere gekommen. Während mein Körper sich auf den Kuss eingelassen hatte, hatte mich mit einem Mal Unsicherheit gepackt und schließlich übermannt.

Wieso ich?

Irgendetwas hielt mich davon ab, zu glauben, dass Cole sich einfach so mit mir, derjenigen, die sich am wenigsten im Unterricht beteiligte, für ein benotetes Uniprojekt zusammentun wollte. War er vielleicht nach einem One Night Stand aus? Ich wollte ihm gegenüber nicht misstrauisch sein, doch ein kleiner Teil von mir war es trotzdem, und das ärgerte mich. Ich schob es auf den polizeilichen Einfluss meines Dads.

Jetzt, zwei Tage später, ärgerte ich mich über meinen Rückzieher. Ich dachte einfach nur viel zu viel nach und interpretierte etwas in Dinge hinein, die es nicht gab.

»Also?« Cole hob fragend die Augenbrauen und lächelte einem Mädchen zu, dass ihn im Vorbeigehen einen Augenblick zu lange ansah. Ich wusste nicht, ob es nur mir auffiel, doch in den letzten Minuten, die wir bereits hier verbracht hatten, hatte mindestens ein halbes dutzend Frauen ihn mit solch einem Blick bedacht. Ich biss mir auf die Unterlippe und zwang mich dazu, meine Aufmerksamkeit auf meinen Fragebogen zu lenken. Es war mir vollkommen egal, wer, wie oft und wieviele von ihnen Cole beobachteten.

Total.

Egal.

Ich runzelte die Stirn und fokussierte mich entschlossen auf Coles Frage. Hatte ich ein Lebensziel?

Ich hatte viele kleinere Ziele. Das Studium zu überleben, irgendwann eine gute Arbeit zu finden, meine Freundschaften aufrecht zu erhalten und positiver durch das Leben zu gehen. Doch mein eigentliches Lebensziel war es, Menschen zu helfen.

»Ja«, antwortete ich automatisch, bevor ich noch weiter über die Frage nachdenken konnte.

»Welches?«

Ich hob die Augenbrauen, und versuchte, einen Blick auf Coles Notizen zu werfen. »Steht das auch auf dem Fragebogen?«

Cole schrieb im Gehen etwas auf seinen Block, bevor er den Kopf hob und grinste. »Jetzt schon.«

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